Köln – Im Grunde ist es ganz einfach: Zwei mächtige Männer überfallen eine junge Ehefrau im Bad und versuchen sie sich gefügig zu machen, indem sie drohen, sie als Ehebrecherin zu verleumden – ein Verbrechen, auf das die Todesstrafe steht. Die Frau weigert sich, es kommt zum Prozess, die Gerechtigkeit obsiegt. Statt der unschuldigen Frau ereilt die Männer das Todesurteil.
In der Bibel braucht Susanna ein kleines Wunder
So einfach ist es selbstredend nicht, schon weil es in der biblischen Fabel von Susanna und den Älteren ein kleines Wunder braucht, um die Geschichte für das Opfer gut ausgehen zu lassen. Überhaupt die Bibel: In ihrer Fassung der jüdischen Susanna-Geschichte geht es nicht mehr so sehr um falsche Autoritäten und wie man sie durchschauen lernt. Sondern um die Tugendhaftigkeit der Frau. Im Grunde beginnt damit schon, was wir heute „victim blaming“ nennen.
Die Bibel hat bekanntlich eine Antwort auf alles (wenn auch nicht immer eine gute). Also verwundert es nicht, dass sie auch etwas zu sexueller Nötigung und dem Machtgefälle zwischen Männern und Frauen zu sagen hat, also zu Themen, die seit der MeToo-Debatte auf der gesellschaftlichen Tagesordnung stehen. Man käme hingegen nicht zwingend auf die Idee, dass auch ein Museum für alte Kunst zu dieser Debatte etwas Wesentliches beizutragen hätte.
Zur Ausstellung
Die weltweit erste Ausstellung zum biblischen Susanna-Motiv im Kölner Wallraf-Richartz-Museum wird von einem reichhaltigen Programm begleitet. Am 3. November gibt es eine Tanzperformance des XXTanz Theaters, am 26. Januar eine prominent besetzte Podiumsdiskussion unter anderem mit Mithu Sanyal und Klaus Theweleit.
„Susanna - Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo“, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Obenmarspforten, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, 28. Oktober 2022 bis 26. Februar 2023.
Der umfassende Katalog kostet 39,95 Euro im Buchhandel und 29,95 Euro im Museum.
Das Kölner Wallraf-Richartz-Museum tritt nun den eindrucksvollen Gegenbeweis an – mit der ersten großen Ausstellung zum biblischen Susanna-Motiv überhaupt. Er glaube fest daran, so Roland Krischel, dass die Schau, die er gemeinsam mit Anja Sevcik zusammenstellte, die aktuelle Diskusion bereichern könne. Mehr noch: Es gibt für Krischel „eine dringende Notwendigkeit“, die alte Kunst durch die Gegenwart zu betrachten. Was also bringen Rembrandt, Anthonis van Dyck oder Francesco Hayez in die MeToo-Debatte ein?
Zunächst zeigt die Ausstellung, wie vielfältig das Thema durch die Jahrhunderte hindurch gesehen, gestaltet und auch instrumentalisiert wurde. Susanna war die Verkörperung weiblicher Tugend und eine barocke Femme fatale, sie war ein Gegenentwurf zur verführbaren Eva, ein williges Opfer und eine reuige, von aller Schuld reingewaschene Sünderin. Sie spielte eine Rolle bei der Christianisierung und in den europäischen Konfessionskriegen, sie setzte sich handgreiflich zur Wehr oder suchte ihr Heil im himmlischen Beistand. Auch die Älteren wechselten die Gestalt. Mal ähnelten sie Raubtieren, mal genossen sie ihre Macht und mal waren sie selber Opfer ihrer Triebe – um billige Ausreden waren auch die alten Meister nicht verlegen.
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Die vielen Bilder der Susanna sind insofern erstaunlich, als die feministische Kunstgeschichte sie zu einer einzigen Rolle amalgamierte: das Lustobjekt. Die biblische Susanna-Fabel sei vor allem Vorwand für erotische Darstellungen, gehört dabei noch zu den freundlicheren Urteilen. Ein anderes Verdikt lautet: Mächtige Männer beauftragten Bilder, auf denen sich mächtige Männer Frauen unterwerfen; den biblischen Ausgang konnten sie genießerisch ausblenden, weil sie wussten, dass realen Frauen kein Prophet zu Hilfe eilt. Ins Herz der Kunst zielt schließlich der Vorwurf, die Maler würden den Betrachter zum Voyeur und damit zum Komplizen der Vergewaltiger machen.
Selbstredend kennen Krischel und Sevcik diese Vorwürfe, und sie thematisieren auch das eigene Unbehagen darüber, ein ganzes Museumsstockwerk mit virtuosen Darstellungen einer sexuellen Nötigung zu füllen. Am Anfang des Rundgangs stehen daher Bilder des Susanna-Prozesses, in denen die „Erotik“ einer juristischen Perspektive weicht, und besonders drastische Darstellungen des verhandelten Geschehens – so soll gar nicht erst der Eindruck entstehen, es solle etwas beschönigt werden. Jedem Bild ist zudem eine Texttafel beigefügt, auf der die für moderne Betrachter oft schwer zu entschlüsselnden Codes der alten Meister erklärt werden. Mitunter entscheidet ein schmückendes Detail über die Mitschuld, die Susanna in den Augen des Malers (oder dessen Auftraggebers) an dem an ihr verübten Verbrechen trägt; der „Stinkefinger“, den der Barockmaler Sebastiano Ricci seiner Susanna angedeihen ließ, erfreut sich hingegen wohl zeitloser Verständlichkeit.
„Victim blaming“ gibt es nach wie vor
Man sieht vielen Bildern an, dass ihr Thema für die Maler nur eines von vielen war. Nicht unbedingt ein Vorwand für Pornografie, aber eine schöne Gelegenheit, das eigene Virtuosentum zu zeigen, sich mit einer reichen Tradition zu messen oder malend über das eigene Metier, die Erzeugung von Schaulust, nachzudenken. Selbst den besonders bewegenden Bildern oder denjenigen, die eindeutig Partei für Susanna ergreifen, kann man dabei nicht zwangsläufig ablesen, aus welchen Motiven sie entstanden, wie viel hehre Moral in ihnen steckt.
Aber darum geht es letztlich auch gar nicht in dieser Ausstellung, die zeigt, wie aktuell die Themen und Fragen der alten Meister immer noch sind – im Guten wie im Schlechten. Es ist ja nicht so, dass wir uns damit rühmen könnten, bestimmte altertümlich wirkende Ansichten überwunden zu haben. „Victim blaming“ gibt es nach wie vor und auch Wächter über die weiblichen Tugenden. Lässt man sich auf diese Reise durch die Kunstgeschichte ein, versteht man die Gegenwart tatsächlich besser.