Potsdam/Berlin/Köln – „Fridays for future“ war und ist ein Riesenerfolg. Es gibt „Omas for future“, „Papas for future“, „Scientists for future“, „Teachers…“ - und so weiter. Alle wollen dabei sein, bei dieser jungen Bewegung, die es geschafft hat, das Thema Klimaschutz aus der „müssten wir uns eigentlich auch mal drum kümmern“-Ecke zu befreien. Und ins Zentrum der politischen Debatte zu holen.
Naja, nicht wirklich alle. Tatsächlich gibt es auch eine Horde Trolle, für die Greta Thunberg der Inbegriff des Bösen ist. Aber die sind ohnehin verloren für den Klimaschutz. Der Rest ging mit bunten Ballons und Plakaten auf die Straße. Legte sich ein Lastenfahrrad zu. Unterschrieb Petitionen. Wählte grün und wäscht die Haare nur noch mit festem Shampoo.
Protest-Aktionen: Wann kommt der „Dreifachwumms“ in der Klimapolitik?
Das alles soll nicht klein geschrieben werden. Aber auf den richtigen „Ruck“, den „Wumms“ oder gar „Dreifachwumms“ in Sachen Klimapolitik warten wir 2022 trotz allem noch. Dabei haben sich noch nie so viele Menschen Gedanken über das Energiesparen gemacht wie heute. Aber nicht etwa, weil die Klimakatastrophe droht - nein, weil Heizen plötzlich so teuer ist.
Was läuft da schief? Warum lassen wir unseren Politikern diese Ignoranz durchgehen? Was müsste passieren, damit wir das Thema endlich so ernst nehmen, wie es ist?
Tomatensuppe und Kartoffelbrei auf Kunstwerke werfen. Und sich selbst im Museum festkleben. Das ist sicher nicht die nahe liegendste Antwort. Aber es ist die Antwort, die junge Aktivisten auf diese Frage haben. Zwei Mitglieder der Klimaschutz-Protestgruppe „Letzte Generation“ zum Beispiel. Sie schütteten am Sonntag in einem Potsdamer Museum Kartoffelbrei über ein Bild des französischen Impressionisten Claude Monet. Danach klebten sie ihre Hände an der Wand davor fest. Genauso wie zwei junge Frauen, die vor einer Woche in der Londoner Nationalgalerie Tomatensuppe auf ein Sonnenblumen-Gemälde von Vincent van Gogh kippten.
Die sozialen Medien überschlagen sich seitdem in Applaus und Abneigung – was auch sonst. „Kulturbarbarei“ sei das. Ein „Bärendienst“ für den Klimaschutz, „dumm“ und „kriminell“, eine „asoziale Truppe“, „Kunstschänder“.
Die Zustimmung kommt etwas verhaltener daher, aber auch sie gibt es: „Monet und Van Gogh hätten diesen Protest gemocht. Es geht immerhin um die Schönheit dieser Welt, die sie gemalt haben und die gerettet werden muss.“
Wie so oft in solchen überhitzten Debatten, lesen viele nur die Schlagzeilen, um sich dann über die „Zerstörung“ von Kunstwerken zu ereifern. Fakt ist: Zerstört wurde bei diesen Aktionen (es gab schon mehrere dieser Art) noch kein Kunstwerk. Es geht schließlich nur um Matsch und nicht um Säure. Und viele Werke in Museen hängen hinter Glas.
Mirjam Herrmann wollte nichts zerstören
Das wissen natürlich auch die Klimaaktivisten – Mirjam Herrmann meldete sich direkt auf einen Tweet des Potsdamer Museums zu Wort: „Ich habe Kartoffelbrei an das Gemälde geworfen. Ich wusste von der Scheibe und bin froh, dass es nicht beschädigt wurde! Kunst ist eine der größten Errungenschaften der Menschheit! Ich habe Angst, sie zu verlieren.“
Also: Alles halb so schlimm: Bahn frei - Kartoffelbrei?! Das Problem ist, dass das offenbar sehr viele anders sehen - zumindest, wenn man die sozialen Medien als Stimmungsbild nimmt. Die bürgerliche Mitte fremdelt mit dem Angriff auf die Kunst. Also die mit den Lastenrädern, die auch gerne mal ins Museum geht. Und wenn Klimaschützer nicht mehr als die netten jungen Menschen mit den Plakaten gesehen werden. Sondern als „radikale Klimahysteriker“ diskreditiert werden - dann kann das dem Image der ganzen Klima-Bewegung schaden.
Dass die wütenden jungen Menschen im Museum nicht so lieb gehabt werden wie die moderaten „Fridays for Future“-Aktivisten - es hat wahrscheinlich auch mit einem kollektiven schlechten Gewissen zu tun. Denn insgeheim ahnen wir ja, dass wir mit unserem immer noch viel zu lahmen Engagement nichts grundsätzlich ändern werden.
Klimaaktivismus ohne Kompromisse
Und dann ist da plötzlich diese absolute Dringlichkeit, mit der diese Aktivisten kämpfen. Mit der sie ihre Gesundheit riskieren. Und auch nicht davor zurückschrecken, festgenommen zu werden. Während der Kartoffelbrei vom Goldrahmen tropft, wendet die 25-jährige Mirjam Herrmann sich im Video von der Aktion direkt an uns: „Menschen hungern, Menschen frieren, Menschen sterben. Wir sind in einer Klimakatastrophe. Wann ist der Punkt erreicht, an dem ihr hinhört und nicht einfach so weitermacht?“ In diesen Spiegel schaut niemand gerne.
Warum ausgerechnet Museen?
Man solle doch lieber Konzernchefs mit Kartoffelbrei bewerfen, schlagen pragmatische Twitter-User vor. Aber solche Bilder haben wir schon zu oft gesehen. Genauso wie die von frierenden Demonstranten vor Konzernzentralen. Damit rüttelt man niemanden mehr auf. Aber van Gogh mit Tomatensoße - das berührt uns, triff einen Nerv, regt uns auf.
Kunst ist uns heilig. Selbst wenn wir so oft ins Museum gehen wie in die Kirche (also etwa ein Mal im Jahr). Und Kunst sieht auch einfach besser aus als frierende Demonstranten – auch mit Kartoffelbrei.
Aufmerksamkeit ist eine hochpolitische Währung. Und um nichts anders geht es bei diesen Aktionen. So gesehen hat der Protest also doch funktioniert. Egal, wie man ihn am Ende bewertet. Sie sind der lebende Beweis, wenn Sie bis hier hin gelesen haben.