Im RND-Interview erklärt die Klimaaktivistin Luisa Neubauer, warum wir bei der Klimakrise nicht weggucken dürfen.
Luisa Neubauer„Man möchte die Menschen offenbar für dumm verkaufen“
Frau Neubauer, wie ist es für Sie, jetzt in einer 1,5-Grad-Welt zu leben?
Luisa Neubauer: Das Gemeine ist ja, es ist nicht nur eine Welt, die sich stark verändert. Es sind ganz viele Welten. Ich habe letztens das Wort „Weltversagen“ gelernt, und das ist so ein bisschen das, was ich gerade wahrnehme – und was, glaube ich, viele Menschen wahrnehmen. Dieses Gefühl, dass an ganz vielen Ecken etwas bröckelt. Um die Demokratie steht es nicht gut. Große Internetplattformen, so fühlt es sich an, stehen vor einer feindlichen Übernahme. Und dann haben wir eben unsere Lebensgrundlagen, die zunehmend unter Druck geraten, und immer mehr fossile Desinformation, die es schwer macht, da durchzublicken.
Sind die Waldbrände, die wir in Los Angeles sehen, ein Vorgeschmack auf das Leben in der 1,5-Grad-Welt?
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Ich werde immer wieder gefragt: 1,5 Grad, zwei Grad – macht das überhaupt noch einen Unterschied? Wenn wir uns gerade umgucken, sehen wir, dass wir schon für diese 1,5 Grad heißere Welt, auf die wir zusteuern, nicht geschaffen sind. Zehntausende Menschen stehen in Los Angeles vor den Trümmern ihrer Existenz, davor die Fluten in Süddeutschland, Lieferketten werden andauernd unterbrochen. Wir sehen vielerorts, dass Menschen schon heute ihr Zuhause verlieren, weil ihre Region durch die Klimakrise unbewohnbar wird.
Wir sehen aber auch viele kleine Auswirkungen: Orte unserer Kindheit, die nicht mehr sind. Der Baggersee, zu dem man immer gefahren und der jetzt ausgetrocknet ist. Der schöne Strand, an dem man sich verlobt hat, der auf einmal abgetragen ist. Es geht gar nicht nur um die monumentalen Katastrophen, sondern um die vielen, vielen kleinen Katastrophen, die uns in eine Realität katapultieren, für die wir gar nicht gemacht sind.
Sie haben in den sozialen Medien das Foto einer brennenden Rutsche in Los Angeles geteilt – mit den Worten: „Das wäre das ehrliche Titelfoto für einen Wahlkampf, der bisher meint, die wohl größte Krise des Jahrhunderts ausladen zu können.“ Warum spielt die Klimakrise im Bundestagswahlkampf zurzeit keine Rolle?
Einige Parteien versuchen, die Realität zu überlisten. Sie tun so, als würde es das Klimaproblem nicht geben. Die Realität macht da aber nicht mit. Es ist egal, ob sie auf der Titelseite steht oder ob über sie im Wahlkampf gesprochen wird: Die Klimakrise ist da – in allen Formen, in aller Ungerechtigkeit. Sie ist längst in den Köpfen der meisten Menschen angekommen, auch wenn das einige von der CDU nicht wahrhaben wollen. Ich halte es für ein sehr waghalsiges Unterfangen, Verstecken zu spielen mit unseren Lebensgrundlagen. Frei nach dem Motto: Wenn wir nicht hingucken, sehen wir nicht, wie sie in Flammen stehen.
Was ich so gefährlich finde, ist diese Idee, dass man irgendeiner Wählergruppe einen Gefallen damit tun würde, nicht über die ökologische Realität zu sprechen. Weil wenn Menschen nicht Bescheid wissen, wie sich unser Lebensraum verändert und was das für sie bedeutet, werden sie sich nicht rüsten können. Sie werden sich nicht einmischen können. Sie werden nicht für ihre Rechte und Bedürfnisse einstehen können. Man unterschlägt den Menschen also politische Wirkkraft und Aufklärung, die sie dringend bräuchten.
Ja, man kann jetzt noch ein paar Jahre so tun, als sei die Klimakrise dieses nervige Grünen-Problem mit den ganzen Verboten und als würde das die normalen Bürger nichts angehen. Aber das stimmt einfach nicht. Man möchte die Menschen offenbar für dumm verkaufen und sie gegen Wände laufen lassen. Und das halte ich politisch wirklich nicht für zu rechtfertigen.
Selbst die Grünen stellen die Klimakrise im Wahlkampf hinten an und reden mehr über Sozialabgaben und Bleiberechte von syrischen Geflüchteten. Lässt sich mit der Klimakrise kein Wahlkampf mehr gewinnen?
Das halte ich nicht für richtig, denn 2021 gab es ja einen Klimawahlkampf. Bei dem Wahlkampf davor war Klima wiederum auch ein Fremdwort. Was heißt das? Politische Macht ist opportunistisch. Das ist eine gute Nachricht. Es heißt, sie kann sich wandeln. Jetzt gerade umarmt Markus Söder keine Bäume, aber das kann sich ja noch mal ändern. Und dann kann sich auch in Bayern etwas verändern. Einem wunderschönen Bundesland, das dringend mehr Schutz von Heimat, Lebensgrundlagen und Landwirtschaft verdient.
Die Gegenwart wirkt, als sei sie unverrückbar – und so nehmen wir sie wahr. Aber die Gegenwart ist auch nur ein Produkt von dem, was wir uns gemeinsam ausgedacht haben und wie wir gemeinsam die Welt angegangen sind. Und genauso lässt sich eben die Gegenwart von morgen und übermorgen verändern. Dafür müssen wir uns aber wichtig nehmen und dafür müssen wir mutig sein.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich selbst zum Klimakanzler erklärt. War er das?
Ich befürchte, wir werden noch sehnsüchtig auf die Ampel zurückblicken. Die wird zurzeit behandelt wie ein Unfall im deutschen Parlamentarismus; aber die Konkurrenz schmeißt jetzt nicht unbedingt mit Blumen für eine sorgenlose Zukunft, sondern das wird noch knochig und hart werden. Olaf Scholz hat viel verbaut, und seine Potenziale bei Weitem nicht ausgeschöpft, klar. Dennoch hat die Ampel einiges vorangebracht und gezeigt, dass sich Druck und politische Arbeit lohnt.
Was sind Ihre Forderungen an die nächste Bundesregierung?
Es braucht eine Verlässlichkeit, dass Deutschlands Klimakurs von Dauer ist. Das ist nichts, was man nach Bauchgefühl machen kann – so wie es im Wahlkampf gerade läuft: Den einen Tag findet Friedrich Merz Klimaschutz toll, den anderen Tag will er nichts mehr davon hören. Wir brauchen ein klares Commitment zur Klimaneutralität – deutlich früher als bisher geplant – sowie ein klares Commitment zum Kohle- und Gasausstieg.
Und natürlich darf Klimaschutz kein Privileg sein. Es darf nicht von der Geldtasche abhängen, ob ich es mir leisten kann, nachhaltig zu leben. Deswegen fordern wir eine Garantie, dass man nachhaltig heizen und sich nachhaltig von A nach B bewegen kann. Wir nennen das eine Garantie für klimafreundliche Heizung und Mobilität.
Umfragen zeigen, dass sich die Menschen eigentlich mehr Klimaschutz wünschen. Gleichzeitig gibt es eine Klimarelativierung in der Gesellschaft: Der Klimawandel wird verharmlost. Woran liegt das?
Das ist ein Augenhöheproblem. Sehr vielen Beteiligten in der Politik fällt es schwer, eine Augenhöhe zur Zivilgesellschaft herzustellen. Sie überlegen sich: Welche Wahrheit kann man den Leuten zumuten? Das Problem ist: Wenn man politisch nicht die Realität annimmt mit all ihren Bedrohlichkeiten und Schönheiten, wird jede Lösung immer halbherzig sein und jede Antwort wird Menschen im Regen stehen lassen. Ich finde es anmaßend, davon auszugehen, dass man damit irgendwem einen Gefallen tut. Im Jahr 2025 ist schon zu sagen, was ist, etwas, das Mut braucht, weil wir uns eingenistet haben in eine Gewohnheit des Verschleierns.
Es gibt diesen Reflex – und ich verstehe das so sehr –, dass man bei all diesen Krisen lieber nicht so genau hinschauen will, sich lieber nicht so gut informiert, sich lieber zurückzieht und nicht so genau nachliest. Aber das bedeutet, dass man ein unvollständiges Bild der Wirklichkeit hat, und dann fällt es schwer, Lösungen zu sehen. Denn Lösungen finden sich genau dort, wo wir es wagen, genau hinzugucken.
Sie klingen so optimistisch – und das, obwohl sämtliche Warnungen, auch Ihre, augenscheinlich verhallen. Gibt es auch Momente, in denen Sie resignieren?
Na klar. Ich frage mich immer wieder: Mache ich genug? Wie kann ich wirksamer sein? Es wäre doch vermessen, würde ich das nicht tun. Es gibt schon Momente, in denen ich denke: „Ach, Gott, Leute ... Wie lange geht das noch so?“
Wie finden Sie dann den Mut, trotzdem weiterzumachen, trotzdem weiter zu protestieren und sich zu engagieren?
Es geht nicht darum, das Mutige selbst zu finden, sondern vielleicht erst einmal einen einzigen Moment zu nehmen und dann mal voranzugehen, und dann vielleicht noch einen Moment zu finden und dann vielleicht noch einen. Und dann merkt man: Ich gewöhne mich langsam daran und gehe vielleicht noch einen Schritt, nehme vielleicht noch mal eine Freundin mit. Das finde ich radikal hoffnungsvoll. Mut wächst nicht dort, wo drei Leute den „einen” großen Wurf machen, sondern in jedem Moment, in dem man entscheidet: Nein, jetzt mache ich das richtig und sage etwas.
Ihr Buch trägt den Titel „Was wäre, wenn wir mutig sind?“. Sind wir aus Ihrer Sicht nicht mutig?
Ich befürchte, die Welt verlangt gerade viel Mut von uns, aber die Mutvorräte von vielen Menschen sind eher ausgelaugt. Also frage ich in dem Buch: Wo wächst eigentlich Mut? Wie findet man ihn, in einer Zeit, in der eher die Angst im Aufwind ist? Da wird es im Buch auch sehr persönlich, ich erlebe ja selbst mutlose und hoffnungslose Momente. Die Vision von dem Buch ist: Was wäre, wenn wir uns gemeinschaftlich entscheiden würden, mutig zu sein? Was wäre, wenn wir Mut dort wachsen lassen, wo wir uns gegenseitig in die Augen schauen, uns zuhören, ernst nehmen, und somit viel eher bereit dafür sind, uns etwas zu trauen? Oder anfangen zu verstehen, dass wir schon längst viel tun und dass wir das nicht länger verstecken?
In „Was wäre, wenn wir mutig sind?” gucke ich dahin, wo es schmerzhaft ist, weil die Welt sich so stark verändert. Und ich zeige Orte und Menschen, die schon heute verstanden haben, dass wir gefragt sind, unseren Teil zum positiven Wandel beizutragen. Auch darin steckt Hoffnung. Weil der Wandel nicht vom Himmel fällt, sondern wir können mitreden – und wir müssen es auch.
Was bedeutet für Sie Mut in der Klimakrise?
Das eine wäre, genau hinzugucken. Was liegt da eigentlich vor uns? Dann das genauer In-sich-selbst-Gucken: Wer bin ich? Was kann ich tun, was sind meine Möglichkeiten – und sind die vielleicht größer, als ich angenommen habe? Und dann auch, sich gegenseitig ernst nehmen. Also sich nicht nur fragen: Was kann ich tun, sondern was können wir tun? Wer ist mein Wir? Welche Freundin, welchen Kollegen, welchen Partner, welche Partnerin, Kind, Eltern, Großeltern nehme ich mit, wenn ich was tue?
Viele Menschen haben auch durch Fridays for Future Mut gefasst. Inzwischen ist der große Aufschrei jedoch vorbei – die Zahl der jungen Menschen bei den Protesten ist vielerorts zurückgegangen. Kann Fridays for Future noch Hoffnung geben?
Ich hoffe eher, dass die Leute nicht denken: Die Kinder kümmern sich ums Klima. Sondern wir als Fridays for Future versuchen, zu zeigen, dass es nicht allein um die Power von jungen Menschen geht, sondern um ganz, ganz viele Menschen, die sagen: Was wäre, wenn wir uns einsetzen? Was wäre, wenn wir uns zusammentun? Was wäre, wenn wir mutig sind? Denn das ist letztendlich das, was wir machen: darauf zu setzen, dass es immer wieder Möglichkeiten gibt, einen unwahrscheinlichen Wandel möglich zu machen.
Aber hat nicht die Letzte Generation das Ansehen des Klimaaktivismus beschädigt? Vorher stand er für friedlichen Protest, jetzt assoziieren viele Menschen damit Radikalität.
Ach, was radikal ist und was nicht, steht ja in dieser Welt auch ein bisschen kopf. Radikal finde ich die Klimakrise und die Klimaignoranz, die dem teilweise entgegengestellt wird. Die Letzte Generation hat gezeigt, dass wir in der Klimakrise verschiedene Wege gehen müssen im Protest, aber nicht jeder Weg gleich erfolgreich ist. Wir haben einen Weg gefunden, den Massenprotest, der vielfach sehr erfolgreich ist. Die Letzte Generation hat einen anderen probiert und damit wieder aufgehört.
Ich glaube, es ist ein guter Moment, um ein bisschen Nachsicht und Empathie zu üben. Wir wissen nicht, wie es jetzt mit Blick auf die Klimaneutralität weitergeht. Wir werden wahnsinnig viel ausprobieren müssen, nicht nur im Protest, sondern auch in der Transformation, in den Geschichten, die wir erzählen, in der Art und Weise, wie wir übers Klima sprechen. Und manchmal wird man Sachen machen, die nicht aufgehen, dann reflektiert man eine Runde und probiert einen anderen Weg.