Rechtsextreme Radikalisierung findet immer häufiger online statt. Wie die alte Ideologie im neuen Gewand in NRW Hass und Hetze verbreitet.
Rechtsextremismus wird digitalerKI-Kunstfigur Lara sendet Hass-Botschaften ins Kinderzimmer

Die KI-Figur „Lara“ verbreitet rechtsextreme Botschaften auf Social Media.
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Sie trägt eine Jeansjacke, die blonden Haare sind zu einem Zopf geflochten. Das Mädchen gibt sich bei Instagram als die 16-Jährige „Lara Labun“ aus, die die 10. Klasse eines Gymnasiums besucht. Auf den ersten Blick wirkt das Mädchen auf dem Foto jung, hübsch und unauffällig – wäre da nicht die Sprechblase neben ihrem Kopf. „Ich träume von Migration“, steht darin.
Hinter dem Profil steckt keine real existierende Person. Es handelt sich um die KI-generierte Kunstfigur eines Verlags, der von einem bundesweit aktiven Rechtsextremisten vertreten wird. In den sozialen Medien hat „Lara“ eine große Fangemeinde.
Die Zeiten, in denen Rechtsextreme daran zu erkennen waren, dass sie in schwarzen Bomberjacken unter Reichskriegsflagge und mit Schaum vor dem Mund durch die Straßen zogen, sind vorbei. „Er ist moderner, jünger, digitaler und kreativer geworden“, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul bei der Vorstellung des Lagebilds Rechtsextremismus in Düsseldorf. Die rechte Gesinnung „serviert sich den Sicherheitsbehörden nicht mehr mit Springerstiefeln auf dem Silbertablett“, so der CDU-Politiker. Es gelte, genauer hinzuschauen. Die neue Generation der Verfassungsfeinde trete oft absichtsvoll harmlos auf.
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Reul: Die neue Generation der Verfassungsfeinde tritt absichtsvoll harmlos auf
So wie im Fall von „Lara Labun“. Ihre fremdenfeindlichen Botschaften verbreiten sich auch in Buchform in den Kinderzimmern. Große Onlineversandhäuser haben die Reihe „Lara, die blonde Rebellin“ in ihrem Programm. Der Band „Lara in Gefahr“ sei ein „packender Roman“ über „Freundschaft, erste Liebe und die Suche nach der eigenen Identität“, heißt es in der Inhaltsangabe. Die rechtsextreme Ideologie wird nebenbei vermittelt. Lara und Freunde seien die „Letzte Generation Deutscher“, die sich in ihren toleranten Klassen wie Außenseiter fühlten.
Der Rechtsextremismus sei mittlerweile für viele junge Leute „zu einer Art Erlebniswelt“ geworden, erklärte Reul. „Im vergangenen Jahr haben wir 287 Tatverdächtige gezählt, die zwischen 14 und 17 Jahre alt waren. 2023 waren es mit 100 noch deutlich weniger“, so der NRW-Innenminister. „Insbesondere im Bereich der digitalen Chatgruppen sind mehr junge Täter aktiv, die sich bis hin zur Planung von schwersten Gewalttaten äußern“, fügte der Politiker aus Leichlingen hinzu.

Jürgen Kayser (l), Leiter des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen, und Herbert Reul (CDU), Innenminister von Nordrhein-Westfalen, stellten im Innenministerium den Lagebericht zu Rechtsextremismus vor.
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Rechtsextremisten versuchten zunehmend, sich die Jugendkultur zu eigen zu machen. Auf Gaming-Plattformen wie Steam oder Twitch werden demnach rechtsextremistische Inhalte verbreitet. „Musste man früher proaktiv an Kameradschaftsabenden oder von Rechtsextremisten organisierten Demonstrationen teilnehmen, um überhaupt mit der Szene in Kontakt treten zu können, reicht heute eine kurze Nachricht auf Telegram, TikTok oder Instagram aus, um Rechtsextremisten kennenzulernen“, heißt es in dem Lagebericht. Dies seien „optimale Bedingungen, um Propaganda zu verbreiten“. So werde ein ganz niederschwelliger Zugang zum Rechtsextremismus möglich.
Rechtsextremistische Inhalte auf Steam und Twitch
Die Verfassungsfeinde machten sich populäre „Türöffnerthemen“ zu Nutze. Seit ungefähr 2014 ist für Rechtsextremisten die Flüchtlingssituation das Topthema. „Sie versuchen, unter dem Deckmantel einer Kritik an der Flüchtlingspolitik menschenverachtende Botschaften zu verbreiten“, heißt es im Lagebild. „Dabei werden Flüchtlinge pauschal als Kriminelle dargestellt und als ,Sündenböcke‘ für zahlreiche politische Probleme instrumentalisiert. Zugleich versuchten die Rechtsextremisten, das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der liberalen Demokratie zu untergraben und sich selbst als „Kümmerer“ darzustellen.
Laut NRW-Innenministerium stieg die Zahl der rechtsradikal motivierten Straftaten im vergangenen Jahr um fast 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf 5640 stark an. Fast 80 Prozent der Taten waren Propaganda-Delikte.
Mit Sorge beobachten die Verfassungsschützer zudem die Gründung sogenannter „Active Clubs“, die Musikveranstaltungen – sogenannte Lieder- und Balladenabende – für junge Leute organisieren. „Man trifft sich im kleinen Kreis. Lauscht gemeinsam ruhigen, rechtsextremistischen Liedtexten“, erkläre Reul. Dann mache man zusammen Ausflüge, spiele Paintball oder gehe auf Konzerte. Ziel sei es, Leute an sich zu binden. „Junge Erwachsene werden durch Freizeitaktivitäten angesprochen, nach und nach beeinflusst und so in die rechtsextremistische Szene integriert. Und das funktioniert leider“, sagte Reul. Er erinnerte an das Video auf Sylt, das im Mai 2024 eine Debatte ausgelöst hatte. Ein beliebter Pop-Hit war mit fremdenfeindlichem Slogan umgedichtet worden.
Wie die Szene junge Erwachsene an sich zieht
Oft bliebt es nicht bei Gesängen. So war die „Neue Rechte“ Urheber der Kampagne „Stolzmonat“, bei der es im Sommer 2023 darum ging, CSD-Veranstaltungen gezielt zu stören. Die Gruppierung „Jung & Stark“ hatte gegen den CSD in Essen mobilisiert. Sie ist mit den Gruppierungen „Deutsche Jugend voran“ und „Kameraden Trupp“ digital vernetzt. Im Oktober 2024 gab es Durchsuchungen bei Mitgliedern einer Snapchat-Gruppe, die sich „Asgard Warriors“ nannte. Dort waren rechtsextremistische Inhalte und Bilder von Schusswaffen geteilt worden. Bei einem 18-Jährigen aus Krefeld fand die Polizei rechtsextremistische Symbole sowie verschiedene Waffen. Als besonders gefährlich gilt die „Terrorgram-Szene“, bei der auch Anhänger des IS-Ablegers „White Jihad“ zu finden sind.
Reul forderte die künftige Bundesregierung dazu auf, die Fahndungsmöglichkeiten der Sicherheitsbehörden durch Einführung der Vorratsdatenspeicherung zu verbessern. „Aber der beste Verfassungsschutz besteht aus mündigen Bürgerinnen und Bürgern, die für ihre Demokratie eintreten“, sagte der CDU-Politiker. Rechtsextremismus sei keine Gewitterwolke, die vorbeiziehe: „Auf besseres Wetter zu hoffen, bringt uns nicht weiter.“