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Tanzgastspiel in KölnKriegerisches Russland, ironisch dekonstruiert

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Israel Galván in „La Consagración de la Primavera“   

Köln – Für männliche Tänzer gibt es in der Geschichte nicht allzu viele Idole. So spukt vor allem ein Star und Stil-Erfinder immer wieder durch den zeitgenössischen Männer-Tanz: Vaslav Nijinsky. Auch der spanische Flamenco-Heroe Israel Galván ließ schon in früheren Gastspielen bei Tanz Köln erkennen, dass er zu den Fans zählt: Der Unterleib im Profil, der Oberkörper nach vorne verdreht, die Arme angewinkelt und die Hände mit geschlossenen Fingern flach neben dem Körper - diese kubistische Nijinsky-Urpose taucht immer wieder in Galváns Stücken auf.

Wenig überraschend also, dass der Bailaor jetzt eine Nijinsky-Produktion präsentiert: „La Consagración de la Primavera“, „Das Frühlingsopfer“, eben jene Strawinsky-Komposition, für die Nijinsky die erste Choreografie erfand und damit entscheidenden Anteil an einem der größten Bühnen-Skandale hatte. Doch das im Untertitel genannte „heidnische Russland“, das dieser Tage noch brutaler, noch kriegerischer klingen könnte als ohnehin schon, es präsentiert sich hier nicht als blutrünstiger Ritus, sondern als ironisch dekonstruiertes Frühlings-Flamenco-Opfer - kulturelle Aneignung sei Dank.

Die Bühne erinnert ein wenig an eine Baustelle: zerkratzte Holzplanken auf dem Boden, ein schwarz glitzernder Schotterhaufen, ein Metallpodest, die Ruine eines alten Klaviers. Dazu zwei edle Konzertflügel, auf denen die Pianistin Sylvie Courvoisier und der Pianist Cory Smythe Igor Strawinskys Fassung für zwei Klaviere spielen. Kein Orchesterwumms also, denn wenn Israel Galván eines nicht braucht, dann ist es Percussionbegleitung. Er ist selbst ein hochkomplexes Drum Set, kann jeder Körperpartie kraftvolle, schnell losratternde Tonfolgen und Zapateados entlocken.

Nackte Haut abgeklatscht

Zu Beginn ist es seine nackte Haut, die er abklatscht oder quietschend und jaulend über die Saiten des toten Klaviers schrubbt. Später dann sind es seine Schuhabsätze und nackten Fußballen, mit denen er jede Station seines mikrofon-verstärkten Werkstoff-Parcours traktiert.

Dumpfe und helle Holztöne, schrilles Metalldröhnen, knirschender Kies - eine Komposition, die sich über Strawinskys Klaviermusik legt, die Polyrhythmik noch übertrumpft, rebellisch gegen zarte Momente antrappelt, zuweilen ihre Wucht auch einfach verstärkt. Ein musikalischer Machtkampf, in dem auch Pianistin und Pianist irgendwann ihr Instrument martern, es mit Fäusten schlagen und an seinen Saiten zerren, wenn sie Strawinsky um zwei Kompositionen von Sylvie Courvoisier ergänzen.

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Galván wechselt derweil sekündlich die Gestalt. Metamorphosen zwischen Popstar-Sexappeal, Märtyrer-Verzückung, Mädchen-Liebreiz, Demagogen-Potenz. Dazwischen Zitate aus den Starrollen Nijinskys, seine todtraurige Petruschka-Puppe, sein geiler Faun, sein androgyner Rosengeist und letztlich in dieser Wandlungsfähigkeit vor allem das: der Unberechenbare, der Psychotische, der Nijinsky wohl auch war. Am Ende ist klar: Ein Opfer kann es in dieser Tanzversion nicht geben. Israel Galván und seine fantastische Flamenco-Verrücktheit bleiben unbezwingbar.

Nächstes Gastspiel bei Tanz Köln: „Triptych“ von Peeping Tom am 25./26.03.2022 im Depot 1