Ukrainische Sängerin in Köln„Ich soll weinen und erzählen, aber ich habe keine Worte“
Köln – Mariana Sadovska, André Erlen, Sie haben zusammen einen Solidaritätsabend mit der Ukraine im Schauspiel Köln organisiert. Was kann man als Künstler in so einem Konflikt tun?André Erlen: Erst mal ist es für einen selber und für das Publikum vor Ort wichtig, dieses Gefühl, man kann etwas tun und teilen. Aber es kommt auch Feedback von unseren Freunden aus der Ukraine, dass es für sie unglaublich wichtig sei, das zu hören und zu sehen. Andere wenden sich freilich schon ab, die sagen: 20 Jahre lang haben wir in Deutschland gegen Wände angeredet. Gebt uns Waffen und dann organisieren wir das für uns. Natürlich stoppt kein Konzert irgendein Krieg. Aber auch die Kulturvermittlung und Förderung von ukrainisch-europäischen Projekten trägt Früchte: Auf diese Weise bekommen diese Menschen, bekommt diese Kultur auch ein Gesicht. Aber es ist noch viel zu wenig: Wo sind die Theaterstücke aus der Ukraine? Wo ist die Auseinandersetzung mit dem stalinistischen Hungertod von Millionen von Menschen? Die Verantwortung der deutschen Armee auf dem Gebiet der Ukraine nicht nur im Zweiten auch im Ersten Weltkrieg? Für mich ist die Ukraine gerade das spannendste Land in Europa. Sie hat aus einer Pluralität, die wir uns hier gar nicht vorstellen können, einen Nationbuilding-Prozess geschafft, ist trotz des militärischen Drucks nicht in eine Diktatur abgedriftet.
Frau Sadovska, Sie sind Ukrainerin, wie geht es Ihren Freunden und Verwandten im Moment?
Mariana Sadovska: Ich sollte eigentlich gerade selber in Charkiw sein, dort zusammen mit André einen Theater-Workshop leiten. Jetzt gucke ich jede Nacht auf Facebook vor dem Einschlafen, ob meine Freunde und Verwandte noch leben. Ich finde keine Worte, für das was dort jetzt mit den Leuten passiert. Eine Schriftstellerin, ich möchte hier keine Namen nennen, die aus Luhansk kommt und nach Kiew geflohen ist, hat vor zwei Tagen ihren kleinen Sohn in Richtung Westen geschickt und ist selber geblieben. Aus dieser wunderbaren, hübschen Frau ist in drei Tagen eine alte Frau geworden. Ein befreundeter Regisseur hatte gerade einen Nervenzusammenbruch. Er ist in Cherson im Südosten des Landes von der russischen Armee eingekesselt. Letztes Jahr hat er seine Frau an Krebs verloren. Er hat ein siebenjähriges Kind, seine Mutter sitzt im Rollstuhl. Die haben stundenlang auf einen Zug gewartet, der dann nicht gekommen ist.
Zur Person
Mariana Sadovska wurde 1972 im ukrainischen Lwiw geboren. Seit 2002 lebt die Sängerin und Komponistin (u.a. Auftragswerke für das Kronos Quartett) in Köln.
Ihr Mann André Erlen, 1974 in Köln geboren, hat als Regisseur und Performer die Theatergruppe Futur3 und das Ensemblenetzwerk Freihandelszone mitgegründet.
Am Mittwoch fand im Schauspiel Köln ein von ihnen organisiertet Solidaritätsabend für die Ukraine statt.
Es ist Ihnen unangenehm, davon zu erzählen
Sadovska: Ich bin in den letzten Tagen oft von Journalisten gefragt worden, wie ist meiner Familie geht. Man will, dass ich weine, dass ich erzähle, wie schlimm das ist. Wie schlimm? Dafür habe ich keine Worte. Aber ich kann sagen: das, was die Leute jetzt an Widerstand leisten, das ist unfassbar. Wir sind Künstler, Pazifisten. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal so stolz auf unsere Armee sein könnte, auf alle die jetzt die Ukraine verteidigen.
Erlen: Das erste, was uns unsere Theater Kollegen aus Lwiw auf die Frage, wie wir helfen können, geantwortet haben, war: Unterstützt unsere Armee. Da musste man erst mal schlucken. Vor zwei Jahren hatte ich in Senftenberg ein interaktives Stück zur Ukraine inszeniert. Da haben wir das Publikum gefragt: „Würdest du dein Land mit der Waffe verteidigen?“ Damals haben alle bis auf zwei ältere Personen mit Nein geantwortet.
Was wird sonst noch dringend gebraucht?
Erlen: Natürlich Medizin, humanitäre Hilfsgüter. Aber eben auch Gerät, um Städte zu verteidigen. Da geht es nicht um die Soldaten. Da sind jetzt Freunde und Bekannte von uns im Einsatz. Die unterstützen die Armee in den hinteren Reihen. Das heißt „Territorial Defense“.
Sadovska: Das sind ganz normale Menschen. Zum Beispiel eine Regisseurin und Performerin aus der Krim, die also schon einmal ihre Heimat verloren hat. Wir hatten vor zwei Wochen bei unserem ersten Happening „Make Art Not War“ mit ihr in einer Live-Schalte gesprochen. Die ist jetzt mit Gewehr in der „Territorial Defense“ in Kiew. Auch mein Bruder, der nie Soldat war. Das ist schlimm. Aber gestern noch hat uns ein Kollege einen Witz erzählt… Nein, den erzähle ich lieber nicht.
Der könnte uns helfen zu verstehen, wie die Menschen mit ihrer schrecklichen Situation fertig werden.
Sadovska: Also gut: Die Männer stehen Schlange, um sich freiwillig zur „Territorial Defense“ zu melden. Da startet ein russischer Flugangriff. Ihnen wird gesagt, sie sollen in Deckung gehen. Die Antwort: „Wenn ich in Deckung gehe, verliere ich ja meinen Platz in der Schlange.“ Die Ukrainer können lachen, das ist auch eine Waffe. Diese Menschen haben oft keine Schutzwesten, keine Helme, sie versuchen mit bloßen Händen Panzer aufzuhalten.
Was haben Sie in den vergangenen Tagen noch getan, um zu helfen?
Sadovska: Ich habe am ersten Tag des Krieges alle meine Freunde in der Welt um Hilfe angeschrieben, habe einfach unsere private Kontonummer angegeben. Wir haben Unmengen Geld aus Israel, Amerika, Frankreich, Finnland – überall, wo wir gearbeitet haben – bekommen. In diesem Augenblick ist ein Bus mit Nachtsichtgeräten, Drohnen und Medikamenten, die wir von den Spenden gekauft haben, unterwegs. Mir hat jemand gesagt, das Finanzamt wird dich ins Gefängnis bringen. Wenn Putin erst mal vor dem Kriegsverbrecher-Tribunal steht, dann gehe ich auch gerne ins Gefängnis.
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Sie haben auch gleich am ersten Tag des Krieges die Demonstration auf dem Neumarkt mit organisiert…
Sadovska: Davor gab es auch schon Demos, die ich mit dem Deutsch-ukrainischen Verein Blau-Gelbes Kreuz organisiert habe. Nur sind zu denen nur 100 Ukrainer und 20 Belorussen gekommen, sonst niemand. Der Verein hat vorher hauptsächlich Ferien für Kinder aus Kriegsgebieten in Deutschland organisiert, hat Krankenhäuser und Waisenhäuser unterstützt. Jetzt haben sich viele meiner Freunde von der Arbeit frei genommen, um dort mitzuhelfen.
Nun wurden einige ihrer Forderungen erfüllt, etwa was die Sanktionen betrifft, oder die Position der deutschen Bundesregierung. Hat Sie das überrascht?
Sadovska: Ich habe das Gefühl, die Leute sind aus ihrer warmen, reichen, naiven Social-Media-Gemütlichkeit aufgewacht. Endlich merken sie, mit welchem Psychopathen wir es hier zu tun haben. Der droht uns mit Nuklearwaffen.
Erlen: Das ist jetzt eine Vereinigung auf Basis eines kleinsten gemeinsamen Nenners. Über 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ein Land mit 40 Millionen Menschen anzugreifen, das ist natürlich der Wahnsinn. Georgien, oder die Krim, das hatten wir immer als Regionalkonflikte weggewischt. Jetzt brauchen wir dringend eine fundamentale Diskussion in der europäischen Gesellschaft. Darüber, wie wir uns neu aufstellen wollen, sicherheitspolitisch, partnerschaftlich, militärisch, ökologisch. Der Krieg wird uns noch Einiges kosten.
Sadovska: Das russische Propagandafernsehen benutzt das Wort „Ukrainer“ nicht, die sprechen nur von „Nationalisten“. Deswegen spreche ich statt von Putin und seiner Armee nur noch vom kleinen, dicken Diktator und seinen Orks. Ich habe sehr viel Zorn in mir. Die bombardieren längst nicht mehr nur die Infrastruktur, sondern Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten und Wohnsiedlungen. Die Russen müssen jetzt den Mut haben, Nein zu sagen. Viele Menschen in Russland wissen natürlich gar nicht, was in der Ukraine passiert. Deshalb appelliere ich an alle Leser, die russische Freunde oder Familie haben: Erzählen sie ihnen die Wahrheit. Über die Bombardierungen, über getötete russische Soldaten. Wir sind keine Nationalisten. Seit der kleine Diktator 2014 die Ukraine angegriffen hat haben wir schon zweimal frei gewählt. Der jetzige Präsident ist ein russisch sprechender Jude. Wo gibt es das sonst noch in Europa? Es ist kein Krieg zwischen Ukraine und Russland, es ist ein Krieg zwischen Demokratie und Diktatur.