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Putins LügenWarum ein Kriegsgrund nicht glaubwürdig sein muss

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Ein Paar aus der Ostukraine verfolgt die Putin-Ansprache.

Köln – Der Ausspruch, dass im Krieg die Wahrheit das erste Opfer sei, wird häufig Aischylos, dem Vater der griechischen Tragödie, zugeschrieben. Aber das ist bereits die erste Lüge. Das Zitat ist sehr viel jünger. Angeblich hat es der kalifornischen Gouverneur und spätere US-Senator Hiram Johnson geprägt, um seine isolationistische Position im Ersten Weltkrieg zu untermauern.

Doch auch hier fehlt der Beleg und bevor wir jetzt weiterforschen, sollten wir feststellen, dass der Gemeinplatz womöglich selber keinen Anspruch auf Wahrheit erheben kann. Schließlich wird diese in der Regel lange vor dem Ausbruch der Feindseligkeiten so lange ignoriert, deformiert, oder eskamotiert, bis sie zur Legitimation des Krieges hinreicht.

Diese Taschenspielertricks mit der Wahrheit kann man derzeit in Echtzeit verfolgen: Etwa in Wladimir Putins Fernsehansprache, in welcher der russische Präsident nicht nur die Anerkennung der ukrainischen Separatistenrepubliken Donezk und Luhansk verkündete, sondern die Ukraine in ihrer Gesamtheit in Frage stellte - als ein vollständig vom kommunistischen Russland geschaffenes Land. Die Regierung in Kiew, so Putin, sei ein Marionettensystem, mit dessen Hilfe die USA und die Nato Russland bald sogar mit neuen Nuklearwaffen bedrohen könnten.

Angriff mit Friedenstruppen

Das ist ebenso hanebüchen wie die Behauptung eines Genozids an der russischstämmigen Bevölkerung in der Ostukraine (Putin hatte in den letzten Wochen immer wieder Vergleiche mit dem Massaker von Srebrenica in Bosnien gezogen). Oder Putins Forderung an Kiew, seine Kampfaktionen abzubrechen. Gegen diese angeblichen Aktionen entsendet Russland nun „Friedenstruppen“.

Zur Untermauerung dieser steilen Thesen strahlte das russische Fernsehen unter anderem Bilder eines nächtlichen Feuergefechts in einem Wald aus, die von der Helmkamera eines ukrainischen Saboteurs stammen sollen, der eine Chlorfabrik in der von den prorussischen Rebellen gehaltenen Stadt Horlivka in die Luft jagen wollte. Westliche Experten brauchten nicht lange, um die verwendeten Schuss- und Explosionsgeräusche einem zehn Jahre alten Youtube-Video einer finnischen Militärübung zuzuordnen.

Faule Fälscher

Derlei Manipulationen habe man erwartet, sagte ein solcher Experte gegenüber dem britischen „Guardian“. Tatsächlich hatten die USA im Vorfeld des Konflikts immer wieder vor solchen vorgeschützten Kriegsgründen gewarnt. Was ihn freilich überrasche sei, dass die russischen Fälscher es nicht besser gemacht haben: „Es ist wirklich dumm und faul.“

Was aber sollen stümperhaft gefälschte Videos und Ansprachen, deren Argumentationsketten vom Konflikt-Gegner bestenfalls als bizarr wahrgenommen werden, bewirken?

Hybrider Krieg

Lügen, Fake News, Propaganda in den (Sozialen) Medien und Cyberattacken gehören neben konventionellen und verdeckten Militäreinsätzen sowie wirtschaftlichen Maßnahmen zur hybriden Kriegsführung.

Ziel der hybriden Kriegsführung ist die Destabilisierung des Gegners und die Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Der Krieg wird bereits geführt, bevor offene Kampfhandlungen ausgebrochen sind. Dementsprechend unsicher fällt die Reaktion des Gegners aus.

Der US-amerikanische Militärexperte Frank Hoffman prägte den Begriff 2005. Nach Putins militärischen Interventionen auf der Krim und in der Ostukraine im Jahr 2014 wurde er einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. (cbo)

Und: Sind solche Kriegslügen nicht immer erschreckend durchsichtig? Am 31. August 1939 überfiel ein kleiner SS-Trupp, als polnische Freischärler posierend, den deutschen Sender Gleiwitz. Hitler diente das als Casus Belli. „Von jetzt ab wird Bombe mit Bombe vergolten“, verkündete der Diktator am nächsten Tag vor dem Reichstag.

Wie Hitler Fakten schuf

Das war keine Drohung mehr, sondern eine Feststellung. Die Fakten waren geschaffen worden. Wenige Tage zuvor hatte er in einer Ansprache vor den Oberbefehlshabern der Wehrmacht eine solche fingierte Aktion angekündigt und hinzufügt: „Die Glaubwürdigkeit ist dabei gleichgültig, im Sieg liegt das Recht.“

Nicht anders war Japan acht Jahre zuvor vorgegangen, als japanische Offiziere einen Sprengstoffanschlag auf die Südmandschurische Eisenbahn verübten und chinesische Saboteure dafür verantwortlich machten: Ein Vorwand zur Besetzung der gesamten Mandschurei. Und nicht anders würde Russland wenige Monate später in Mainila vorgehen, wo die Artillerie der Roten Armee absichtsvoll auf die eigenen Soldaten im Ort schoss, aber behauptete, finnische Truppen jenseits der Grenze hätten das Feuer eröffnet. Vier Tage später brach der Winterkrieg zwischen der Sowjetunion und Finnland aus.

Propaganda für die Kinderbeilage

Dass solche Aktionen unter falscher Flagge zumindest nach außen hin kein überzeugendes Narrativ abgeben, kann man zum Beispiel daran erkennen, dass der belgische Comiczeichner Hergé den mandschurischen Zwischenfall drei Jahre später im Tim-und-Struppi-Band „Der blaue Lotus“ aufnahm. Was ist das für eine Kriegslüge, die selbst in der Kinderbeilage einer Tageszeitung als Farce dargestellt wird?

Glaubwürdigkeit scheint in der Tat kaum eine Rolle zu spielen. Ein fingierter Kriegsgrund ist als offizieller Kriegsgrund hinreichend. Ein Angriffskrieg ist völkerrechtswidrig. Wenn man - wie nun Putin - ihn dennoch plant, muss man zumindest der Form halber den Standpunkt vertreten, man sei nur aus Verteidigungsgründen eingeschritten, etwa um einen Genozid zu verhindern.

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Es ist eventuell sogar von Vorteil, nach außen hin nicht glaubwürdig zu wirken. Putins Fernsehansprache ist vom Westen ganz richtig als Drohung gedeutet worden. Und als Position, mit der man sich, sollte es doch noch Verhandlungen geben, wohl oder übel auseinandersetzen muss. Je irrationaler seine Argumente, desto bedrohlicher wirkt der Kremlchef.

Eine mehr oder weniger offene Lüge als Kriegsgrund ist damit nicht zuletzt ein Machtbeweis: Seht nur, womit ich durchkomme!