Die israelische Bestellerautorin kam mit ihrem 30 Jahre alten und dabei erschreckend aktuellen Debütroman zu einer lit.Cologne-Lesung ins Schauspielhaus.
Israelische Autorin Zeruya Shalev in Köln„Ich habe überlegt, ganz aufzuhören zu schreiben“
Es ist ein im besten Sinne durchgeknalltes Buch, das Zeruya Shalev mit ins Kölner Schauspielhaus gebracht hat. Ein wütendes, paranoides, absurdes Buch, das vielleicht besser in die heutigen Zeiten passt als in die 1990er, überlegt die israelische Autorin. Denn als sie es damals geschrieben hat, reichten die Reaktionen von verständnislos bis beleidigend.
Nun, 30 Jahre und viele vom Publikum und Kritik gefeierte Romane später, ist Zeruya Shalevs Debüt „Nicht ich“ zum ersten Mal auf Deutsch erschienen. Sie habe nach den teils vernichtenden Kritiken sogar darüber nachgedacht, ganz aufzuhören zu schreiben, erzählt die israelische Autorin, die für eine erste lit.Cologne-Veranstaltung vor dem eigentlichen Festival im März nach Köln gekommen ist.
Damals Metapher, heute Wirklichkeit
Heute, nach dem Angriff der Hamas, liest es sich der Text erschreckend aktuell, beinahe prophetisch. Da ist immer wieder von der fünfjährigen Tochter der Erzählerin die Rede, die von Soldaten entführt worden sei. Von einem beängstigenden Tunnelsystem unter der Kita. Was jetzt Wirklichkeit wurde, seien damals für sie Metaphern gewesen, sagt Zeruya Shalev: „Die Bilder in dem Buch vermitteln ein Gefühl davon, wie es ist, in Israel aufzuwachsen. Ein Kind in Israel zu haben. Als ich Mutter wurde, kamen all die Gefühle und Albträume aus meiner Kindheit wieder hoch – aus dem Krieg und von Terrorattacken.“
Ob sie in der jetzigen Ausnahmesituation in Israel überhaupt schreiben könne, fragte Moderatorin Shelly Kupferberg. Und die Autorin verneint. Eigentlich habe sie ein neues Buch angefangen, aber seit dem Überfall der Hamas die Datei nicht mehr geöffnet, weil sie sich komplett gelähmt fühle: „Kann ich mir einfach Geschichten ausdenken, während mein Land so voll von furchtbaren, tragischen Geschichten ist?“, fragt sie sich. Andererseits erinnert sie an eine ähnliche Debatte in Israel in den 1940ern. Vor allem die männlichen Autoren hätten sich damals dafür starkgemacht, nur noch über den Krieg zu schreiben. Die Dichterin und Autorin Lea Goldberg aber habe appelliert, die einfachen Sachen und die Liebe nicht zu vergessen: „Nur so können wir menschlich bleiben.“
Die Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin Maria Schrader las die deutschen Passagen von „Nicht ich“ – schon bei der lit.Cologne 2002 las sie die deutsche Übersetzung von Zeruya Shalevs Erfolgsroman „Liebesleben“, den sie später verfilmte.
„Nicht ich“ ist eine wilde Fabulierkunst mit einer komplett unzuverlässigen Erzählerin. Ständig gibt es neue verrückte Volten und Variationen. Nichts und niemandem ist über den Weg zu trauen. Der Text kreist immer wieder um die Scheidung von dem Mann der Erzählerin – „etwa anderthalb Jahre lang schrieb ich über sie, und an deren Ende zerbrach auch meine Familie“, schreibt die Autorin im Vorwort.
Ihr Vater, erzählt sie, habe ihr schon als 5-jährige „Die Verwandlung“ von Kafka zum Einschlafen vorgelesen. „Ich weiß nicht, ob ich danach so gut geschlafen habe, aber ich habe mich gefühlt, wie ein anderes Kind. Das hatte einen starken Einfluss auf mich und ich denke, das trage ich mit mir durchs Leben.“ Vielleicht liegen hier ja die Wurzeln für die absurd-beängstigende Grundierung des Textes. Und trotzdem ist schon dieser Erstling durch und durch eigenständig und eigenwillig. Familie, Ehe, Liebe, Erotik, Beziehungen, Kinder - viele Themen, die Shalevs Erzählen prägen, sind hier schon angelegt. Nur eben auf eine ganz besonders wilde, zornige, albtraumhafte Art.
Nach seinem schlechten Start habe sie ihren ersten Roman lange verdrängt, erzählt sie. Doch nun habe sie „plötzlich gefühlt, dass das Buch zu mir spricht und mich zum Lachen und Weinen bringt. Ich dachte, es könnte heute relevant sein, vielleicht sogar mehr als damals.“
Zeruya Shalev, "Nicht ich", Berlin Verlag, 208 Seiten, 24 Euro.
Die lit.Cologne findet in diesem Jahr vom 5. bis zum 17. März statt. Maria Schrader liest am 16.3. den Text von Jan Schomburg bei der Veranstaltung "Ektoplasma, Séancen, Geisterseher!". Und am 17.3. gestaltet Maria Schrader eine Veranstaltung zu Franziska zu Reventlow unter dem Titel "Die wilde Bohemienne ".