Jazz-Star Joachim Kühn spielt mit Trompeter Matthias Schriefl im Stadtgarten eines seiner letzten Live-Konzerte überhaupt. Ein Gespräch über die hohe Kunst des Duos, seinen Bruder Rolf sowie den Wert der Schönheit
Jazz-Weltstar Joachim Kühn„Ich will meine Musik ständig weiterentwickeln“
Joachim Kühn ist einer der wenigen deutschen Weltstars des Jazz. Nach diversen Ensembles im Free Jazz sowie im Jazz-Rock erlangte sein Trio mit J.F. Jenny-Clark und Daniel Humair weltweit Berühmtheit.
Lange Jahre spielte der 78-jährige mit Ornette Coleman, später öffnete er sich Bereichen der Weltmusik, so im Trio mit Majid Bekkas und Ramón Lopez. Seine Musik- und Gedankenwelt spiegelt sich freilich in noch weit mehr Facetten zwischen Bach und Modern Jazz.
Auch mit Köln ist der Weltmusiker und Weltreisende aus Leipzig immer mal wieder verbunden. So nahm er schon 1970 mit seinem Bruder Rolf Kühn in den Cornet-Studios von Wolfgang Hirschmann auf.
Herr Kühn, Sie leben auf Ibiza, wo Sie vor mehr als zehn Jahren Ihre hinreißende Solo-CD „Free Ibiza“ aufnahmen. Hält die darauf hörbare Leidenschaft für die Insel immer noch an?
Joachim Kühn: Absolut. Ich bin gerne hier, und wenn ich sehe, was in der Welt alles vor sich geht, wächst meine Begeisterung für Ibiza sogar noch weiter.
Neben Ihren Trios bevorzugen Sie die solistische Spielweise, doch auch Ihre Duos mit Jasper van’t Hof oder Archie Shepp, Michael Wollny oder Mateusz Smoczyński haben eine lange Tradition. Welchen Stellenwert haben solche intimen Zwiegespräche für Sie?
Kühn: Da gibt es keine Regeln. Man kann aber nicht von „intim“ sprechen, man muss halt sehr konzentriert miteinander umgehen. Ich freue mich auf mein erstes Duett mit Trompete. Zwar habe ich mit Trompetern wie Don Cherry gespielt, auch von Wynton Marsalis gibt es ein Solo auf einem meiner Alben, doch fürs jetzige Duett wünschte ich mir jemanden, der mir allein schon sprachlich nahesteht. Ich weiß, wie gut Matthias Schriefl spielt, er ist sozusagen mit allen Wassern gewaschen. Wir haben im Studio auf Ibiza drei Tage lang geprobt, aufgenommen und entwickelt, was wir nun im Konzert vorstellen: Stücke von uns, hauptsächlich natürlich Improvisationen. Wir werden sehen, wie es am Ende klingt, das ist im Jazz ja immer wieder eine Überraschung.
Jazz-Weltstar Kühn: „Musik muss Freude machen“
Einem Duo-Partner oder einer Duo-Partnerin müssen Sie intuitiv viel Vertrauen entgegenbringen.
Kühn: Ich könnte mit niemandem spielen, den ich als Mensch nicht mag, das ist die Grundvoraussetzung. Danach wird man sehen, wie man zusammenkommt, jeder hat ja seinen Eigenheiten. Ich habe fünf Jahre im Duo mit Ornette Coleman spielen können, nicht zu vergessen die Jahre mit meinem Bruder Rolf, mit dem ich viele Duo-Konzerte gespielt habe. Jetzt war mein Wunsch die Trompete. Danach spiele ich dann noch ein Solokonzert sowie Duett-Konzerte mit Michael Wollny, insgesamt aber ist das quasi meine Abschiedstournee vom Konzertleben.
Ist das definitiv?
Kühn: Für mich ja.
Vor fünf Jahren haben Sie in Köln ein hochintensives Duo-Konzert mit Saxofonistin Angelika Niescier gespielt. Stellen Sie sehr große Anforderungen an Ihre Dialogpartner?
Kühn: Ich stelle erst einmal hohe Anforderungen an mich selbst. Vor allem muss es musikalisch passen, man muss zusammen überlegen, was man will. Mit Lee Konitz habe ich ausschließlich Standards gespielt, wobei ich sehr auf ihn eingehen musste. Mit Matthias ist das jetzt anders, wir wollen einfach miteinander unsere Musik machen. Ein Wort wie „streng“ existiert nicht in meinem Wortschatz, im Gegenteil, die Musik muss Freude machen, wobei das Feeling das Entscheidende ist.
Ob Trio, Duett oder Solo, viele Ihrer Alben und Stücke deuten im Titel auf tiefere Strömungen. Ob „Love and Peace“, „Peace Piece“ oder „Beauty & Truth“: Mit oft hymnischer Geste und zugleich tiefer innerer Ruhe dringen Sie in spirituelle Bereiche vor…
Kühn: Na ja, ich beschäftige mich mein Leben lang mit nichts anderem als mit Musik. Seit meinem fünften Lebensjahr spiele ich nun Klavier, hatte mit sechs mein erstes Konzert und habe seitdem kein Jahr ausgelassen. Als ich Mitte der 1970er-Jahre nach Kalifornien kam und ein völlig anderes Leben entdeckte, änderte sich mein musikalischer Geschmack vorübergehend. Womöglich aber spielen Sie auf mein Album „Touch the Light“ an, auf dem ich Balladen spiele?
Auch, aber es geht grundsätzlich um die tieferen Schichten in Ihrer Musik.
Kühn: Ich hoffe immer, dass sich meine Musik stetig verbessert. Deswegen spiele ich fast nur neue Stücke, will die Musik ständig weiterentwickeln. Natürlich setze ich mich nicht einfach hin und spiele, ich muss tief in die Musik eintauchen. Das braucht viel Vorlauf, es ist ein langer Prozess. Auch fließt viel Lebenserfahrung ein, und doch mache ich für jedes Konzert ein neues Programm und spiele nie das Gleiche. Bis zum letzten Moment kann sich noch etwas ändern, um dann wirklich aus dem Moment heraus spielen zu können. Der Prozess selbst aber läuft schon Wochen vorher im Kopf ab. Das soll auch ohne Konzerte weiterhin so bleiben. Ich nehme mir dabei meinen Bruder Rolf zum Vorbild, der noch mit fast 93 Jahren spielte. Und wie! Ich habe ein riesiges Arsenal an unveröffentlichten Aufnahmen von uns aus den Jahren 1964 bis 2011. Die jüngeren Stücke wollte ich wieder aufleben lassen, zwei Wochen vorher ist er dann gestorben. Das war tragisch, da hing mein ganzes Leben dran. Durch Rolf bin ich erst Jazzmusiker geworden. Es war eine absolute Bruderliebe, ich habe ihm alles zu verdanken, was ich geworden bin.
Sie sprachen von Ibiza als Rückzugsort vom aktuellen Weltgeschehen. Im Grunde diskreditiert der Zustand der Welt doch alles, was Sie mittels Musik ausdrücken.
Kühn: Ich nehme es enttäuscht und traurig zur Kenntnis. Immer noch gibt es Kriege, die Welt ist und bleibt ungerecht, es hört nie auf. Ich versuche, davon unbeeindruckt Klavier zu spielen und mich nur von dem beeinflussen zu lassen, was ich musikalisch mache. Vielleicht ist gerade jetzt aber die Zeit, in der man mehr denn je die Schönheit ausdrücken muss. Wenn ich Musik spiele, denke ich nicht an die üblen Sachen in der Welt. Ebenso hat es mir immer schon Freude gemacht, Musik zu hören. Als ich mit 17 zum ersten Mal Miles Davis und Ornette Coleman im Radio hörte, wusste ich, dass ich mit denen mein weiteres Leben verbringen werde. Auch mit Klassik, Beethoven, Bach, mit Pierre Boulez und den Neutönern aus den 1960er-Jahren. Damals war alles möglich und ging in alle Richtungen über. Das ist mein Lebenselixier.
Das Gespräch führte Horst Peter Koll
Im Stadtgarten spielt Joachim Kühn zusammen mit Matthias Schriefl zwei seiner letzten Live-Konzerte. 20./21.1., jeweils 20 Uhr.