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Jim MorrisonEr erfand den Rockstar und wäre lieber Literat gewesen

Lesezeit 4 Minuten

Jim Morrison im Jahr 1968

Köln – Später würde Ray Manzarek schwören, dass er an jenem Abend in New Orleans Jim Morrisons Seele gesehen hat. Dass, just in dem Moment, als er von seinem Keyboard aufblickt, der Heilige Geist des Rock’n’Roll dem Körper des Sängers als Dunstwolke entweicht, um eine leere, geblähte Hülle zurückzulassen. An diesem Abend des 12. Dezember 1970 begräbt Jim Morrison seine Karriere als Performer, als Schamane und Sexgott einer Generation. Es ist sein letztes Konzert mit den Doors, sein letzter Auftritt überhaupt.

Der einst ranke „Lizard King“ ist aufgedunsen von etlichen Flaschen Wild-Turkey-Bourbon und sein sanft murmelnder Bariton poltert wie das Belfern eines fetten, übelgelaunten Säufers (was seinen Reiz hat, man höre nur die James-Brown-Hommage „The Changeling“).

Jim Morrison quält sich über die Bühne

Im Warehouse in New Orleans quält sich ein betäubter Morrison noch durch den psychedelischen Todesmarsch von „The End“ – das dramatische Ende hatten die Doors bereits auf ihrem Debüt angekündigt. Dann greift der Sänger in einem Tobsuchtsanfall den Mikrofonständer, rammt ihn wieder und wieder in den Bühnenboden, bis Splitter von den Holzbohlen fliegen und geht wortlos ab.

„Break on Through (To the Other Side)“ hatte Morrison fast vier Jahre zuvor gefordert, noch hoffnungsvoll. Jetzt hinterlässt er ein Loch, hinter dem sich keine andere Seite verbirgt, und ratlose Bandkollegen, die auf der Stelle beschließen, die restlichen Termine der Tour abzusagen, ja in Zukunft als reine Studioband weiterzumachen, wie zuvor die Beatles.

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The Doors hatten sich ihren Bandnamen von Aldous Huxleys Drogenessay „The Doors of Perception“ („Die Pforten der Wahrnehmung“) entliehen, der hatte ihn wiederum in einem Gedicht des englischen Mystikers William Blake gefunden: „Würden die Türen der Wahrnehmung gereinigt, schiene dem Menschen alles so, wie es ist, unendlich.“

Doch die Türen, die LSD und die Rockmusik, die unter dem Einfluss des Halluzinogens mit entsprechend bewusstseinserweiterndem Anspruch entstand, aufgestoßen haben, sie sollten sich ebenso schnell wieder schließen. Waren es nicht gerade die Doors, welche die Hippiedämmerung von Anfang an vorausgesagt haben?

Liebe, Frieden und Glückseligkeit gehörten sowieso nicht zu Jim Morrisons Hauptinteressen. Schon in der Schule – in seinen vielen Schulen, er musste als Sohn eines Konteradmirals oft umziehen – irritierte er seine Lehrer durch Referate über Bücher, von denen die noch nie gehört hatten: Abhandlungen über Dämonologie oder Gedichte von Arthur Rimbaud.

Morrisons Grab auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise

Ein paar Jahre darauf war es sein Kommilitone Ray Manzarek, der dem Filmstudenten Morrison vorschlug, seine Gedichte als Rock-Lyrics zu vertonen. Woraufhin Morrison auf die im Rückblick geniale Idee verfiel, dass man den Massen die geheimen Lehren der literarischen Moderne näher bringen könnte, wenn man sie nur so singt wie Elvis, sein großes Idol, bevor er Nietzsche, Celine und Jack Kerouac entdeckte. Damit war die Figur des Rockstars geboren – ein Hybrid aus Sex, Lärm und künstlerischer Avantgarde – die David Bowie zu ihrer schönsten Blüte bringen würde, als Jim Morrison schon tot war.

Er selbst war daran gescheitert, dass die Massen nur den geschmeidigen Kerl in der Lederhose sahen und seine literarischen Anspielungen eins zu eins als Aufrufe zum kollektiven Ausflippen missverstanden. Bis zu jenem verhängnisvollen Auftritt in Miami, während dessen ein trunkener Morrison drohte, seinen Penis zu zeigen, was ihm eine sechsmonatige Freiheitsstrafe einbrachte, die er zum Zeitpunkt seines Todes noch nicht angetreten hatte.

Sein Pariser Grab ist ein Wallfahrtsstätte

Das Konzert von New Orleans ist nicht das Ende von Morrison und den Doors, zusammen nehmen sie noch das verkatert-bluesige Album „L.A. Woman“ und eine ihrer besten Singles auf, „Riders on the Storm“. Während der Sessions hält er sich sogar mit dem Trinken zurück.

Dann kann sich Jim Morrison endlich befreien, von seinen Bandkollegen, von Los Angeles und seiner Musikindustrie, von Amerika und vom Rock’n’Roll, dessen Freiheitsversprechen ihn nur immer tiefer ins Herz der Finsternis geführt hat. Er zieht nach Paris, dem bevorzugten Exil amerikanischer Modernisten. Aber er kommt 50 Jahre zu spät. Er ist kein Rockstar mehr, zum Dichter macht ihn das noch lange nicht. Er spricht kein Französisch, findet keinen Halt, fängt wieder an zu trinken und Drogen zu konsumieren. Bis er tot in der Badewanne eines Apartments im dritten Stock eines großbürgerlichen Hauses im Pariser Marais-Viertel aufgefunden wird, erst 27 Jahre alt.

Genau 50 Jahre ist das an diesem Samstag her. Seitdem liegt Jim Morrison auf dem Friedhof Père Lachaise in bester literarischer Gesellschaft. Molière, Balzac, Proust, Oscar Wilde. Besucht und dekoriert wird allerdings vor allem sein Grab. Er sticht immer noch heraus wie ein bunter Hund.