1981 wurde Erlemann als 11-Jähriger im Hahnwald in ein Auto gezerrt – eine der aufsehenerregendsten Entführungen der Bundesrepublik. Ein Gespräch.
Kölner Kindes-EntführungJohannes Erlemann: „Ich bin kein Opfer, sondern ein Überlebender“
Im März 1981 haben Sie Männer im Forstbotanischen Garten in Rodenkirchen vom Rad gezerrt, um Sie zu entführen und Lösegeld zu erpressen. Warum haben Sie sich nach Jahrzehnten dazu entschlossen, die schmerzhafte Reise in die Vergangenheit anzutreten?
Johannes Erlemann: Dafür braucht es offenbar ein gewisses Alter. Ich habe vor zehn Jahren damit angefangen, Notizen zu machen und ein paar Erinnerungen aufzuschreiben. Dann kam der Gedanke, daraus ein Buch zu machen. Ich bin das Thema sehr vorsichtig angegangen. Ich wollte meine Geschichte nicht wirtschaftlich vermarkten. Ich wollte vielmehr einen Prozess der Verarbeitung des Erlebten angehen. In den Jahren davor wäre ich nicht fit genug gewesen, um mich der Geschichte zu stellen.
Haben Sie an etwas gelitten, was sie dazu gebracht hat, zu sagen: Ich muss mich damit beschäftigen, auch um etwas loszuwerden?
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Ich hatte nicht die Absicht, etwas loszuwerden. Ich hatte das Privileg, dass ich immer nach vorne schauen konnte. So wollte ich mich auch nie als Opfer eines Verbrechens sehen. Ich bin ein Überlebender.
Es wird sicher immer mal wieder jemand angerufen haben, um Ihnen Ihre Geschichte abzukaufen. Warum haben Sie das abgelehnt?
Es haben sich mehrere Produktionsfirmen gemeldet, die aus meiner Geschichte tolle, große Filme machen wollten. Aber ich hatte immer das Gefühl, dass die mir die Geschichte entreißen wollten. Das wollte ich nicht. Nur die Rechte zu verscherbeln, wäre mir zu wenig gewesen.
Was war jetzt anders?
Nachdem ich Veronica Ferres kennengelernt hatte, ergab sich die Möglichkeit, die Verfilmung selbst mitzugestalten. Ich konnte mit ihr und ihrer Filmproduktion gemeinsam etwas kreieren und an den Filmen mitwirken. Wir haben angefangen Drehbücher zu entwickeln, wo wir jeden Satz umgedreht haben, damit am Ende etwas herauskommt, das so authentisch wie möglich ist.
Herausgekommen ist eine beeindruckende Dokumentation und ein spannender Spielfilm. Wenn man aus einer wahren Geschichte einen Spielfilm machen will, muss man in der Regel komprimieren, zuspitzen und ausschmücken, um es spannender zu machen. Wie viel ist erfunden an Ihrem Spielfilm?
Es ist gar nichts erfunden. Sehen Sie sich den Film über die Entführung von John Paul Getty an (Anmerkung der Redaktion: „Alles Geld der Welt“ von Ridley Scott). Das sind tolle Bilder, wunderbar inszeniert. Aber das ist die Verfilmung eines Wikipedia-Eintrags. Ich habe bei unserem Film als Mitproduzent darauf geachtet, dass wir so nah dran am Geschehenen sind wie möglich. Wir sind zu den Original-Schauplätzen gegangen und haben zum Beispiel die Szene meiner Freilassung genau da gedreht, wo sie stattgefunden hat. Ich habe mich nachts noch mal fesseln lassen, um alles so aufzuzeigen, wie es war. Ich habe ein paar Szenen mit dem Handy mitgedreht und mir danach immer wieder angesehen. Ich konnte es nicht fassen: Es wirkte so, als wenn damals eine Kamera mitgelaufen wäre. Ich glaube, so etwas hat es bei der Verfilmung einer wahren Geschichte noch nicht gegeben.
Der Film beschreibt auch sehr anschaulich, wie es innerhalb der Polizei knirscht. Die Ermittlungen sind von tiefem Misstrauen gegenüber Ihrer Familie geprägt. Nur einer scheint auf Ihrer Seite. Wie konnten Sie diese Interna rekonstruieren?
Normalerweise hat man eine tolle Geschichte und reichert sie mit Fiktionalem an. Wir hatten eine unglaubliche Geschichte und mussten überlegen, was man alles weglassen kann, um auf ein Spielfilmformat zu kommen. Vor dem Film habe ich mich oft mit einem Polizisten von damals, Helmut Simon, getroffen und ausgetauscht. Er war der einzige, der sich damals für alles, was geschehen war, entschuldigt hatte. So haben wir auch diesen Teil der Geschichte entwickeln können.
In der Dokumentation kommen auch noch andere Polizisten zu Wort. Sie alle sind sich einig: Der Umgang mit Ihnen damals war nicht in Ordnung. Opferschutz gab es nicht.
Ich finde es beeindruckend und mutig von den Polizisten von damals, so den Fall zu reflektieren. Sie haben erkannt, dass vieles falsch gelaufen ist. Zum einen ist das ein Ausdruck der Zeit. Zum anderen schwang damals natürlich immer mit, dass man sich nicht sicher war, ob nicht Familienmitglieder in die Entführung verwickelt waren. Die haben nicht so richtig geglaubt, dass da ein traumatisiertes Kind nach einer Entführung zurück nach Hause kommt. Mancher hat wohl gedacht, dass der Junge irgendwo an der Côte d’Azur gesessen und nur auf ein Signal gewartet hat.
Sie haben gesagt, dass Sie sich nicht sicher sind, ob die Entführung oder die Zeit danach schlimmer gewesen sei. Wie ging es nach der Freilassung weiter?
Die Polizei hat mich wochenlang von zu Hause abgeholt und immer darauf geachtet, dass meine Mutter nicht dabei war, wenn ich befragt wurde oder wir an die Orte der Entführung gefahren sind. Die haben mit mir die Entführung rekonstruiert. Das hieß: Heute stecken wir dich nochmal in eine Kiste, fahren dich mit drei verschiedenen Autos durch die Gegend, um herauszubekommen, welchen Motor du gehört hast. Als es um die Fahrtstrecke zu meinem Verschlag in der Eifel ging, haben die mir nochmal die Augen verbunden und Decken über mich gelegt. Ich habe alles mitgemacht. Und dann sitzen nach drei Wochen 20 Polizisten mit verschränkten Armen in einem großen Konferenzraum vor mir, und der Chefermittler brüllt mich an: „So, Johannes, wir haben uns jetzt wochenlang Zeit für dich genommen, haben uns alles angehört und sind zu folgendem Schluss gekommen: Wir glauben dir kein Wort!“ Da hat es mir die Füße weggerissen. Die haben meine Glaubwürdigkeit komplett untergraben. Das war einer der schlimmsten Momente in dieser gesamten Zeit. Ich hatte mir so viel Mühe gegeben, um zu helfen. Und dann das…
Johannes Erlemann zu Gast bei "True Crime Köln":
Gab es jemanden, mit dem Sie mal über das alles reden konnten, was Sie erlebten? Gab es einen, der mal gesagt hat: Johannes, Du wirkst so cool, aber wie siehts denn in Dir drin aus?
Es gab niemanden. Ich war ganz alleine. In der Dokumentation werden Bilder gezeigt, wie ich mit 20 Polizisten, zum Beispiel auf dem Acker der Freilassung, stehe. Und ich frage mich: Wer sind diese Menschen, und wieso kenne ich nicht eine einzige Person davon?
Das Misstrauen auf Seite der Ermittler begleitet Sie auch noch, als klar ist, dass Ihre Familie nichts mit der Entführung zu tun hat. Beim Gerichtsprozess müssen Sie als 12-Jähriger in den Zeugenstand. Wie ist der Richter mit Ihnen umgegangen?
Das erste Mal hat er mich auf die Knie gezwungen, als ich auf den Täter zeigen musste, der mir mit meiner Ermordung gedroht hatte, weil ich ihn ohne Maske gesehen hatte. Obwohl ich schweigen sollte, habe ich beim Zeichnen des Phantombilds geholfen, das ihm tatsächlich sehr ähnlich war. Und dann zwingt mich der Richter im Prozess, auf den Mann zu zeigen – wie in einem ganz schlechten Film. Das war ein weiterer lebensverändernder Moment für mich.
Die Staatsanwälte fordert hohe Strafen, doch der Richter folgt ihnen nicht. Er sieht mildernde Umstände für Ihre Entführer. Es heißt, Sie seien ein Zufallsopfer gewesen. Außerdem hätten sie die Männer nicht schlecht behandelt…
Das habe ich nicht verstanden. Warum kam der Richter nicht der Forderung der Staatsanwaltschaft nach? Es war doch alles so eindeutig. Der Richter hat mir nicht geglaubt. Das war sehr verletzend.
War die Entscheidung, die Filme zu machen, auch Teil einer Therapie, um mit dem Erlebten besser klarzukommen?
Ich hatte nicht die Absicht, eine Therapie zu machen. Ich hatte nur gescherzt, dass ich alle, die am Film beteiligt sind, therapeutisch missbrauchen werde. Ich wusste, dass ich mich auf ein Abenteuer einlasse. Das war teilweise so heavy, dass ich manchmal nicht mehr konnte.
Hat die Arbeit etwas bei Ihnen bewirkt, das man jetzt schon spüren kann?
Ich träume nicht mehr. Ich habe 40 Jahre lang jede Nacht schlimme Träume von Mord und Totschlag gehabt. Nun habe ich das Thema aus der Nacht in den Tag geholt. Ich bin gespannt, ob das so bleibt.
Der Spielfilm Der Entführungsfall von Johannes Erlemann Anfang der 80er Jahre zählt zu den spektakulärsten der deutschen Nachkriegszeit. RTL Deutschland rekonstruiert die Kindesentführung als Gesamtpaket bestehend aus Spielfilm, Doku-Serie, Podcast, Buch und einem stern TV Spezial. Johannes Erlemann selbst steht bei dem Projekt beratend zur Seite. Veronica Ferres zeichnet für das Gesamtpaket als Produzentin verantwortlich. Den Spielfilm „Entführt - 14 Tage Überleben“ zeigt RTL am 14. September um 20.15 Uhr.
Die Dokuserie Die Kölner Firma eitelsonnenschein hat die spannende vierteilige Dokuserie „Lebenslänglich Erlemann“ produziert. Sie ist beim Streamingportal RTL+ ab 7. September zu sehen. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ bietet seinen Leserinnen und Lesern in Kooperation mit eitelsonnenschein und RTL die einmalige Gelegenheit, die Serie im Kino zu sehen. Am 17. September, 15 Uhr, werden alle vier Teile im Cinenova, Herbrandstraße 11, gezeigt. Johannes Erlemann wird anwesend sein und über seine Erlebnisse sprechen. Tickets kosten zehn Euro und sind über die Homepage des Kinos erhältlich.