Josef Hader über seinen neuen Film „Andrea lässt sich scheiden“, grässliche Männer und die Nähe zwischen Tragödie und Komödie.
Josef Hader über seinen neuen Film„Politische Komödien - da kenne ich nur schlechte“
Herr Hader, die Hauptfigur ihres neuen Films ist eine Dorfpolizistin, die kein Auge zudrückt. Dann überfährt sie versehentlich ihren Ehemann, von dem sie sich scheiden lassen will, und begeht Fahrerflucht. Ist das noch Zufall oder schon poetische Gerechtigkeit?
Josef Hader: Ach, irgendwas dazwischen. Ich bin kein Konzeptschreiber, ich schreibe eher instinktiv. Mein erster Gedanke war wohl, eine Frauenfigur mit starkem Willen zu finden, die auf dem Land auf ebenso starke Widerstände stößt. Außerdem wollte ich herausfinden, was für eine Komödie entsteht, die mit einem derart tragischen Ereignis beginnt.
Und was für eine Komödie war danach noch möglich?
Es ergab sich eine andere Komik, ein anderer Witz, der unter Umständen mehr kann, weil er seine Komik aus der Ausweglosigkeit bezieht. Ich höre gerne dem Publikum meiner Filme zu. Oft war da ein überraschtes Lachen, das erstaunt war über sich selbst, dass man jetzt lachen kann. In meinen Kabarettprogrammen höre ich dieses Lachen auch.
Sie selbst spielen einen Religionslehrer und trockenen Alkoholiker, der irrtümlich glaubt, er habe den Ehemann überfahren. Für die Polizistin wird dadurch alles schlimmer, weil sie durch ihr Schweigen gleich noch ein zweites Leben zerstört. Ist das ihre Version von Schuld und Sühne?
Ich denke da viel handwerklicher. Man muss für seine Hauptfigur die Schrauben ordentlich anziehen, damit etwas Ordentliches dabei herauskommt. Andrea tut nichts absichtlich, sie lädt nicht die Schuld eines Menschen auf sich, der in vollem Bewusstsein etwas Böses tut. Es ist eine Unachtsamkeit, aus der etwas entsteht, das man nicht mehr rückgängig machen kann. Das ist etwas, das uns selbst auch passieren könnte. Sie ist auch das Opfer eines blöden Zufalls.
Aber das moralische Dilemma ist nicht zu übersehen.
Ja, natürlich, aber das ist etwas, das ich nachfühlen kann. Gerade uns Kabarettisten wird gerne unterstellt, wir würden ein politisch bewussteres Leben führen. Aber diesen Abgrund zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen der Realität des eigenen Lebens und dem, was von einem erwartet wird, den kenne ich auch.
Mir gefiel, dass Sie ihre Hauptfigur nicht über Gebühr sympathisch machen. Als Smartphone-Klingelton für ihren Vater hat sie Hundekläffen eingestellt.
Den kläffenden Hund finde ich gar nicht so unfreundlich von ihr. Man braucht eben einen lauten und deutlichen Klingelton, wenn der alte Vater anruft. Damit man es nicht überhört. Natürlich ist es riskant, eine derart ambivalente Hauptfigur zu haben. Aber Ambivalenz ist eine Attraktion, die man auch mit geringem Budget herstellen kann. In Österreich machen wir lauter kleine Filme, in denen die einzige Attraktion darin besteht, was sich zwischen den Menschen abspielt. Man weiß nie so richtig, wohin meine Figuren kippen werden. Das ist mein Suspense.
Eine andere österreichische Attraktion ist die Landschaft. Die ist bei ihnen aber nur in der ersten und der letzten Einstellung schön.
Ich zeige generell nicht, was man von Österreich erwartet. Die Landschaft ist eher flach, es gibt weniger Holzschnitzereien. Es sieht ein wenig aus wie Nebraska. Ich wollte die österreichische Variante eines modernen Western drehen, einen Eastern. Die Gegend liegt direkt am ehemaligen Eisernen Vorhang.
Sie sind als junger Mann vom Land in die Stadt geflohen und schauen jetzt aufs Landleben zurück.
Ich habe meine Wurzeln auf dem Land, und wann immer ich einen Film sehe, der das Landleben nicht korrekt schildert, werde ich ganz ärgerlich. Ich habe mich sehr um Authentizität bemüht, auch in den sprachlichen Zwischentönen. Die Menschen auf dem Land sind nicht dümmer als die in der Stadt, die haben andere Formen, miteinander umzugehen, und sind von ihrer Umgebung anders deformiert.
Aber glücklich wird man bei ihnen auf dem Land nicht. Es sei denn, man hüpft wie die zwei Kinder den ganzen Tag auf dem Gartentrampolin herum.
Ich sehe in meinen Filmen generell nicht so gerne unbeschwerte Menschen. Ich mag Figuren, die in Schwierigkeiten sind.
In die Stadt zu fliehen, ist auch keine Lösung. Ihre Hauptfigur will sich beruflich nach St. Pölten verbessern.
St. Pölten gilt in Österreich als eine der langweiligsten Städte, gerade, weil sie sich als Landeshauptstadt ausgibt. Außer einem protzigen Regierungsviertel gibt es dort aber nicht viel. Deswegen kommt St. Pölten so gut wie nie in Filmen vor. Das hat mich schon wieder gereizt.
Ganz nebenbei fangen Sie in einer Szene die Krise des bäuerlichen Lebens ein.
Das ist in diesen abgehängten Gegenden ein großes Thema. Es gibt eine Internationale der Provinz, die von Brandenburg über Nordfrankreich bis nach Nebraska reicht. Ich wollte vermeiden, das als österreichische Spezialität zu inszenieren.
Österreich ist überall.
Wir sollten uns zumindest nicht einbilden, wir wären etwas Besonderes.
Gibt es denn gar keinen Ausweg aus dem Elend?
Den gibt es nur individuell. Mein Ausweg war, vom Land in die Stadt zu ziehen. Für manche ist es der umgekehrte Weg. Es gibt keine Regel, das muss sich jeder selbst suchen. Vermutlich könnte ich auch wieder zurück aufs Land ziehen. Aber ich ziehe die Großstadt vor, weil man da in Ruhe gelassen wird.
Im Dorf kennt jeder jeden seit der Schule.
Kleinstädte sind besonders anstrengend. Ich habe mehrere Jahre in einer gelebt. Ständig muss man erklären, was man gerade macht, wo man gerade herkommt, wohin man fahren will. Das war nicht meine Welt. Außerdem hatte ich Heimweh nach Wien. Ich dachte früher, ich wäre ein wurzelloser Künstler, der überall fremd ist. Aber da hatte ich mich geirrt.
Sie haben jetzt einen Stadtfilm gemacht und einen Dorffilm. Wie viel Heimat bleibt noch übrig zum Verfilmen?
Heimat gibt es keine mehr. Es gibt nur noch aufregende fremde Welten für mich.
Die große Politik bleibt bei Ihnen außen vor. Aber ein paar böse Sätze von scheinbar freundlichen Menschen gibt es doch.
Das ist alles Realismus. Ich will niemanden denunzieren, aber solche Sätze habe ich selbst schon mehrfach gehört. Als alter Jungregisseur bin ich sehr beschränkt in meinen Mitteln. Deswegen hüte ich mich vor politischen Botschaften und versuche stattdessen, aus vielen Momenten ein atmosphärisches Bild, eine latente Stimmung entstehen zu lassen.
Ein Freund offen politischer Filme sind Sie nicht.
Politische Komödien – da kenne ich nur schlechte. Unter den politischen Dramen gibt es hingegen großartige Beispiele. Mein politischer Lieblingsfilm ist „Vermisst“ von Constantin Costa-Gavras, in dem Jack Lemmon einen Vater und überzeugten Amerikaner spielt, dessen Sohn in Chile mithilfe der CIA ermordet wurde. Ich werde diesen Film nie vergessen, vor allem, weil Lemmon diese tragische Figur mit denselben Mitteln wie die Männer in seinen früheren Komödien spielt. Damals ist mir aufgegangen, dass sich Komödie und Tragödie schauspielerisch nicht im Geringsten unterscheiden.
Jack Lemmon in Billy Wilders „Das Apartment“, das ist eine Tragödie, die zum Lachen ist.
Im „Apartment“ sind genauso grässliche Männer um eine Frau angeordnet wie jetzt in „Andrea lässt sich scheiden“. Das ist eine Tragödie, die ihren Witz aus einem gnadenlosen Realismus zieht. Ein großartiger Film und generell ein großes Vorbild für mich.
Am gruseligsten unter ihren grässlichen Männern fand ich die Robert-Stadlober-Figur, gerade, weil die äußerlich am freundlichsten wirkt.
Alle meine Männerfiguren oszillieren, aber bei dieser ist der Kontrast am stärksten. Man weiß nicht, ob das ein Freak ist oder jemand, der sich im falschen Moment unsterblich verliebt hat. Robert und ich haben ausgemacht: Wir wissen es auch nicht, und er spielt es so, dass es bis zum Ende offenbleibt.
Es gibt eine vielsagende Umarmung im Film.
Die lässt sich auf viele Arten interpretieren: Er will ihr als Freund eine Stütze sein; er will ihr sagen, dass er sie liebt und nur auf sie gewartet hat. Oder es ist wie bei Ödön von Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“: Du wirst meiner Liebe nicht entrinnen. Das steckt da alles drin, und ich finde es spannend, dass es jeder vielleicht anders sieht.
Josef Hader, geboren 1962 in Waldhausen (Oberösterreich), gehört zu den erfolgreichsten Kabarettisten im deutschsprachigen Raum. Im Kino spielte er unter anderem den Simon Brenner in den Verfilmungen der Brenner-Romane von Wolf Haas. „Andrea lässt sich scheiden“ ist nach „Wilde Maus“ seine zweite Regiearbeit.
„Andrea lässt sich scheiden“ läuft am 4. April 2024 in den deutschen Kinos an. Am 19. April ist Josef Hader mit seinem Kabarettprogramm „Hader on Ice“ im Kölner Theater am Tanzbrunnen zu Gast.