Dank Otto Waalkes flirtete halb Deutschland mit der Anarchie. Eine Erinnerung an bessere Zeiten zum 75. Geburtstag des Außerfriesischen.
Otto Waalkes wird 75Großhirn an alle: Fertig machen zum Schulterklopfen
Auf dem Höhepunkt seiner Macht herrschte Otto als unbestrittener König über Schulhöfe und Klassenzimmer. Wir waren sein Volk und seine Statthalter: übten uns in kehligen „Jaaaaa“-Lauten, ließen Ottifanten-Herden durch die Ödnis der Schreibhefte ziehen und sagten schlüpfrige Schüttelreime auf. „Ganz schön sauer wird Herr Schmidt, wenn man ihm auf den Helmut tritt“ – mit diesen Worten zogen die präpubertierenden Kinder von Entenhausen weiter nach Rüsselsheim.
Auch bei Otto verstanden wir erst später, worüber wir gelacht hatten
Auch bei Otto Waalkes verstanden wir erst viel später, worüber wir eigentlich gelacht hatten. Während die Disney-Übersetzerin Erika Fuchs unsere jungen, formbaren Hirne mit Goethe- und Schiller-Zitaten infiltrierte („Ächz, Stöhn“), bediente sich Otto freimütig bei Woody Allen, der Neuen Frankfurter Satireschule und ausgerechnet bei Heinz Erhardt, damals zu Unrecht als Inbegriff komödiantischer Muffigkeit verschrien.
Vor allem die Begegnung mit Robert Gernhardt und dessen „Titanic“- Spießgesellen war ein Glücksfall für den deutschen Humor. Das halbe Land flirtete mit der Anarchie und kannte scheinbar keine Autoritäten mehr. Otto parodierte Pfarrer so gekonnt wie Weißkittel, Großhirne oder Schlagersänger und rächte sich im Namen aller Geistesfriesen an der bayrischen Politikbräsigkeit: „Der Weiher trüb, die Luft ist rein - Franz Josef muss ertrunken sein.“
Dabei war Otto Waalkes, geboren 1948 in Emden, eigentlich ein Musikclown. Seine erste Gitarre bekam er als Zwölfjähriger geschenkt, später finanzierte er mit Soloauftritten in kleinen Hamburger Clubs sein Kunstpädagogikstudium. Auch als Bühnen- und Fernsehstar blieb er eine Ein-Mann-Band, die ihre Instrumente so behände wechselte wie Kostüme und Rollen. Seine Verballhornung von Michael Holms „Tränen lügen nicht“ bleibt ein Klassiker, auch wenn der Text nicht ganz hält, was Ottos mit Grimassen unterlegtes „Haha-Hahaa“-Intro verspricht.
1973 ertappte Robert Gernhardt den schlaksigen „Blödelbarden“ beim Ideenklau – der Beginn einer wunderbaren und für beide Seiten höchst einträglichen Freundschaft. In den folgenden Jahren löste Otto ein Abonnement beim ARD-Fernsehen, verkaufte mehrere Millionen Schallplatten, die bald im eigenen Verlag Rüssl Räckords erschienen, und mauserte sich zu einem der größten deutschen Unterhaltungskünstler überhaupt. Er war vielleicht nicht „bigger than Jesus“, aber prominent genug, um den Papst ungestraft Selbstmord verüben zu lassen – „naja, wenn man sich beruflich verbessern kann“.
Der Niedergang des zweiten ottonischen Zeitalters begann, als Waalkes auf dem Gipfel des Erfolgs schien – mit dem ersten Otto-Film. 14,5 Millionen Eintrittskarten wurden 1985 in beiden deutschen Staaten für die Komödie gelöst, die eher einer Nummernrevue glich und vier Fortsetzungen nach sich zog, in denen Otto seinen verblassenden Ruhm verwaltete. Seine Figur, der liebenswerte Chaot, war auserzählt und wurde nur deswegen künstlich am Leben erhalten, weil sie vom realen Otto kaum zu unterscheiden war.
Aber erzählen Sie das mal den nachwachsenden Generationen. Die will offenbar mit eigenen Augen sehen, wie sich Otto zum Affen oder wie bei seinem Comeback-Film zum Dümmsten der sieben Zwerge macht. „7 Zwerge - Männer allein im Wald“ wartete 2004 mit genau jener Sorte Späße auf, die das Kind im Manne nicht völlig ungerührt lassen und das Kind im Kinde bestens unterhalten.
Der Zwergenbund ist bei Otto eine Kommune aus vom Leben und vor allem von den Frauen enttäuschter Männer, deren Mitglieder sich ihre Zeit vertreiben, indem sie sich gegenseitig Bretter vor die Köpfe hauen und sorgsam darauf achten, vom schwachen Geschlecht verschont zu bleiben. Beim ersten Anblick des Schneewittchens werden sie ihrem Keuschheitsgelübde gleichwohl untreu, wie ein Blick auf ihre steil aufgerichteten Zipfelmützen verrät.
Letztlich ist es ja auch tröstlich, dass auf Waalkes und die Reiz-Reflex-Zone des infantilen Humors weiterhin Verlass ist. Ottos künstlerische Langlebigkeit scheint dabei dem Erfolgsrezept der ebenfalls aus der Zeit gefallenen „Bravo“ zu gehorchen: In einem bestimmten Alter verfällt man dem Außerfriesischen mit Haut und Haar und streift diesen seltsamen Zustand des pubertierenden Humors bald wieder ab. Otto Waalkes freilich bleibt sich immer gleich und damit der Gefangene seiner eigenen Erfindung. An diesem Samstag wird er 75 Jahre alt.