Junge Kultur KölnSibel Polats lange Reise vom Flüchtling zum Theaterstar
- Mit vier Jahren kam die alevitische Kurdin aus der Türkei nach Deutschland.
- Heute spielt sie vor allem in der Comedia in der Südstadt.
- Vor ein paar Wochen wurde sie als beste Kölner Darstellerin ausgezeichnet – und gewann noch zwei Preise dazu.
Köln – „Wenn du im Kinder- und Jugendtheater landest, hast du es nicht geschafft.“ So, sagt Sibel Polat, laute jedenfalls das Klischee. „Dann darfst du nur so clownesk herumhampeln und Kinder bespaßen.“ Ein Vorurteil, welches die junge Schauspielerin und viele ihrer Kolleginnen und Kollegen jeden Tag aufs Neue widerlegen. Allerdings selten so eindrücklich und öffentlich, wie bei der Verleihung der Kölner Tanz- und Theaterpreise vor ein paar Wochen.
Denn dort gewann Polat nicht nur mit „Wem gehört die Straße?“, einer Jugendproduktion der Comedia, die sie zusammen mit einer Regisseurin und zwei Mitspielern entwickelt hatte. Auch der „erwachsene“ Theaterpreis ging mit „Der Sturm“ an eine Inszenierung, die Polat zusammen mit einem Kollegen im Duett gespielt hatte. Als ihr schließlich auch noch der Darstellerpreis überreicht wurde, wusste die junge Schauspielerin kaum noch, wie ihr geschah. So ein Triple, das hatte in Köln noch keiner geschafft.
Vielleicht, sinniert Polat, ist diese Spielwut ja ein Erbe ihrer Eltern, die in einem türkischen Dorf ohne Fernseher und Radio aufgewachsen sind. „Abends saßen die zusammen und haben sich Geschichten erzählt. Das machen die heute immer noch so. Und dann sitzt man da nicht nur und erzählt, die Geschichte wird vorgespielt, mit Auf-dem-Boden-Rollen und Stimme verstellen.“ Jedenfalls wünschte sich Sibel Polat schon in der Grundschule nichts sehnlicher, als beim Krippenspiel mitwirken zu dürfen. „Aber ich bin immer rausgeflogen, weil ich viel zu überdreht war.“ Endlich durfte sie beim St.-Martins-Zug den Bettler geben: „Das war der Moment, in dem ich mir dachte: Das ist es, das ist es total!“
Leben in Containern
Große Teile ihrer Kindheit hatte sie bis dahin in Raumzellen, Containern, Feuerwehrgaragen und leerstehenden Häusern, die zu Asylantenheimen umfunktioniert worden waren, verbracht. Ihre Eltern sind kurdische Aleviten und gehörten damit zu einer diskriminierten Minderheit in der Türkei. Polats Mutter musste amtlich verordnete Strafen zahlen, weil sie einen kurdischen Namen trug, Sibels ältere Brüder wurden in der Schule geschlagen. „Als ich drei, vier Jahre alt war, zog mein Vater die Notbremse, und wir emigrierten von Mersin nach Deutschland.“
Der Anfang einer Odyssee: Zuerst ging es zu Verwandten nach Dortmund und Berlin, dann zog die Familie ins sauerländische Kirchhunden, weil dort angeblich die Chancen auf Anerkennung des Asylantrags gut stünden. Was macht das mit einem Kind? „Ich hatte das große Glück, dass unsere Eltern uns Kindern immer sehr genau erklärt haben, warum die Situation jetzt so ist, wie sie ist.“ Auch als eines Nachts Männer mit Fackeln vorm Asylantenheim standen und versuchten, dieses in Brand zu setzen. „Ist ja klar, dass die Angst haben“, beruhigten die Eltern ihre Kinder, „wir haben ja auch Angst hier, für uns ist hier ja auch alles fremd.“ „Ich habe das als Kind dann niemandem übel genommen“, erzählt Polat. „Die Wut darüber, dass da Männer, die vielleicht selber Väter waren, den Tod von Kindern und Erwachsenen in Kauf genommen hatten, kam erst später, als ich älter war.“
Erst als Sibel in die dritte Klasse kam, konnte die Familie endlich eine eigene Wohnung beziehen. Später zog sie mit ihren Eltern nach Bergisch Gladbach, wo ein Bruder eine Ausbildungsstelle gefunden hatte. „In der Schule dachte ich ziemlich lange, dass ich anschließend etwas Vernünftiges lernen sollte, Ärztin vielleicht. Ich war das Migrantenkind, das Abitur machte und es allen beweisen wollte.“ Doch der Spielzwang war stärker, und Polat meldete sich auf der Arturo Schauspielschule in Köln an, auch weil sie in der Nähe ihrer Kölner Freunde bleiben wollte. Ihr erstes Engagement nach dem Abschluss führte sie zum Jungen Ensemble des Heidelberger Stadttheaters, „die hatten Schauspieler mit Migrationshintergrund gesucht.“
Süchtig nach jungem Publikum
Vor Kindern und Jugendlichen zu spielen entpuppte sich als einschneidende Erfahrung: „Das ist ein Publikum, dass sich nicht verstellen kann, das so ehrlich ist, knallhart. Und dann wurde ich süchtig danach.“ Zwei Jahre und elf Produktionen lang blieb sie in Heidelberg. Für junges Publikum wollte sie anschließend weiterhin spielen, doch auf die hierarchischen Strukturen eines Stadttheaters konnte sie gerne verzichten. „Rüdiger Pape, mit dem ich in Heidelberg »Pünktchen und Anton« gemacht hatte, fragte mich, ob ich nicht für »Taksi to Istanbul« in der Comedia vorsprechen wollte.“ In dem Stück machen sich drei junge Menschen mit türkischen Wurzeln auf die Suche nach ihrer Heimat. „Nach einer Vorstellung kam ein kleines Mächen zu mir und sagte: »Du siehst aus wie ich.« »Ja, wir sehen uns sehr ähnlich.« »Du bist ja Schauspielerin, dann kann ich ja auch Schauspielerin werden«. Ja cool, genau deswegen machen wir das.“
Die Comedia in der Kölner Südstadt ist seitdem Sibel Polats Stammspielstätte geworden. Ein Haus, dem sie sich verbunden fühlt, auch weil man sich hier sehr bemühe, Stücke zu produzieren, die auch inhaltlich zum Zielpublikum passen und die „auch noch ganz andere Menschen repräsentieren“.
„Gerade die großen Ensembles an den Stadttheatern sind ja nicht gerade divers“, meint Polat und erzählt, wie sie vor kurzem im Jungen Theater Stuttgart auf der Bühne stand, „in einem Stück, in dem ich auch Kurdisch spreche und von der kurdischen Sprache erzähle. In der ersten Reihe saß ein älterer kurdischer Mann mit seinen Enkelkindern, der fing an zu weinen, und das hat mich so gerührt.“ Wie schön das ist, wenn man etwas hört, was ein Gefühl von Heimat auslöst. „Ich war ja als Kind auch gerne Sauerländerin und habe immer noch warme Gefühle, wenn ich das »Sauerland-Lied« höre.“
ZUR REIHE UND PERSON
Jede Kulturszene ist auf den Nachwuchs angewiesen, damit neue Impulse entstehen. Welche Ausbildungsmöglichkeiten und Perspektiven findet dieser in Köln vor, was sind Anreize, hier zu bleiben und nicht nach Berlin abzuwandern?
Sibel Polat wurde 1986 im türkischen Mersin geboren und kam Anfang der 90er Jahre nach Deutschland. Nach dem Studium in der Kölner Arturo Schauspielschule ging sie für zwei Jahre ans Junge Theater Heidelberg . Heute ist sie vor allem der Comedia verbunden, ist aber auch Mitglied bei der freien Gruppe c.t. 201. (cbo)