AboAbonnieren

Kaspar Kraemer ArchitektenWer von der Schönheit träumt, darf öde Kisten nicht verschmähen

Lesezeit 5 Minuten
Ein grün leuchtender Baukörper steckt auf einer Rampe am Rheinufer und signalisiert den Wasserstand.

Das Hochwasserpumpwerk an der Schönhauser Straße wurde vom Kölner Architekturbüro Kaspar Kraemer entworfen.

1999 gründete Kaspar Kraemer sein Kölner Architekturbüro. Zum 25-jährigen Bestehen feiert ein dicker Band das Werk des Architekten.

Ob es den modernen Herzensklassizisten Kaspar Kraemer wurmt, dass sein am häufigsten bewundertes Kölner Bauwerk ein schlichter Gitterkasten ist? Das Hochwasserpumpwerk an der Schönhauser Straße fehlt in keinem Führer durch das Kölner Stadtbild und wird nach Einbruch der Dunkelheit verlässlich zu einer Attraktion, die auch Spaziergänger ohne Architekturstudium verstehen. Je nach Pegelstand des Rheins leuchtet die Außenhaut des Pumpwerks in anderen Farben, vom beruhigenden Blau bis zum „Gefahr“ schreienden Rot.

Tagsüber verwandelt sich der schwarzgraue Kasten in einen nüchternen, aber keinesfalls reizlosen Funktionsbau zurück. Unter dem mit LED-Lampen gespickten Gitterrost verbirgt sich ein Betonquader, in dem unter anderem die Steuerungstechnik der unterirdischen Pumpen liegt; der Quader wiederum ruht auf einer Rampe, die einen sanften Wellenschlag nachahmt und dem Lampenbau zugleich als weithin sichtbares Podest dient. Blickt man vom entgegengesetzten Rheinufer, wird es auch den Klassizisten von heute warm ums Herz: Lichtsäulen gliedern die Steinfront, als sei das Pumpwerk ein antiker Techniktempel.

Vermutlich wurmt Kraemer der Ruhm seines Hochwasserpumpwerks keinesfalls. Es entspricht schließlich genau dem Credo, das er im bei Wienand erschienenen Prachtband zum 25-jährigen Bestehen seines Architekturbüros ausgegeben hat: komplexe Einfachheit. Das klingt zwar nach einem Gemeinplatz, aber beim Blättern in den mehr als 500 Seiten füllt sich die Formel immer wieder mit Leben. Gerade unscheinbare Werke sind oft die schwierigsten: Was könnte undankbarer sein, als einen Fahrstuhl an den altehrwürdigen Kölner Gürzenich zu bauen?

Es gibt vieles zu rühmen am Werk des 1999 in Köln gegründeten Büros Kaspar Kraemer Architekten

Kaspar Kraemer stellte sich dieser Aufgabe, als er noch im Architekturbüro seines Vaters arbeitete, und setzte den gläsernen Fahrstuhlturm in respektvoller Entfernung zum Gemäuer; die Erschließung erfolgt über eine gläserne Brücke. Kraemer hatte seinen Anbau als zeithistorisches Dokument entworfen, das den Abstand zum Kulturdenkmal sowohl räumlich als auch zeitlich wahrt. Später gelang ihm dies erneut beim Zugang zum Südturm des Kölner Doms. Im Mauerwerk des nüchternen Kastens greift Kraemer die Harmonie der Kirchenfassade auf, und auch der Souvenirladen gleich daneben strahlt eine für diesen Bautyp seltene Würde aus.

Es gibt vieles zu rühmen am Werk des 1999 in Köln gegründeten Büros Kaspar Kraemer Architekten – die insgesamt 528 Buchseiten dürften sich wie von selbst gefüllt haben, zumal Kraemer als langjähriger Präsident des Bunds Deutscher Architekten viel zu Baupolitik und Stadtgestaltung zu sagen hat. Auf bundespolitischer Bühne plädierte er in der Berliner Stadtschlossdebatte für diskursive Mäßigung, auf Kölner Lokalebene kämpfte er dafür, den üppig wuchernden Schilderwald zum urbanen Garten Eden zurückzuschneiden. Beide Male blieben seine Anliegen erfolglos; das macht sie nicht weniger ehrenwert.

Der Architekt Kaspar Kraemer
posiert lächelnd vor Entwurfsskizzen und Visualisierungen an einer Wand.

Kaspar Kraemer bei der Grundsteinlegung für die Rheinische Musikschule in Köln

Gegliedert wird das Buch durch ein ausführliches Gespräch, das der Architekturkritiker David Kasparek mit Kraemer führt und vielleicht etwas zu früh, nämlich gleichsam mit den Bauklötzen des kleinen Kaspars, einsetzt. Ausbildung und Gesellenjahre beim Vater kommen ebenso zur Sprache wie der nicht ganz freiwillige Neuanfang als selbstständiger Architekt. Ein Großauftrag des Essener Hochtief-Konzerns versetzte Kraemer rasch in die Lage, in Köln ein eigenes Büro mit zahlreichen Mitarbeitern aufzubauen.

In gleich zwei der im Band dokumentierten Vorträge rühmt Kraemer den preußischen Architekten Karl Friedrich Schinkel – Ahnherr und Säulenheiliger aller deutschen Klassizisten. Diese Bewunderung sieht man Kraemers nach Maß und Ordnung strebenden Fassaden häufig an, sei es auf Bürgerhäusern oder Bürokomplexen. Aber Kraemer ist kein Architekt, der nach dem Glück des Vergangenen oder einem Markenzeichen strebt – er sucht individuelle Lösungen auf dem Boden der Moderne. Mitunter schließt das auch historisierende Prunkfassaden wie beim ECE-Einkaufscenter in Dortmund ein. Allerdings darf man hier unterstellen, dass die Kölner Architekten Schlimmeres verhinderten.

Das gesellschaftliche Selbstbewusstsein braucht identitätsstiftende Bilder und Anknüpfungspunkte, Monumente der Erinnerung, Anker im Strom der Zeit
Kaspar Kraemer

In Köln hat das Büro Kraemer zahlreiche Gebäude entworfen, die das Stadtbild unaufdringlich prägen: das Pfarrzentrum in Bickendorf, die ehemals königliche Eisenbahndirektion am Rheinufer oder ein zweiteiliges Wohnhaus in Marienburg. Beim Deutzer Odysseum entschied sich Kraemer hingegen für einen „Solitär“, der sich gegen die Umgebung stellt und dessen schimmerndes Metallgewebekleid sich an den Ecken rundet. Leider hält das Innenleben nicht, was die Hülle verspricht, und führt den Besucher in eine Funktionshalle, die bar jeder Schönheit ist.

Dabei ist die Sehnsucht nach Schönheit der Leitfaden durch Kraemers Werk. In seiner Antrittsrede als BDA-Präsident formulierte er es so: Was die Architektur vom Bauen unterscheidet, sei das Ideal einer von der Schönheit her gedachten, lebenswerten Umwelt. Allerdings sagte er damals auch schon, dass sich dieses Ideal an der rauen Wirklichkeit des Bauens bricht. Bis heute wird Kraemer nicht müde, den Wildwuchs der Bauvorschriften und den Kostendruck in der Branche zu kritisieren.

Eine Idealwelt entwirft Kraemer in seinen Landschaftszeichnungen und mit Abstrichen auch in den Aquarellen, in die er seine Entwürfe fasst. Mit nüchternen Planskizzen haben diese ausgefeilten Handzeichnungen nichts zu tun, sie sind ein Luxus, den sich Kraemer weniger gönnt, als dass er ihn zum Denken braucht. Ähnlich hohe Ansprüche formuliert Kraemer in seinen Vorträgen. Hier sticht vor allem ein Beitrag zum Für und Wider historischer Rekonstruktionen in der Architektur heraus. „Das gesellschaftliche Selbstbewusstsein braucht identitätsstiftende Bilder und Anknüpfungspunkte, Monumente der Erinnerung, Anker im Strom der Zeit“, schreibt Kraemer und meint wohl vor allem das bürgerliche Selbstbewusstsein. Der Wiederaufbau eines Schlosses sei nicht zwangsläufig reaktionär, wie die Verfechter der Moderne unterstellen würden, sondern zukunftsorientiert. Es gehe darum, „die Stadt als Ort kultivierter Urbanität“ und verloren gegangene Maßstäbe wiederzugewinnen.

Für diese Haltung musste Kaspar Kraemer viel Kritik aus der eigenen Zunft einstecken. Aber in Köln, wo die im Krieg zerstörten romanischen Kirchen nach 1945 allesamt wieder aufgebaut wurden, versteht sich sein Argument gleichsam von selbst. Unter einem „rekonstruierten Himmel“, so Kraemer, sehe man manches eben entspannter als anderswo.


„Kaspar Kraemer Architekten. Bauen, Zeichnen, Denken“, Wienand Verlag, 528 Seiten, 750 Abbildungen, 60 Euro,