Im Arp-Museum Bahnhof Rolandseck verwandelt die feministische Künstlerin Kiki Smith christliche Symbole in heidnische Erzählungen.
Kiki Smith im Arp-MuseumWas macht die nackte Eva mit der Schlange?
Auf ihrer ersten Reise nach Europa, sagt Kiki Smith, habe sie sich wie im Süßigkeitenladen gefühlt. In den USA sei sie mit Minimalismus und abstrakten Bildern aufgewachsen und habe in ihren eigenen frühen Kunstideen lange nach der Einfachheit von Grabsteinen gestrebt. In Europa entdeckte sie hingegen einen Reichtum an Geschichte, der offenbar auch geholfen hat, sie von ihrer Angst vor Farben zu kurieren. Jedenfalls ist Smith nicht für Grau-in-Grau-Malerei bekannt.
Der biblischen Apokalypse setzt Kiki Smith eine sehr viel harmonischere Kosmologie entgegen
In Europa erkundete die mittlerweile 70-jährige Veteranin der feministischen Kunst auch die mittelalterlichen Wandteppiche, die sie zu ihren eigenen Textilbildern inspirierten. Allerdings vergingen zwischen ihrem Besuch im französischen Angers und dem Beginn ihrer Teppichserie mehr als drei Jahrzehnte, in denen Smith vor allem mit Körperbildern Furore machte. Sie formte Skulpturen nach Organen oder führte unsere Verletzlichkeit mit Grafiken deformierter Leiber vor. Um das Jahr 2010 erinnerte sie sich wieder an die apokalyptischen Visionen aus Angers und setzte ihr eine sehr viel harmonischere Kosmologie entgegen. Sie ist jetzt in Teppichform und unter dem Titel „Verwobene Welten“ im Arp-Museum Bahnhof Rolandseck zu sehen.
An die mehr als einhundert Meter lange Erzählung nach dem Johannes-Evangelium reichen Smiths auf einem Jacquard-Webstuhl entstandenen Tapisserien nicht heran. Smiths Textilbilder messen jeweils ungefähr drei mal zwei Meter, von den insgesamt zwölf Arbeiten hat sie neun nach Remagen mitgebracht. Begleitet werden die Leihgaben jeweils von ihren ebenso großen Entwurfsvorlagen. Im Grunde sind diese Papiercollagen eigenständige Arbeiten, allein schon, weil sie sich dank ihrer verletzlichen Oberfläche wunderbar in Smiths Gesamtwerk einfügen. Neben diesen Doppelgängern wirken die eigentlichen Hauptwerke, die Teppiche, erstaunlich robust, mitunter sogar ein wenig flach.
Die Geschichten, die sie vor wimmelnden Hintergründen erzählen, sind weder das eine noch das andere. Auf „Congregation“ verbinden sich die Blicke einer Frau mit denen verschiedener Tiere zu einem hölzernen Geflecht, auf „Spinners“ scheinen Schmetterlinge an einem unendlichen Netz zu weben und auf „Cathedral“ blickt uns ein Wolf unter einem Sternenregen an. So schwerelos wie die Verbindungen zwischen Tieren und Menschen sind bei Smith die Anspielungen auf Mythen und Märchen. Am deutlichsten wird sie noch mit einer nackten Eva, die auf einer den Erdkreis formenden Schlange steht.
Menschen und Tiere sind bei Kiki Smith eingesponnen in ein gemeinsames Bewusstsein
Menschen und Tiere, so viel wird deutlich, sind auf diesen Motiven eingesponnen in ein gemeinsames Bewusstsein, sie verbindet ein symbolisches, vielleicht auch kosmisches Band. Von den Teppichen springt diese private Mythologie auf die Wände und Böden der Ausstellungssäle über, überall gibt es Menschen und Tiere in ungewöhnlichen Verbindungen. In der bereits 2001 entstandenen Skulptur „Rapture“ steigt eine lebensgroße Frau aus dem Bauch eines Wolfs wie eine Venus aus der Muschel. Aus dem Rotkäppchen-Märchen hat Smith das Raubtierhafte gestrichen, für sie sind Frauen und Wölfe artverwandt – sie gelten gleichermaßen als „gefährlich“.
Selbstredend lässt sich diese Skulptur auch im christlichen Sinne interpretieren, als Geburt der Frau aus der männlichen, weil wölfischen Rippe. Bibelfeste Besucher kommen ohnehin auf ihre Kosten: mit einem Gefallenen, der einer Jesus-Darstellung verdächtig ähnlich sieht, oder der oben erwähnten Paradiesszene. Allerdings biegt Smith diese christlichen Motive stets ins Heidnische um, in Tier- und Naturmystik, die der religiösen Bildersprache das Eindeutige nimmt.
Auch die politische Botschaft ihrer Kunst ließ sich bei Kiki Smith nie exakt einordnen - diese fehlende Eindeutigkeit ihres feministischen Engagements hat manche irritiert, andere aber gerade für sie eingenommen. Schaut man auf die 54 Werke in der Remagener Ausstellung, fällt vor allem die häufige Verwendung dekorativer Stoffe auf. Außer mit Baumwolle arbeitet Smith gerne mit Blattgold, Feinsilber oder Porzellan, und auch ihre eher klassischen Bronzen verziert sie mit Schmucksteinen wie Mystik-Topas, Grünquarz oder Amethyst.
In der Moderne wurden solche verschönernden Materialien gerne als „weiblich“ herabgestuft; ein größerer Gegensatz zur metallischen Härte des US-amerikanischen Minimalismus lässt sich jedenfalls kaum denken. In dieser bewussten Opposition steckt der politische Kern von Smiths Kunst. Wo ließe sich das besser verstehen, als in der Heimat der „Textilkünstlerin“ Sophie Taeuber-Arp?
„Kiki Smith: Verwobene Welten“, Arp-Museum Bahnhof Rolandseck, Remagen, Di.-So. 11-18 Uhr, bis 20. Oktober 2024. Der Katalog ist im Kölner Wieland Verlag erschienen und kostet 24 Euro.