Buchpreis-Gewinner*in Kim de l'Horizon sprach im Schauspiel Köln mit Philosophin Eva von Redecker. Und sang ein Lied aus „Herr der Ringe“.
Kim de l'Horizon im Schauspiel Köln„Fickt euch mit euren Identitäten!“
„Es war ein wilder Ritt“, entfährt es Kim de l’Horizon nach gut anderthalbstündigem Ideenaustausch mit Eva von Redecker. Die Philosophin hatte de l’Horizon nach einem ihrer Vorträge kennengelernt und sogleich zu ihrer neuen Gesprächsreihe „Eva and the Apple“ am Schauspiel Köln eingeladen. Das war, bevor de l’Horizon als erste nicht-binäre Person den Deutschen Buchpreis für ihren phänomenalen Roman „Blutbuch“ gewonnen hat. Seitdem ist sie beinahe so etwas wie ein Popstar.
Wenn auch widerwillig. Die starken Reaktionen, bekennt de l’Horizon, seien ihr manchmal schon ein bisschen zu viel geworden: „Ich bin auch nur ein Körper.“ Jedenfalls hätte das Gespräch wohl auch einen viel größeren Saal gefüllt als das Depot 2 im Carlswerk. Immerhin kündet ihr Wickelkleid mit seinem leicht psychedelischen Blumenmuster von der Lust am großen Auftritt. Das zur Buchpreisverleihung in Solidarität mit den iranischen Frauen abrasierte Haar ist inzwischen zum Vokuhila nachgewachsen und rotblond gefärbt.
Zum Auftakt führt Kim de l’Horizon ein hexerisches Ritual durch, das unter anderem das aromatische Abbrennen von Kräutern und das Absingen von „Pippin’s Song“ aus den „Herr der Ringe“-Filmen beinhaltete. Außerdem eine im Zug nach Köln geschriebene dichterische Anrufung der Kölner Hebamme En Volmers, 1630 als Hexe hingerichtet. Anschließend geht es im Galopp durch den Themenpark, Philosophin und Autor*in nähern sich im geistigen Pingpong einander an – und darum geht des doch eigentlich die ganze Zeit: um die Möglichkeit und Unmöglichkeit von Nähe und Gemeinschaft, um Körper, ihre Grenzen und die Auflösung derselben.
Wann ist der Preis für eine Beziehung zu hoch?
„We are undone by each other“, zitiert von Redecker Judith Butler, die Schutzheilige des fluiden Geschlechts, was man, so die Philosophin, wahlweise mit „wir machen uns fertig“, oder „wir machen uns unfertig“ übersetzen könnte. „Wir ent-stehen“, assistiert de l’Horizon und hat gelesen, dass Menschen am Anfang einer romantischen Beziehung ihr jeweiliges Immunsystem in den ersten drei Monaten ab- und dann gemeinsam wieder aufbauen.
Nun gebe es schöpferische wie zerstörerische Beziehungen, gibt von Redecker zu bedenken, und fragt, wann der Preis zu hoch sei? Das sei er nie, glaubt de l’Horizon: „Sobald man mal ein paar Bakterien ausgetauscht hat, fällt es schwerer zu hassen.“
Im „Blutbuch“ werden Menschen als Wasserwesen beschrieben. Analog dazu sei schreiben, so de l’Horizon, eine Wellenbewegung, bei welcher der Mensch sich Wörter einverleibe und Kategorien und Formen unterspüle. Woraufhin Eva von Redecker auf die französische Autorin Hélène Cixous und deren Kritik an Freuds Konzept vom Mensch als Mängelwesen zu sprechen kommt, mal fehlt der Penis von vorneherein, mal fürchtet man dessen Verlust. Dabei, sagt die Philosophin, brauche man keinen Mangel, um lieben zu können: „Liebe kommt aus dem Überfluss!“
Dem stimmt de l’Horizon enthusiastisch zu, zumal ihr als nichtbinärer Person ja weder das Weibliche noch das Männliche fehle. „Die abendländische Tradition muss immer zuerst etwas auftrennen, um es wahrnehmen zu können: dieser Tradition würde ich kündigen.“
De l’Horizon fühle sich auch nicht einem dritten Geschlecht zugehörig: „Fickt euch mit euren Identitäten! Ich will die totale Auflösung.“ Von dort aus führt der Weg zurück zur Hexerei, zur Magie als, Zitat „Blutbuch“, „entrennender Praxis“. Wobei, schränkt die schweizerische Autorenperson ein, diese Magie durchaus eine „arme, popelige“ sein könne, der Zauber müsse nicht zwingend funktionieren: „Ich will lieber suchen als finden, sonst wäre ich nicht bei der Literatur.“
Das muss genügen. „Unsere Gehirne haben sich verschmolzen“, stellt de l’Horizon fest. „Ich werde jetzt romantisch!“