Angriff auf die LeinwandWie Kölner Kinobetreiber auf Netflix und Co. reagieren
- Streamingdienste wie Netflix, Amazon & Co verändern weltweit die Medienlandschaft.
- Auch Kölns Kinobetreiber bekommen den Wettbewerb zu spüren. Wie gehen sie mit der Situation um – und was ändert sich dadurch für die Kunden?
Köln – Der Kölner Cinedom kann sich über schlechte Besucherzahlen nicht beklagen.
Zwischen 7000 und 8000 Leute strömen Tag für Tag in den Multiplex am Mediapark, und wenn wie in dieser Woche Mega-Blockbuster wie „Star Wars“ anlaufen, sind es noch ein paar mehr. Manchmal, zum Beispiel an Allerheiligen, platzt selbst dieser Palast aus allen Nähten. Bei 9500 Besuchern, so erinnert sich Geschäftsführer Ralf Schilling, war der Service nicht mehr aufrechtzuerhalten. Das heißt, man musste in einer langen Schlange stehen, um sich mit Nachos, Popcorn und Cola zu versorgen.
Der Cinedom ist eine Supermaschine des modernen Kinovergnügens, die von 3748 Sitzplätzen in 14 Sälen aus den besten Blick auf aktuelle und in den meisten Fällen äußerst populäre Filme bietet. Doch selbst ihr Getriebe, so räumt Schilling ein, gerät manchmal ins Stottern: „Unter der Woche bleiben viele Kunden seit einiger Zeit zu Hause.“ Das kann am Job liegen, der vom Kinobesuch abhält, an zu gutem oder zu schlechtem Wetter, an Fußball-Weltmeisterschaften oder schlicht an einem mäßigen Filmangebot. Doch wahrscheinlich ist der Hauptgrund 9013 Kilometer vom Kölner Mediapark entfernt im kalifornischen Los Gatos zu suchen. Dort ist Netflix zu Hause.
Streaming bringt Geschäftsmodell durcheinander
Netflix ist ein sogenannter Streamingdienst, er verteilt seine Ware in Form von Filmen und Serien also via Internet auf die heimischen Bildschirme in aller Welt – sofern deren Besitzer ein Abo abschließen, das bei einem monatlichen Basispreis von 7,99 Euro beginnt. Das ist nicht allein aus Bequemlichkeitsgründen verlockend, sondern auch mit einer gereiften Technik verbunden, die das Heimkino optisch und klanglich als wirkliche Alternative zum Kinobesuch erscheinen lassen. Vor allem aber bringt das Streaming das gewohnte Geschäftsmodell durcheinander: Seit Jahrzehnten gilt auch in Deutschland ein Verwertungsfenster, das den Kinobetreibern mindestens sechs Monate Zeit lässt, Filme auf der Leinwand zu zeigen, bevor sie auf DVD oder ähnlichen Medien und zuletzt im Fernsehen veröffentlicht werden. An dieses zeitliche Raster fühlt sich Netflix nicht mehr gebunden – der Dienst streamt seine Filme direkt.
„Es läuft etwas schief“, sagt Jürgen Lütz, der in Bonn einen Filmverleih und in Köln das „Odeon“ in der Severinstraße betreibt. Gerade hat er in seinem Kino mit großem Erfolg Martin Scorseses neues Epos „The Irishman“ gezeigt. Mit Schauspielern wie Robert De Niro, Al Pacino und Joe Pesci besetzt, also mit der Crème de la Crème des amerikanischen Independent-Films, ist „The Irishman“ der melancholische und am Ende tieftraurige Abgesang Scorseses auf sein zentrales Erzählmotiv – die Mafia. Und sein herausragendes Alterswerk. „Das konnten wir unserem Stammpublikum nicht vorenthalten“, sagt Lütz, „das ist mit Scorsese groß geworden.“ Das Problem ist bloß, dass „The Irishman“ ein Netflix-Film ist – und auch dort schon zu sehen ist.
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Was schiefläuft, ist laut Lütz Folgendes: Während sich ein großes Studio wie Disney mit erheblichem Aufwand auf die Fortsetzung seiner Blockbuster wie die „Avengers“ konzentriert, investiere Netflix in klassisches Erzählkino. Netflix springt also in die Lücke, die der Größenwahnsinn alter Hollywood-Prägung reißt: „Avengers: Endgame“ stieg 2019 zwar nach Einspielergebnis zum weltweit erfolgreichsten Film aller Zeiten auf – die Netflix-Produktion „Roma“ von Alfonso Cuarón aber gewann im Februar zwei Oscars und davor den Goldenen Löwen auf dem Filmfestival von Venedig. Der Streaming-Konzern setzt also mitnichten nur auf Kommerz, sondern mit großer Entschiedenheit auch auf Qualität und Kunst.
Jürgen Lütz zeigt diese Filme in seinem „Odeon“, gleichgültig, ob sie parallel auch auf dem heimischen Bildschirm zu empfangen sind. Er ist davon überzeugt: Kein Heimkino, und mag es noch so ausgefuchst sein, brachte die Schwarz-Weiß-Brillanz von Cuaróns Bildern, die Wucht seiner Panoramen und die malerische Komposition der Szenen so zur Geltung wie die Leinwand. Das Kino, der mythische Raum.
Lieber Finger weg von Netflix
Christian Schmalz hingegen, als Leiter von „Off Broadway“ und „Weisshaus“ ein weiterer prominenter Kinobetreiber in Köln, lässt wie auch Schillings Cinedom lieber die Finger von Netflix. Er befindet sich damit in der Gesellschaft der Filmfestivals von Cannes und Berlin, die im Unterschied zu Venedig keine Produktionen des Streamingsdienstes in ihr Programm aufnehmen – weil die Missachtung des Verwertungsfensters die Kinos auf Dauer in ernste Schwierigkeiten bringen könnte, zumal andere, potente Anbieter schon in den Startlöchern stehen. Demnächst wird der Walt-Disney-Konzern eine Streamingbasis etablieren, für die er auf sein immenses Portfolio zurückgreifen kann. Schmalz fragt sich, wie weit her es angesichts dieser ökonomischen Herausforderung dann noch mit dem künstlerischen Anspruch ist.
Kölns Kinobetreiber stehen mithin in einem Wettbewerb, der die Filmlandschaft weltweit verändert. Das zeigte sich erst jüngst wieder, als bei den Golden Globes neben „The Irishman“ auch Noah Baumbachs „Marriage Story“ mit Scarlett Johansson und Adam Driver als Favoriten nominiert wurden. Beide Filme werden auch bei den Oscars eine bedeutende Rolle spielen. Lütz hat „Marriage Story“ gezeigt. Ein Grund dafür sind auch die niedrigen Mieten, die Netflix im Unterschied zu Disney oder Sony von den Kinos verlangt. „Disney ist für viele Kinos das viel größere Problem als Netflix“, sagt Lütz. „Wir leben ganz gut mit den neuen Angeboten.“