Seeed, Gentleman, Milky-ChanceDas war der 33. Summerjam in Köln
Köln – Liebe ist meine Religion singt Ziggy Marley, der Erstgeborene des großen Bob. Und hängt spielerisch noch ein paar Takte von „All You Need Is Love“, der Hippie-Hymne der Beatles, dran. Das Publikum reagiert nur höflich. Dann wechselt der Rhythmus, den Basslauf und die auf dem Keyboard angeschlagenen Akkorde erkennt die Menge sofort und stimmt den Text ohne weitere Aufforderung an: „One love, one heart, let’s get together and feel all right“.
Willkommen beim 33. Summerjam, wo eine Popband aus Liverpool nur Randnotiz und Bob Marley der einzig wahre Weltstar ist. „Everlasting Festival“ verkünden stolz große Banner neben den beiden Bühnen. Es gibt auch keinen Grund, warum das Reggaefestival jemals aufhören sollte. Es pflanzt sich einfach von Generation zu Generation fort.
Mit Song an Demba Nabé erinnert
Vielleicht sollte man das nächste Familientreffen ja auch im Freien unter brennender Sonne abhalten und an die Verwandtschaft erstmal ganz besondere Zigaretten verteilen. Vielleicht wird es dann auch so nett und/aber familiär wie hier am Fühlinger See. Und so erinnert sich Afrob, Urgestein der deutschen Rap-Szene, selig, wie er als junger Hund am Barbarossaplatz Hasch gekauft hat. Und Dendemann, der als mit Reibeisenstimme rappender Teil des Duos Eins, Zwo vor 20 Jahren das einheimische Reimniveau anhob, heißt sich selbst in der bürgerlichen Mitte willkommen. Sein samstägliches Set auf der kleinen Bühne zeigte den mittlerweile 44-Jährigen allerdings in hart rockender Bestform.
Am Tag zuvor hatte hier Seeed-Sänger Frank Dellé über den plötzlichen Tod seines Kollegen Demba Nabé vor einigen Wochen, gesprochen und ihm eine gefühlige Version von Bob Marleys „Redemption Song“ gewidmet. Auch Naâman, Roots-Reggae-Sänger aus dem französischen Dieppe, pflegt familiäre Verbindungen zum Summerjam: Schon als kleiner Junge, erzählt der nette Surfer-Typ, sei er staunend über das Festivalgelände gelaufen und habe sich vorgenommen, hier irgendwann auf der großen Bühne zu stehen. Voilà.
Musikalischer Höhepunkt
Auf der folgt ihm ein weiterer Star aus Frankreich: Mohamed Sylla ist als Kind guineischer und senegalesischer Eltern im 19. Arrondissement von Paris aufgewachsen und tritt unter dem Kürzel MHD auf. Gerade mal 23 Jahre alt, kann er sich schon der Erfindung eines Genres rühmen, des Afro-Trap, einer Verbindung aus westafrikanischer Highlife-Musik und amerikanischen Trap, der gerade vorherrschenden HipHop-Ausformung. Dessen drogenschwangere Dämmersounds infiziert MHD mit fröhlicher Lässigkeit.
Sein Auftritt ist der musikalische Höhepunkt des Festivals, als er sich ins Publikum vorbeugt, möchte ihn dieses am liebsten mit Haut und blond gefärbtem Haarschopf verschlingen. Dagegen wirkt der singende HipHop-Superstar Ty Dolla Sign bloß routiniert. Ob er wirklich, wie er sich entschuldigt, nach dem er ein paar Minuten zu spät die Bühne betreten hat, gerade erst aus seinem Jetlag-Schlaf erwacht ist? Musikalisch ist das erste Sahne, man versteht, warum der Mann aus Los Angeles der zur Zeit gefragteste Feature-Gast ist, warum er Songs für Rihanna, Kanye West und Beyoncé schreibt. Er hat auch die lustigste Hasch-Prahlerei im Gepäck. Am Flughafen wären er und seine Entourage durchsucht worden, erzählt Ty Dolla Sign, „aber so blöd sind wir natürlich nicht. Ich muss kein Gras mitnehmen, das Gras kommt zu mir.“
Konkurrenz für Ed Sheeran
Überhaupt bleibt die Hauptbühne den tiefenentspannten Acts vorbehalten – etwa den Roots-Reggae-Sängern Jesse Royal und Tarrus Riley (mit wunderschönem Cover von Michael Jacksons „Human Nature“) oder der deutschen Band Milkey Chance, deren Musik so freundlich, tanzbar und radiofertig daherkommt, dass Ed Sheeran sich ernsthaft Sorgen um die Konkurrenz aus Kassel machen sollte.
Bleiben noch die Headliner, auch sie gehören längst zur Summerjam-Familie. Für Marteria ist es bereits der sechste Auftritt, bei Gentleman hat man längst aufgehört zu zählen. Der Berliner Rapper nutzt die endlich angebrochene Dunkelheit mit einer aufwendigen Licht- und Videoshow. Der Mann, der schon im U-17-Kader der deutschen Nationalmannschaft spielte, als Modell in New York arbeitete, und Hits für die Toten Hosen komponiert, weiß wie man auf dem Spielfeld die Übersicht behält und dabei noch gut aussieht. Ob Marteria über sich selbst, linken Widerstand, oder seine politisch unkorrekte Liebe zu Nike-Schuhen rappt, stets erzeugen er und seine Band monumentalen Druck. Bis der Künstler oberkörperfrei in die restlos aufgekratzten Menge springt.
Gentleman geht es da eher etwas lässiger an, lässt schon mal die Musik aussetzten, um sich die Schnürsenkel zuzubinden. Eigentlich wollte er wohl nur zeigen, wie perfekt das Zusammenspiel mit seiner Band, The Evolution, funktioniert, seine Frau singt übrigens auch mit. Noch dazu hat Gentleman Freunde eingeladen: Den Dancehall-Star Konshens, der gerade noch auf der kleinen Bühne die Massen bewegt hat – und seinen alten Weggefährten Daddy Rings. Der war der erste Jamaikaner, der den Reggae-Verrückten aus Köln als Bühnenpartner akzeptiert hat. Ein Deutscher, der in stilechtem Patois singt? Das erschien damals noch als Sakrileg. Und heute? Bildet man eine einzige große Familie.
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