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Eindrücke vom Kölner Summerjam„Frag’ die Polizisten, ob sie mitrauchen“

Lesezeit 5 Minuten
Reportage Summerjam Goyert (1)

Das Summerjam-Festivalgelände am Fühlinger See in Köln

Köln – Wer macht das nicht gern: hinsetzen, Leute beobachten, Geschichten spinnen. Unsere Fotografin Martina Goyert und Autor Uli Kreikebaum gucken nicht nur. Sie hören zu, schreiben auf, fragen nach, was passiert. Das Spiel dauert 90 Minuten, irgendwo in Köln. Kein Moment kommt wieder, jeder lässt sich festhalten. Das ist die Idee hinter der Serie „Momentaufnahme“.

Diesmal sind sie auf dem Summerjam-Festival am Fühlinger See.

19.45 Uhr: Die Gesichter in der Menge vor der grünen Bühne sind wie weich gezeichnet: Schön, sagen die Gesichter, dass die Erde rund ist, schön, dass wir in den letzten goldenen Sonnenstrahlen des Tages stehen, schön, dass unsere Körper sich zu einem monotonen Bass bewegen, dass wir lachen, schwitzen, atmen, da sind. Dass Reggae friedliche Sonnenscheinmusik sei, ist ein Klischee, und wie die meisten Klischees ist es wahr und falsch zugleich: hier und jetzt ist es wahr. Eine Dunkelhaarige dreht minutenlang einen gelben Hula-Hoop-Reifen um die Taille und behält dabei eine riesige, trichterförmige Zigarette im Mundwinkel, zwei Polizisten flanieren kichernd vorbei. Als einer, der wie Hunderte hier eine verdächtig große Zigarette dreht, die Polizisten sieht und die Selbstgedrehte schüchtern versteckt, sagt sein Kumpel: „ Was machst Du? Frag’ die lieber, ob sie mitrauchen.“

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Summerjam-Festival am Fühlinger See

19.58 Uhr: Barbara, Nicole, Helena und Ousman sitzen auf einer Bank und trinken Caipirinha. Ousman ist vor drei Jahren als Flüchtling aus Gambia nach Deutschland gekommen, in Heidelberg lernte er Barbara, Nicole und noch deutlich besser Helena kennen – die drei arbeiteten als Flüchtlingshelferinnen. „Das war eine total intensive Zeit, leider haben sich die Zeiten geändert“, sagt Nicole. Als Erinnerung an den Sommer 2015 und ein gefühlt Lichtjahre entferntes Deutschland, das Hunderttausende Menschen mit offenen Armen empfing, tragen die Freundinnen ein Tattoo mit den Lettern „Spreadlove“ („Verbreite Liebe“) auf der Haut. Um diese Botschaft geht es auch beim Summerjam; sie mag kitschig und naiv klingen, trotzdem würde man sie dieser Tage gern christsozialen Kreuzsymbolikern als realpolitisches Handlungsprinzip empfehlen – ein Besuch hier könnte Wunder wirken. Seehofers Horst würde hier niemand einsperren oder vertreiben, vielleicht würde er beim Einatmen der Marihuanaschwaden erkennen, dass auch Menschen aus Afrika in erster Linie Menschen sind – und keine Bedrohung.

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Sina und Lisa zelten eine Woche. 

20.06 Uhr: Helena und Ousman halten Händchen. „Das Spreadlove-Tattoo ist unser Zeichen gegen Vorurteile und Rassismus“, sagt Helena. „Das haben wir uns nicht selbst ausgedacht, es ist die kostenlose Aktion eines Tätowierers aus Heilbronn, der es satt hatte, dass die Willkommenskultur sich in Hass verwandelte und keiner was dagegen tat.“ Hass, Homophobie und Sexismus sind in den Texten einiger Dancehall-Musiker kein Fremdwort, die Veranstalter in Köln wollen diese Künstler allerdings nicht hören: Seit vielen Jahren müssen die Künstler Verträge unterschreiben, die ihnen untersagen, auch nur ein schwulenfeindliches Wort zu sagen.

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Meggy, Jan und Peter sind Stammgäste beim Festival. 

20.07 Uhr: Der Reggae-Sänger Charly Black hält auf der Bühne kurz inne. „If the Ladies are not happy, I can’t be happy. So treat them right“, sagt er. – „Wenn die Frauen hier nicht glücklich sind, kann ich auch nicht glücklich sein. Also behandelt sie gut.“ Die Menge johlt, die Band spielt weiter. Wie zum Dank tanzt eine knapp bekleidete Frau auf der Bühne aufreizend für Black, der den erotischen Tanz annimmt.

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20.25 Uhr: Vor dem Männerklo stehen drei Männer und elf Frauen an. An den Pissoirs kreist ein Joint. Ein junger Mann mit krebsrotem Nacken singt beim Pinkeln „Could you be loved“. Der Geist von Bob Marley ist allgegenwärtig – in den Devotionalienshops, auf der Haut von Fans, auf den Bühnen und – wenn man Paul M. Belt, Informatiker und Buchautor aus Dormagen, glaubt – in den Seelen der Menschen. „Wir sterben ja alle nicht“, sagt Paul, der mit seiner Frau Meggy und Sohn Jan (8) Jahr für Jahr aus Dormagen anreist. „Wir hinterlassen alle einen Fußabdruck und tragen die Energien der Verstorbenen in uns. Und so spüren wir hier auch die Energie von Bob.“ Paul arbeitet als Senior Consultant, „ein sehr rationaler Beruf. Früher habe ich selbst analytische Rockmusik gemacht, irgendwann konnte ich es nicht mehr genießen. Bis ich Reggae entdeckt habe: Reggae ist anders, kein Kopf, Herz. Steven Marley, Gentlemen, Bob natürlich, das steht für Frieden, Liebe, Spiritualität.“ Während Peter von Bob erzählt, dem größten Reggaemusiker aller Zeiten, Symbol der Rastafari-Bewegung, ist Jan zu einem Stand gelaufen und presst Zuckerrohr. „Das ist kein Problem, wenn Jan verloren geht, bringt ihn jemand zurück“, sagt Meggy. Vor ihr wippen zwei Rastafaris mit Dreadlocks bis zum Hintern. Sie scheinen sich an das Gebot der Bewegung zu halten, die die in der Bibel verbotene Selbstverstümmelung auch auf die Haare überträgt.

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Caz aus London geht mit einem Drink zurück zur Bühne.

20.44 Uhr: Der hintere Bereich der grünen Bühne ist der Lagerplatz von Familien. Die Kleinkinder tragen riesige Kopfhörer, um sie herum tanzen, schlafen, kichern, rauchen, trinken, knutschen, chillen Eltern, Großeltern, Junge. War so Woodstock? Natürlich nicht, aber bestimmt auch.

21.05 Uhr: Arndt Wrede trägt Basecap, Fünf-Tage-Bart, Shorts und Bärenbauch. Der 40-Jährige kommt aus Krefeld, lebt aber seit 2003 auf Hawaii – für den Summerjam fliegt er Jahr für Jahr nach Köln. Um für den hawaiianischen Reggae-Sender Island 98.5 zu berichten und zwischendurch seine Familie wiederzusehen. „Multikulti ist auf Hawaii zwar auch normal, aber es ist nicht so selbstverständlich zwischen den Ethnien wie hier“, sagt Arndt, „es mischt sich weniger, es kommt mehr auf Status und Viertel an.“ Arndt muss das wissen, er hat hawaiianische Kulturgeschichte studiert.

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Eamon und Nash aus Leeds 

21.15 Uhr: Man glaubt, sich in einer ganz und gar friedlichen Blase zu befinden, in der Hass und Aggressionen keinen Platz haben, da berührt ein junger Kerl einen anderen jungen Typen versehentlich im Vorbeigehen, woraufhin der Berührte wie aufgezogen auf den Muskulösen losstürmt und schreit: „Was willst du, Alter?“ Der Angesprochene lächelt nur und sagt: „Chill’ mal Dein Leben, Alter.“ In der Nacht gibt es dann doch ein paar Schlägereien und drogenbedingte Ausraster. Vor dem Festivalgelände stoppt ein Ordner mit irrem Blick Besucher, die auf dem Rettungsweg Fahrrad fahren. Den Reporter reißt er fast vom Rad. „Hier fahren später im Minutentakt Rettungswagen vorbei“, schreit er. Ein Festivalbesucher, der die Szene beobachtet hat, wundert sich kichernd: „Alter, was hat der denn geraucht?“