AboAbonnieren

Tanzgastspiel in KölnMan muss nur wissen, wie man die Spezies Mensch gut aussehen lässt

Lesezeit 3 Minuten
Eine Tänzerin und ein Tänzer versuchen einander im Laufen bei den Händen zu greifen.

Szene aus „Ten Duets on a Theme of Rescue“ von Crystal Pite

Das Nederlands Dans Theater 2 zeigte drei starke Choreografien im Kölner Staatenhaus, darunter einen Klassiker von Ohad Naharin.

Hat man je einen schlechten Abend des Nederlands Danse Theaters gesehen? Seit Jahrzehnten gastieren die Ensembles aus Den Haag nun schon in Köln und leisten mit ihren meist mehrteiligen Programmen im Grunde beste „PR-Arbeit“ für die Sparte Tanz. So auch das aktuelle Tour-Triple vom niederländischen Nachwuchstrupp, dem „NDT 2“: Drei starke Choreografien, getanzt von einer Kompanie, die jede Arbeit nicht nur technisch virtuos und atemberaubend rasant absolviert, sondern dabei auch die Spezies Mensch bestens aussehen lässt. Wären wir nur immer so warm, gefühlvoll, reflektiert und voller ironischer Selbstdistanz wie die Tänzerinnen und Tänzer gerade in den ersten beiden Stücken des Abends, „Ten Duets on a Theme of Rescue“ von Crystal Pite und „Bedtime Story“ von Nadav Zelner, die Welt wäre ein besserer Ort.

Die Kanadierin Crystal Pite zählt zu den intelligentesten Choreografinnen ihrer Generation

Die Kanadierin Pite zählt zu den intelligentesten Choreografinnen ihrer Generation und zu den wenigen unter William Forsythe „sozialisierten“ Tänzerinnen, die trotz der starken Prägung einen eigenen Stil entwickelt hat: gewissermaßen Forsythe-Komplexität plus Poesie. Nur 14 Minuten dauern ihre ‚zehn Duette‘, die alle ein Moment des Auffangens, Helfens, Tröstens auszeichnet, die titelgebende „Rettung“ eben. Ein großartiges Thema. Wer rettet, ist achtsam und empathisch, nimmt das Gegenüber mit allen Sinnen wahr, um dann im richtigen Moment zuzugreifen. Pite setzt das in nie plakative, nie kitschige Pas de Deux' um. Immer trifft hier auch ein Zustand der Verzweiflung auf einen der Vernunft, trifft hellwache Klarheit auf albtraumhaften Kontrollverlust. Ein typischer Tanz-Kontrast, den auch Choreograf Nadav Zelner bestens bespielt, wenn auch in der Variante der Parodie.

Halb wach, halb schlafend - so stellt er sich die Tänzerinnen und Tänzer in seiner „Bedtime Story“ vor, die Phase also, wenn das Bewusstsein allmählich registriert, dass die wahrgenommene Welt eigentlich ein Traum ist. Grandios komisch wehrt sich hier das fantastische Ensemble zu nordafrikanischen Klängen gegen die eigenen nächtlichen Dämonen, grimassiert, bleckt die Zähne, haut sich selbst die Beine weg. Ein Duell „Monsterchen gegen Clowns“. Offenbar verfügt der aus Israel kommende Zelner über eine unerschöpfliche Bewegungsfantasie, die überall im Körper, einschließlich des Gesichts, irrlichtert und die in irrwitziger Geschwindigkeit alles amalgamiert: Urban Dance, Alltagsgesten, Slapstick, Showtanz, Pantomime, Folklore, Ballett und nicht zu vergessen: „Gaga“, den Stil des einflussreichsten aller israelischen Choreografen: Ohad Naharin.

Von ihm zeigt das NDT 2 seinen nun schon 25 Jahre alten Klassiker „Minus 16“, den Kompanien überall in Europa und den USA schon einstudiert haben. Das Stück ist eigentlich eine irritierend hart montierte Revue aus lustiger Publikumsanmache und aggressiver Auseinandersetzung mit zentralen Motiven der jüdischen Identität, einschließlich singulärem Trauma. Ohad Naharin lässt am Ende alle, auch die Zuschauer, wild grooven, als könne nur der Tanz uns alle retten vor Gewalt und Grauen. Und verführt vom NDT 2, will man das für die Dauer dieses Gastspiels im Staatenhaus gern glauben.


Nächste Vorstellung bei Tanz Köln: 14. bis 16. Juni „More Than“ von Shahar Binyamini im Depot 2