Das Kölner Museum für Ostasiatische Kunst zeigt bezaubernde Netsuke-Miniaturen aus Elfenbein, die man am Gürtel trug.
Ausstellung „Kyotos Netsuke“In Japan gehören Drachen zur freiwilligen Feuerwehr

„Eingerollter Drache“ aus dem 18. Jahrhundert, derzeit im Kölner Museum für Ostasiatische Kunst zu sehen.
Copyright: Fuis Photographie, Köln
Obwohl es in Japan lange verboten war, seinen Reichtum zur Schau zu stellen, fanden sich für die Eitlen unter den Bessergestellten immer Mittel und Wege, die feinen Unterschiede zu betonen. So führte der Titelheld in Ihara Saikakus 1682 erschienenem Schelmenroman „Aus dem Leben eines Lebemanns“ an seiner linken Hüfte ein langes Schwert spazieren, dessen Griff mit Haifischhaut bezogen war. An seinem Gürtel wiederum baumelte eine winzige Schnitzfigur, die man beinahe für einen Ausdruck von Bescheidenheit halten konnte. In Wirklichkeit war sie für ihren praktischen Nutzen viel zu kunstvoll gearbeitet, um nicht ebenfalls in die Haifischhaut-Kategorie zu fallen.
Solche Netsuke-Schnitzereien waren geradezu ein Ausdruck von Dekadenz
Solche Netsuke-Schnitzereien waren geradezu ein Ausdruck von Dekadenz – jedenfalls gemessen an den schlichten Knebeln, die sie ersetzten. Sie hatten ein kleines Loch, durch das eine Schnur gefädelt wurde, um ein Gegengewicht zu Tabakbeuteln, Pillendosen oder andere Hängesachen zu bilden, die der Reisende an seiner Hüfte trug. Die Netsuke klemmte man sich unter den Gürtel und ließ das kleine Gepäck locker baumeln. Dafür hätte es weder Elfenbeintiere noch Fabelwesen gebraucht. Netsuke fügten dem Praktischen das Dekorative hinzu, und darauf kam es ihren Trägern an.
Eine schöne Auswahl von 60 Netsuke ist jetzt im Kölner Museum für Ostasiatische Kunst zu sehen. Sie stammen aus der Kölner Privatsammlung von Karl-Ludwig Kley und wurden in Kyoto gefertigt – eine Hochburg der japanischen Schnitzkunst und seit 1963 eine Partnerstadt von Köln. Die 60-jährige Verbindung feiert das städtische Museum mit Arbeiten, von denen viele bequem in eine geschlossene Hand passen, die aber keineswegs kulturhistorischer „Kleinkram“ sind. Die besten Arbeiten sind Wunderwerke lebendiger Tierdarstellungen.
In Japan ist die Ratte eine Symbolfigur für Reichtum und Glück
Beugt man sich etwa zu einer schlafenden Elfenbeinratte hinab, die der Künstler Masanao im 18. Jahrhundert schuf, könnte man das Tierlein, ganz entgegen westlicher Gepflogenheiten, geradezu für entzückend halten – allenfalls der geriffelte dicke Schwanz, an den sich die Ratte schmiegt wie an eine Nabelschnur, stört das europäische Niedlichkeitsempfinden. Erklären lässt sich dies mit kulturellen Unterschieden in der Tierwahrnehmung: Gilt die Ratte bei uns als Träger von Krankheit und Tod, verkörpert sie in Japan Reichtum und Glück. Schließlich findet sie sich stets dort, wo es nicht an Nahrung mangelt – sie ist Ausdruck des Überflusses und wird entsprechend liebevoll dargestellt.
Unter den Netsuke aus Kyoto finden sich vor allem die Tiere des japanischen Tierkreiszeichens. Auf die Ratte folgen etwa der verlässliche Ochse, der mächtige Tiger (eine geradezu verschmuste Schutzfigur) und, als einziger Ausflug ins Reich der tierischen Fabelwesen, der Drache. Auch hier verblüfft neben der feinen Darstellung der kulturelle Unterschied: Während der westliche Drache oft und gerne Feuer spuckt, gehört der japanische zur freiwilligen Feuerwehr. Er wohnt in den Wolken, kontrolliert den Regen und ist so mächtig, dass schon sein Anblick den sicheren Tod bedeuten würde. Auch der „Eingerollte Drache“ aus der Kölner Sammlung schaut recht grimmig zu seinem Kugelleib heraus; in seiner züngelnden Klaue hält er einen Juwel, von dem man glaubte, mit ihm ließen sich die Gezeiten steuern.
Außer den Zodiak-Tieren bevölkern einige Fabelwesen, Sumo-Ringer und Heilige die Kölner Ausstellung. Ein löwenartiger Shishi gilt als Beschützer des Glaubens und wurde gerne brüllend und mit verdrehtem Körper geschnitzt – er gleicht einer auf kleinsten Raum geballten Kraft. Beim himmlischen Karyobinga sitzt ein menschlicher Kopf auf einem Sperlingskörper, was ihm die Gabe verleiht, mit seinem Gesang sogar die Götter zu besänftigen; so jemanden hat man gerne griffbereit. Sumo-Ringer und Schlangenmenschen gehörten hingegen zu den weltlichen Begleitern, mit denen die Schnitzer vor allem das Spektakuläre im alltäglichen Leben feierten. Ihre teilweise extravaganten Darstellungen scheinen den Geist der Netsuke zu zitieren: die Sehnsucht, sich zu unterscheiden.
„Kyōtos Netsuke – Meister & Mythen“, Museum für Ostasiatische Kunst, Universitätsstr. 100, Köln, Di.-So. 11-17 Uhr, bis 1. April 2024. Der Katalog zur Ausstellung kostet 29 Euro.