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Kölner BühneNeue Leitung und zwei gelungene Premieren im Freien Werkstatt Theater

Lesezeit 5 Minuten
Szene aus "Grusel" von pulk fiktion im Freien Werkstatt Theater

Szene aus 'Grusel' von Pulk Fiktion im Freien Werkstatt Theater

Das FWT in der Kölner Südstadt bietet für Erwachsene einen neuen Blick auf Tennessee Williams und für Kinder angenehmen Grusel.

Das Freie Werkstatt Theater in der Kölner Südstadt stellt sich personell und inhaltlich neu auf. Elf Jahre lang bestimmte Gerhard Seidel zusammen mit Guido Rademachers die Ausrichtung des Hauses. Nun gibt Seidel die künstlerische Verantwortung ab, um sich künftig auf die Geschäftsführung des Theaters zu konzentrieren.

Zu Rademachers stoßen der Kölner Kurator Jascha Sommer als Co-Leiter und die Berliner Dramaturgin Dandan Liu als Programmkuratorin hinzu. Der 1986 in Schwelm geborene Sommer hat 2013 die Initiative „Cheers for Fears“ zur Vernetzung der Studiengänge szenischer Künste in NRW gegründet und seitdem auch koordiniert. Für die Theaterfestivals Impulse und Favoriten hat er Programme gestaltet, jetzt soll er auch für das FWT neue Programmlinien entwickeln. Dandan Liu – 1980 in Peking geboren, seit 2012 in Deutschland – ist bereits Mitglied im Leitungskollektiv des Berliner Ringtheaters, ihre Expertise liegt in den Bereichen Performance, Stückentwicklung und Tanztheater und zeichnet sich durch ihre transkulturelle Perspektive aus.

Der Spielplan soll sich künftig um zentrale, thematisch ausgerichtete Programmlinien gruppieren. Im Open-Call-Verfahren will man sich für neue Positionen und unterrepräsentierte Perspektiven öffnen.

Psychologische Perlen für Erwachsene, Grusel für Kinder

Nicht, dass das aktuelle Programm des FWT zu wünschen übrig ließe. Zwei aktuelle Premieren, eine für das erwachsene, eine für das nachwachsende Publikum, konnten voll überzeugen.

Mit „Mister Paradise“ huldigt das Freie Werkstatt Theater dem großen Südstaaten-Dramatiker Tennessee Williams. In vier seiner selten zu sehenden Einakter entfaltet sich das Panoptikum eines längst vergangenen Amerikas, wo waidwunde Gestalten ihre unerfüllten Sehnsüchte in Seelendramen verwandeln.

Es sind Perlen des psychologischen Theaters und feinfühlige Plädoyers für die Zerbrechlichen, die hier von der Regisseurin Julie Grothgar stilsicher inszeniert werden. Angesichts einer zutiefst unsicheren Gegenwart wirken die fragilen Figuren zeitlos und aktuell.

Szene aus "Mr Paradise" im Freien Werkstatt Theater

Annina Euling und Sven Gey in „Mister Paradise“

Der queere Dramatiker, der selbst in seiner erfolgreichsten Zeit in Bühnenstücken wie „Endstation Sehnsucht“, „Die Glasmenagerie“ oder „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ das Lebensfazit von Gescheiterten und Zerbrochenen mit lakonischer Grandezza beschrieb, erweist sich auch in diesen Kurzdramen als Meister darin, das menschliche Dasein auf den Punkt zu erklären. Wie beim Titelstück „Mister Paradise“, wo eine etwas gönnerhafte, reiche Studentin im French Quarter von New Orleans einen verkannten Dichter ausfindig macht. „Diese Zeit dient der Entdeckung neuer Vernichtungswaffen, nicht der Auferstehung vergessener Dichter“, wehrt dieser ihre Bemühungen ab.

In „Zum Abriss freigegeben“ wickelt die ebenso kluge wie naive, jugendliche Willie als letzte Bewohnerin einer Abbruchbude den Eisenbahner Tom um den Finger. Es ist ein Flirt ohne Aussicht auf ein Happy End, genau wie in „Die Frau des fetten Mannes“. Hier zieht ein Ehepaar, Joe und Vera, in der Katerstimmung nach einer Silvesterparty ein ernüchterndes Resümee ihrer Beziehung: „Wir müssen uns daran gewöhnen, dass wir für den Rest unseres Lebens bedeutungslose Dinge zueinander sagen.“

Annina Euling und Sven Gey sorgen mit subtilem Humor für Lacher in den tragischen Tableaus

Dass der junge Autor Dennis Vera in einem Moment aufflammender Leidenschaft zu einem neuen Leben überreden will, rührt sie, gleichwohl wissend, dass diese Flucht der Realität nicht standhält. Im überaus gelungenen Bühnenbild zwischen Südstaatenklischees und Hollywoodkulisse wandelt die Schauspielerin Annina Euling an der Seite von Sven Gey auf diesem Boulevard der zerbrochenen Träume. Die beiden Akteure bringen mit großer Spielfreude und Können Eleganz und Tiefe der geschliffenen Dialoge zur Geltung und sorgen mit subtilem Humor immer wieder für Lacher in den tragischen Tableaus.

Es ist ein raffinierter Cocktail aus klassischer Eleganz, der hier dem Publikum serviert wird und dem gerade die zugefügten Bitterstoffe die nötige Wirkung verleihen.

Im Bereich des Kindertheaters arbeitet das FWT seit mehreren Jahren mit der Kölner Performancegruppe Pulk Fiktion zusammen. Die neueste Koproduktion „Grusel“ Regie: Hannah Biedermann und Norman Grotegut richtet sich als „Live-Hörspiel“ an blinde wie sehende Menschen ab acht Jahren. Die jungen Theatergänger bekommen Funkkopfhörer ausgehändigt, werden einzeln in einen abgedunkelten Raum geführt, Stühle finden sich im ganzen Raum, und unter ihnen Kuscheldecken zur Sicherheit, Bühne gibt es dagegen keine, das Theater verwandelt sich zur Geisterbahn.

Jetzt wird erschreckt. Aber keine Panik: Die vier Darsteller erzählen vorher genau, was als Nächstes passieren wird. Ein einsames Telefon klingelt, ein Kopfloser tanzt durchs Zimmer, ein Sturm zieht auf, ein Werwolf unterhält sich mit einem Vampir. Und plötzlich schwebt ein Kind auf seinem Stuhl, von Geisterhänden getragen.

Dazu berichten andere Kinderstimmen von ihren Ängsten, von pochenden Türen und knarzenden Dielen, oder von den gedämpften Geräuschen, die aus der Küche kommen, wo die Eltern noch mit Freunden feiern. Rätselhaft und seltsam sind sie, diese Erwachsenen und ihre Welt manchmal unheimlich. Und nicht weniger unheimlich ist es, wie gut diese Erwachsenen berechtigte Zukunftsängste zu verdrängen gelernt haben.

In der Verbindung von Spiel und Dokumentation, von spontaner Interaktion und kindgerechter Aufarbeitung zum Teil hochkomplexer Themen macht Pulk Fiktion zurzeit niemand etwas vor, zwar gibt es für „Grusel“ derzeit noch keine neuen Termine, dafür aber sind jetzt zwei andere, ebenfalls höchst empfehlenswerte Pulk-Fiktion-Produktionen wieder zu sehen.


Termine: „Der Schnee von gestern“, 10. (18/20 Uhr), 11.11. (15 Uhr); „Robin und die Hoods“ (Gewinner des Kölner Kinder- und Jugendtheaterpreises), 17., (18 Uhr), 18.11. (15/ 18 Uhr); „Mister Paradise“, 9.11. (20 Uhr)