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Steinplatte vor dem DomDas meistübersehene Kunstwerk der Welt

Lesezeit 3 Minuten
Steintafel

„Dies könnte ein Ort von historischer Bedeutung sein“, heißt übersetzt die Inschrift auf Braco Dimitrijevics Stein auf dem Domvorplatz.

  1. Mit seiner Steinplatte wollte der Künstler auf die Zufälligkeit dessen hindeuten, was wir Geschichte nennen.
  2. Bis heute sind im Mauerwerk der Kathedrale etliche Wunden des Zweiten Weltkriegs sichtbar.
  3. In den 80'ern lud Wulf Herzogenrath zeitgenössische Künstler ein, ihre Sicht auf den Dom zu präsentieren.

Köln – Am bekanntesten ist der bosnische Konzeptkünstler Braco Dimitrijevic für seine Aufnahmen von Passanten. Er hielt Begegnungen mit Vorübergehenden auf Fotografien fest, blies diese auf Plakatwandgröße auf und ließ die Porträts an Häuser oder auf Busse kleben, als gehörten sie Berühmtheiten, Werbeschönheiten oder wenigstens Politikern. Mit dieser „Passanten“-Serie wollte Dimitrijevic den sprichwörtlichen „kleinen Leuten“ ein flüchtiges Denkmal setzen, denn für ihn waren diese auf ihre Weise auch Stars, Politiker oder Künstler. Wenn der Werbefeldzug vorüber war, blieb für Dimitrijevic eine doppelte Erkenntnis: Ruhm ist vergänglich und außerdem ein Zufallsprodukt.

In den 80er Jahren fand Dimitrijevic seine Passanten auch in Köln, und für die Ausstellung „Mein Kölner Dom“ hinterließ er sogar etwas Bleibendes in der Stadt. Wulf Herzogenrath hatte zeitgenössische Künstler eingeladen, ihre Sicht auf den Dom zu präsentieren, das Plakatmotiv war eine von Christo in Gedanken verpackte Kathedrale. Für seinen Beitrag ließ Dimitrijevic auf dem Domvorplatz einen Stein entfernen und durch eine Tafel mit Inschrift ersetzen: „This could be a place of historical importance“ steht darauf in zierlichen Großbuchstaben. Auf Deutsch: „Dies könnte ein Ort von historischer Bedeutung sein.“

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Ähnlich wie bei den „Passanten“ wollte Dimitrijevic mit seiner Steinplatte auf die Zufälligkeit dessen hinaus, was wir üblicherweise Geschichte nennen. Er fand nicht nur die Huldigung „großer Männer“ albern, sondern auch die Quasi-Heiligsprechung historischer Stätten durch Gedenktafeln. Stattdessen glaubte er, dass jeder Ort zu jeder Zeit von historischer Bedeutung sein kann, ganz einfach, weil sich hier Menschen treffen und in jeder Begegnung der Keim zu etwas Besonderem steckt.

Mittlerweile liegt der Stein seit 40 Jahren vor dem Dom und ist, so Wulf Herzogenrath, „vermutlich das von den meisten Menschen übersehene Kunstwerk auf der Welt“. Tatsächlich dürften von den Tausenden Passanten und Touristen, die sich täglich unter den beiden Südtürmen tummeln, die allerwenigsten bemerken, dass zu ihren Füßen etwas geschrieben steht. Aber das gehört zur Idee dieser Gedenktafel. Sie lebt vom Zufall, davon, dass ein Blick statt zur Kathedrale hinauf nach unten geht und dort an etwas Unvermutetem hängenbleibt. „Dies könnte ein Ort von historischer Bedeutung sein“, liest man dann, wundert sich – und vergisst darüber vielleicht sogar das bedeutungsschwere Weltkulturerbe.

Darin liegt die Ironie der Inschrift. Man könnte ja auch der Meinung sein, dass dies bereits ein Ort von historischer Bedeutung ist, eben, weil der Dom hier steht und Millionen dorthin pilgern, um ihn zu sehen. Doch für Dimitrijevic täte es auch ein Pferdestall, solange der Zufall nur Menschen vor ihm zusammenführt. Für ihn kann historisch sein, was gerade nicht im Geschichtsbuch steht: die erste Begegnung von Liebenden oder Freunden, ein Gesicht in der Menge, ein Ereignis, das in Erinnerung bleibt. So schreibt Dimitrijevic die Welthistorie in ungezählte biografische Geschichten um.

Um die Bedeutung des Zufalls geht es auch in einem anderen „Kunstwerk“ am Kölner Dom. Bis heute sind im Mauerwerk der Kathedrale etliche Wunden des Zweiten Weltkriegs sichtbar, von Bomben und Granaten heraus gesprengte Löcher in der Fassade – in einem Fall ähnelte solch eine Wunde aus einem bestimmten Blickwinkel gesehen einem Teufelsgesicht. Sigmar Polke machte 1979 aus dieser Entdeckung die „Skulptur eines unbekannten Meisters (vermutlich englischer Bomberpilot, 1944)“. Man könnte die von ihm verewigte Visage beinahe für eine der vielen Steinfiguren der Kathedrale halten.

Mittlerweile wurde die schadhafte Stelle offenbar ausgebessert, der Teufel ausgetrieben. Aber Polkes Fotografie, 1984 als Serie für den Kölnischen Kunstverein erschienen, gibt es noch. Unter all den Domgesichtern hätte uns seine Kriegsfratze heute wohl am meisten zu erzählen.