Das Kölner Filmfestival Stranger than Fiction stellt ab 24. Januar besondere Dokumentarfilme vor. Dies sind die Höhepunkte.
Kölner FilmfestivalDer lange Tag, an dem die Frauen streikten
Am 24. Oktober 1975 nahmen sich die isländischen Frauen frei. Sie hüteten keine Kinder, kochten kein Essen, wuschen keine Wäsche und ließen auch sonst alles liegen, was gemeinhin als „Frauenarbeit“ gilt. Angestellte und Arbeiterinnen traten gleichzeitig in den Streik. Geschätzt nahmen 90 Prozent der Isländerinnen am Ausstand teil.
Die isländischen Männer lernten ihre Lektion erstaunlich schnell. 1976 verabschiedete das Parlament ein Gleichstellungsgesetz, 1980 wurde Vigdis Finnbogadottir zur Premierministerin gewählt. Heute gehört Island zu den Ländern, in denen die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern am weitesten fortgeschritten ist.
„Ein Tag ohne Frauen“ gehört zu den Stimmungsaufhellern im Programm
Die Geschichte des legendär gewordenen „langen Freitags“ erzählt Pamela Hogan in ihrem Dokumentarfilm „Ein Tag ohne Frauen“ nach. Allerdings führt der Titel in die Irre, denn der Ausstand war selbstredend ein Tag der Frauen – und auch im Film sind Männer weitgehend abwesend. Hogan lässt einige der Rädelsführerinnen zu Wort kommen, die eher belustigt vom Chauvinismus der damaligen Zeit berichten. In Trickfilmsequenzen wird die Zeit vor dem Streik ebenfalls in eine überwundene und weit entfernt erscheinende Vergangenheit entrückt.
„Ein Tag ohne Frauen“ gehört zu den Stimmungsaufhellern im diesjährigen Programm des Kölner Dokumentarfilmfestivals Stranger than Fiction – angesichts der allgemeinen Weltlage unterstellt man der Gattung nicht erst seit Trump und Putin gerne einen Hang zur Depression. Zwar klingt im Festivaltitel an, dass die Wirklichkeit und nicht Hollywood die seltsameren und besseren Geschichten schreibt. Aber warum sollten diese deswegen gut ausgehen?
Insgesamt 19 Filmprogramme werden bei Stranger than Fiction in Köln gezeigt – und ausgewählte Arbeiten in ganz Nordrhein-Westfalen (die Region ist mit Brühl vertreten). Gleich drei Werke widmen sich Kapiteln der Filmgeschichte, wobei Martin Witz mit „Im Schatten der Träume“ das „seltsamste“ davon aufblättert. Seine Musikerbiografie handelt von Michael Jary und Bruno Balz, einem Komponistenduo, dessen Lieder aus Zarah Leander einen Weltstar machten. Beide waren Ufa-Stars und zugleich Verfolgte des NS-Regimes; Balz war homosexuell und wurde mehrfach verhaftet, Jary galt als „Kulturbolschewist“ und musste zeitweilig unter falschem Namen veröffentlichen.
So dramatisch die Lebensgeschichten von Balz und Jary sind, so konventionell erzählt Witz sie nach. Man könnte die Uhr nach dem Takt stellen, in dem sich Filmausschnitte und „sprechende Köpfe“ abwechseln, und das Zusammenspiel von Musik und Film scheint Witz kaum zu interessieren. Mit einer herrlichen Ausnahme: Wenn Zarah Leander im Revuefilm „Die große Liebe“ (1942) vor einer Wand aufblühender Frauen steht, zoomt die Kamera heran und entdeckt in den Kelchen lauter männliche Gesichter. Götz Alsmann referiert dazu die von Douglas Sirk (alias Detlef Sierck) verbreitete Anekdote, dass sich unter den Kostümen der Statisterie durchweg großgewachsene SS-Männer verbargen.
Auch G.W. Pabst hatte seine NS-Vergangenheit. 1933 emigrierte Pabst, einer der bedeutendsten Regisseure seiner Zeit, in die USA, kam in Hollywood aber nicht zurecht. Heimgekehrt nach Österreich, drehte er für die Nazis in Kriegszeiten zwei Unterhaltungsfilme, deren Erfolg er, jedenfalls nach eigener Aussage, so gut wie möglich sabotierte. Angela Christlieb interessiert sich für dieses Kapitel eher am Rande und konzentriert sich in „Pandoras Vermächtnis“ auf die innerfamiliären Dynamiken im Hause Pabst. Sie zitiert ausführlich aus den Tagebüchern von Trude Pabst, der Ehefrau, und lässt drei Enkel aus dem Fotoalbum plaudern. Sehenswert ist Christliebs Film vor allem, weil sie Privates und von Pabst Verfilmtes auf virtuose Weise miteinander verknüpft.
Am weitesten entfernt sich Alexander Horwarth von den ausgetretenen Pfaden des dokumentarischen Erzählens. Sein dreistündiger Filmessay „Henry Fonda for President“ (nicht zu verwechseln mit der verstümmelten Arte-Fassung) stilisiert Fonda, der Darsteller des jungen Abraham Lincoln, zum fiktiven Gegenkandidaten von Ronald Reagan (und aller republikanischen US-Präsidenten, die ihm folgten) und entdeckt die Geschichte Hollywoods noch einmal als großes Versprechen neu. Eine bessere Welt war möglich, sagt Horwarth sinngemäß, und solange es Filme gibt, wird sie auch weiterhin möglich sein.
Von Deutschland als Sehnsuchtsort handelt Younes Laaguidis „Einer von uns“
Horwarths Essay hat bereits eine längere Festivalkarriere hinter sich – genau wie „Soundtrack to a Coup d’Etat“. Johan Grimonprez verbindet darin die oft erzählte Geschichte des Staatsstreichs gegen den kongolesischen Premierminister Patrice Lumumba mit der eines US-Werbefeldzugs durch Afrika. Während die CIA hinter der Bühne dabei half, mit Lumumba eine der großen Hoffnungen der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegung zu entmachten (und 1961 zu ermorden), tourten afroamerikanische Jazzstars wie Louis Armstrong und Nina Simone als Reklameträger des westlichen Lebensstils durch den Kontinent. So virtuos kann populäre Musik offenbar gar nicht sein, dass am Ende nicht doch die Logik der Realpolitik den Takt angibt.
Von Deutschland als Sehnsuchtsort handelt Younes Laaguidis „Einer von uns“. Der junge Marokkaner Samir wurde im Waisenhaus von einer deutschen Missionarin und Pflegemutter großgezogen, spricht fließend Deutsch und beginnt den Tag mit Martin Gotthard Schneiders „Danke“-Kirchenlied. An Marokko stört ihn vor allem der Konservatismus (man erfährt eher nebenbei, dass Samir homosexuell ist), weshalb es eine schöne Ironie hat, dass es ihn als Kellner an den Tegernsee verschlägt. Hier lernt er Bayrisch als Fremdsprache und die einheimischen Sitten kennen: „Der Bayer säuft gerne.“ Aber selbst deutsche Gemütlichkeit scheint seiner Liebe zum fremden Mutterland nichts anhaben zu können.
Stranger than Fiction, Festival für Dokumentarfilme, 24. Januar bis 2. Februar 2025. Das Festival läuft in Köln im Filmhaus und in Brühl im Zoom Kino.