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Zum Tod von David LynchErinnerungen an seine Filme und was sie mit uns machten

Lesezeit 4 Minuten
David Lynch vor acht Jahren bei den Filmfestspielen von Cannes.

David Lynch vor acht Jahren bei den Filmfestspielen von Cannes.

David Lynch ist mit 78 Jahren gestorben, seine Werke bleiben. Wir erinnern uns an die schönsten Verstörungen des Regisseurs.

In den Filmen David Lynchs war die Traumfabrik mehr als nur ein Wort. Kein anderer Regisseur vertraute so rückhaltlos auf die Eingebungen, die aus der Tiefe seines Unbewussten steigen, doch vor allem hat es nicht einmal Alfred Hitchcock geschafft, die Filmindustrie derart unverhohlen für seine Obsessionen einzuspannen. „Es ist eine verrückte Welt - hier in meinem Kopf“, schien Lynch mit jeder Einstellung zu sagen, und im dunklen Kinosaal folgte man ihm nur zu gern.

Anders als die Produzenten. Als ihnen aufging, dass sich mit Lynchs Traumarbeit auf Dauer kein Geld verdienen lässt, hörten sie einfach auf, seine Fantasien zu finanzieren. Seitdem nagte eine weitere Obsession am Regisseur: das kalte Herz von Hollywood. Im Spätherbst seiner Karriere war Lynch wieder dort angekommen, wo er begonnen hatte, im Grau-Obskuren. Als der ehemalige Starregisseur dann kommentarlos Wetterberichte aus seinem Hobbykeller sendete, schloss sich sein privater Höllenkreis. Dazwischen lagen einige der grandiosesten Werke der Film- und Fernsehgeschichte. Wir stellen Ihnen unsere Favoriten vor.

Eraserhead

Wer „Eraserhead“, David Lynchs Kinodebüt von 1977, einmal gesehen hat, der weiß mit Sicherheit noch, wo und wann das war. Man vergisst das nicht, der Film arbeitet in einem als unerlöstes Trauma weiter. Wer ihn zweimal gesehen hat: Respekt. Der Regisseur nannte „Eraserhead“ seine „Philadelphia Story“, in Anspielung auf die klassische Romcom, die auf Deutsch „Die Nacht vor der Hochzeit“ heißt. Unromantischer könnte ein Film freilich nicht sein. Obwohl über mehrere Jahre in Los Angeles gedreht, verarbeitete Lynch hier seine Zeit in einer besonders heruntergekommenen Gegend von Philadelphia, seine scheiternde Ehe, seine Angst vor der Vaterschaft. Doch diesen Albtraum in Schwarzweiß mithilfe solcher biografischen Verweise zu erklären, hieße Napoleons Feldzüge als Reaktion auf die Untreue seiner Frau Josephine zu deuten oder Kafkas Kurzgeschichten mit einer Magenverstimmung. „Eraserhead“ bleibt uninterpretierbar. In der kargen Wohnung schreit ein Baby, das aussieht wie ein gehäutetes Kaninchen und in der Heizung singt eine Frau.

Blue Velvet

Die Nachtclub-Sängerin Dorothy Vallens (Isabella Rossellini) hat den College-Student Jeffrey Beaumont (Kyle MacLachlan) in ihrem Kleiderschrank entdeckt und bedroht den Eindringling mit einem Messer.

Isabella Rossellini und Kyle MacLachlan in David Lynchs „Blue Velvet“.

Im amerikanischen Städtchen Lumbertown sagt der Radiosprecher die Uhrzeit zum Geräusch eines fallenden Baumes an, die Sonne steht scheinbar unverrückbar am strahlend blauen Himmel, und sämtliche Gärten sehen aus wie mit der Nagelschere getrimmt. Was folgt, ist ein Höllensturz aus dem heilen Kleinstadtkosmos in die Unterwelt sexueller Begierden, mit ausblutenden Neonfarben, unheilvoll sirrenden Gebäuden und Dennis Hoppers unvergesslichem Auftritt als sadomasochistischer Machogangster. Mit diesem Meisterwerk verwandelte Lynch das Filmdrama des Erwachsenwerdens in einen Abgrund: „Ich weiß nicht, ob du ein Detektiv oder ein Perverser bist“, neckt Laura Dern den von Kyle MacLachlan gespielten Helden, und das Erste, was dieser über sich lernt, ist, dass man beides zugleich sein kann.

Twin Peaks

Diese unklassifizierbare Fernsehserie, zu je einem Viertel Krimi, Kleinstadtkomödie, Geistergeschichte und kompletter Freak-Out, dürfte David Lynchs nachhaltigster Beitrag zur Mediengeschichte sein. Mit den Ermittlungen des FBI-Special-Agent Dale Cooper, gespielt von Lynchs Alter Ego Kyle MacLachlan, in der Kleinstadt Twin Peaks im pazifischen Nordwesten der USA beginnt die Idee vom seriellen Erzählen als interessantester Kunstform unserer Zeit. Von Seifenopern, die komplexere Ideen transportieren können als - um in der Seifenwerbungssprache zu bleiben - herkömmliche Opern. Lynch und sein Co-Showrunner Mark Frost hatten mit „Twin Peaks“ Norman-Rockwell-Bilder zum Leben erweckt und zum surrealen Meisterwerk verformt. Das seinerzeit übrigens kein Nischenprodukt war, sondern eine Sensation. Die halbe Welt diskutierte 1990 die Frage „Wer hat Laura Palmer ermordet?“, als sie nach anderthalb Staffeln beantwortet wurde, wandte sich das breite Publikum ab. Als wäre hier der Kriminalfall der Fall gewesen.

Mulholland Drive

Die geheimnisvolle Schönheit Rita (Laura Elena Harring) steht im neuen Kinofilm "Mulholland Drive" vor einem Spiegel (Szenenfoto).

Laura Elena Harring in 'Mulholland Drive' von David Lynch.

Unter den Händen David Lynchs verwandelt sich früher oder später alles in einen Alptraum: die Sexualität, die Ehe oder die ganze bürgerliche Welt. In „Mulholland Drive“ stilisierte er schließlich die Traumfabrik selbst zum verwunschenen Ort, mit Falltüren in ein Schattenreich. Alles beginnt beinahe unverfänglich mit einem Autounfall, der eine brünette Schauspielerin mit Gedächtnisverlust aus dem Wrack entlässt. Gemeinsam mit einer blonden Kollegin versucht sie, das Geheimnis ihrer Identität zu lüften, was gar nicht so einfach ist, wenn einem jemand ständig surreal schillernde Steine in den Weg legt. Aber vielleicht finden die beiden gerade deswegen ein kurzes Glück. Dann wird der Traum an den Anfang zurückgespult und als Alptraum wiederholt.

Dark Splendor

Nachdem Lynchs Regiekarriere ins Stocken geraten war, tingelte der ehemalige Kunststudent mit Gemälden, Zeichnungen und Fotografien als Erbe der surrealistischen Bewegung durch die Welt – und stieg mit der Werkschau „Dark Splendor“ auch im Brühler Max-Ernst-Museum ab. Vorab wurde sicherheitshalber vor den Werken des berühmten Gasts gewarnt. Diese könnten Wert- und Moralvorstellungen verletzen, und selbstredend würden allein die Eltern für mögliche Seelennöte ihrer Kinder haften. Als David Lynch dann zur Eröffnung die Bühne betrat, erlosch das Licht mit Knalleffekt. Allerdings sprach der Alptraumregisseur dann nur ein paar Dankesworte im Funzelschein, statt eine schwarze Messe abzuhalten. Verstörender als sein künstlerisches Werk war ohnehin das offenbar ernst gemeinte Bekenntnis, mit Hilfe Transzendentaler Meditation das Fliegen erlernen zu wollen.