Die Kölner Komikerin und Familientherapeutin Cordula Stratmann über die lit.Cologne, die Folgen der Pandemie für Kinder und Jugendliche und kulturelle Aneignung.
Cordula Stratmann„Ich finde es verboten, sich jetzt über feiernde Jugendliche zu erregen”
Frau Stratmann, am Mittwoch, 1. März, startet in Köln die lit.Cologne. Nun sind Sie alles andere als unbefangen, weil Sie schon bei vielen Abenden dabei waren und Ihr Mann zu den Gründern des Festivals gehört und es immer noch leitet. Aber ganz neutral und objektiv: Was macht die lit.Cologne besonders?
Es ist ein liebevolles, hoch engagiertes, nie nachlassendes Festival. Alle Mitwirkenden sind Jahr für Jahr begeistert dabei, seit 20 Jahren. Es ist ein Festival der puren Freude, weil es alle Sinne beansprucht, den Geist anregt, das Miteinander, die Diversität. Es ist auf vielen Ebenen relevant. Und das sage ich nicht, weil ich persönlich bekannt bin mit Herrn Osnowski. Er macht es ja auch nicht allein, die lit.cologne, das sind viele ausgezeichnete Mitarbeiter:innen. Und sie zeichnet aus, dass es keine Schranken gibt. Sie hält nichts persé für zu doof oder zu schlau, sondern jede Idee muss der subjektiven Überprüfung des Redaktions-Teams standhalten.
Einer meiner Lieblingsabende bei der lit.cologne war ein Abend, bei dem es um Verdauung ging. Die Texte waren großartig, vor allem aber die Gebärdendolmetscherin. Man lag eigentlich von Sekunde 1 auf dem Boden.
Sie sagen etwas ganz Wichtiges, denn es handelt sich bei der lit.cologne auch wegen des Publikums um ein so beliebtes Festival. Es ist sensationell, wie die Kölnerinnen und Kölner diese lit.cologne mit Begeisterung und Zuverlässigkeit besuchen und mittragen. Ohne dieses so treue Publikum hätte sie nicht überlebt. Köln kann mit diesem Festival zeigen, welche Menschen hier leben. Ich kenne viele deutschsprachige Künstlerinnen und Künstler und alle kriegen glasige Augen, wenn sie von Köln reden. Die Kölner sind für mich tatsächlich auch das wachste Publikum, das begeisterungsfähigste, ohne dabei unkritisch zu sein.
Sie gestalten einen Abend mit, an dem Texte aus der Geschichte der Stunksitzung gelesen werden. Im traditionellen Karneval diskutiert man im Jahr 2023 immer noch, ob Frauen ins Dreigestirn dürfen, während andere schon die Geschlechter-Aufteilung komplett in Frage stellen. Die Stunksitzung als alternativer Karneval ist immer schon progressiver gewesen als der traditionelle Karneval. An welcher Stelle des Spektrums positionieren Sie sich?
Ich empfinde diese Zeiten als Gründerzeiten. Derzeit wird alles hinterfragt – dabei richtig hinterfragt, zu viel hinterfragt, zu wenig hinterfragt. Wir befinden uns in meinen Augen in einer Ordnungsphase, und darin noch im aufgeregten Teil. An manchen Stellen müssen wir uns wieder beruhigen. Zum Beispiel in der Frage der Aneignung, der ja eine gute Idee zugrunde liegt. Es ist toll, wenn wir uns Traditionen angucken und fragen, inwieweit wir uns verändern müssen. Aber es gibt darin auch eine Übertreibung, weil wir das Maß noch suchen. Die Frage nach Großzügigkeit zum Beispiel müssen wir uns sehr dringend stellen.
Großzügigkeit bei Fehlern, die andere machen?
Ja. Es geht um Selbstreflexion, ohne die kommen wir nicht durch diese Zeit, durch keine Zeit. Wenn ich mich als jemand, der ein Unrecht entdeckt hat, ab dann selbst nicht mehr in Frage stelle, weil ich ja angeblich so eine lupenreine Wahrnehmung habe und entlarven und anklagen kann, ist diese Entwicklung verkehrt. Transformation funktioniert nur im Dialog. Und so schwer es ist, wir müssen immer auch den Tätern zuhören, damit wir wissen, was nicht weiter stattfinden soll.
Gibt es etwas, das Sie lange nicht verstanden haben, bis es irgendwann Klick gemacht hat? Sie gendern ja zum Beispiel auch.
Ja, das kostet mich gar keine Mühe. Ich habe natürlich Störgefühle, ich bin alt genug, um mit der vorherigen Sprache so vertraut zu sein, dass ich mir nicht Mitarbeiter:innen aussuchen würde. Aber ich habe verstanden, dass es ohne großen Aufwand alle meint. Ich bin selbst Frau, ich habe eine Geschichte damit, nicht gemeint zu sein als Frau. Ich finde es nicht schwer, aufeinander zu achten. Was mir schwer fällt ist, wenn das mit Gnadenlosigkeit und Verbissenheit einher geht. Wir haben bis gerade bestimmte Fehler gemacht, und jeder, der sich mit Entwicklung ein bisschen auskennt, weiß, dass es keine Schalter gibt, die man umlegt. Es gibt immer nur Entwicklung, und die vollzieht sich schneller und oder langsamer. Da können wir nicht auf turbo drehen.
Man hat das in Köln im Karneval gemerkt. Kulturelle Aneignung hat da ja auch eine Rolle gespielt etwa bei der Frage, welche Kostüme man noch anziehen darf. Viele lehnen Indianer-Kostüme ab, man hat sie aber immer noch gesehen. Die Gleichzeitigkeit verschiedener Positionen war sehr sichtbar.
Nur in so einer Welt will ich leben, in der gleichzeitigen und nicht in der Entweder-Oder-Welt, weil die vergiftet ist. Es wird im Moment alles etikettiert. Alle geben „Statements“ ab anstatt Meinungen, die wir auch immer wieder ändern sollten, sobald neue Aspekte hinzukommen. Wir sind alle im Kampf. Das muss sich entspannen, damit wir erfolgreich sind in der Entwicklung des Miteinanders.
Sie sind bei drei Veranstaltungen der lit.COLOGNE dabei, natürlich darf auch ein Abend nicht fehlen, bei dem Sie mit Bjarne Mädel auftreten. Dieses Mal stemmen Sie sich gegen den Verdruss. „Ich bin es leid“ ist der Abend überschrieben. Was stimmt Sie denn in diesen Tagen verdrießlich?
Das, was wir gerade besprochen haben, nämlich diese Rigorosität, mit der Menschen mittlerweile auf Menschen gucken und wie wenig wir uns unsere Fehlerhaftigkeit verzeihen. Das verdrießt mich wirklich häufig. Und sogar in Köln empfinde ich im Bioladen eine Verdrießlichkeit der Kund:innen. Da würde ich gerne manchmal in die Hände klatschen und sagen: „Leute, alle Mundwinkel hoch, es gibt keinen Grund für schlechte Laune! Hier gibt es gute Bionahrung, einfach einkaufen, mehr ist das hier nicht!“
Wie grenzen Sie die Privatperson Cordula Stratmann von der Prominenten ab?
Ich bin immer dieselbe. Ich spreche nicht ausführlich über Menschen, die sich nicht so wie ich für eine öffentliche Arbeit entschieden haben. Ich habe von meinen Eltern beigebracht bekommen, was Diskretion ist. Wir haben in meiner Familie nie groß über Leute hergezogen. Es war immer klar, es gibt eine bestimmte Grenze.
Sie sagen in #warumbistduhier, dem Interviewprojekt von Annette Frier, das auch auf der lit.COLOGNE vorgestellt wird, dass Sie Ihren Eltern und dem Universum dankbar sind, so viel Humor abbekommen zu haben. Wann war Ihnen denn klar, dass Sie lustig sind?
Ich habe mir darüber nie Gedanken gemacht. Ich habe irgendwann entdeckt, dass es sich besser anfühlt, wenn man etwas komisch findet - nicht nur lustig, sondern komisch, das ist ein Unterschied. Diese Beschäftigung mit dem Komischen hat mich aus allen Löchern rausgeholt. Ich habe mich oft allein gefühlt an so schrecklichen 70er-Jahre-Sonntagen. Ich war auf einer Mädchenschule, das kann ich nicht empfehlen, weil es schon damals Heidi-Klum-artige Gehässigkeit gab. Die hat es nochmal richtig auf die Spitze getrieben, so dass wir jetzt große Probleme haben mit Mobbing auf Schulhöfen, aber ich fand es schon damals nicht einfach als Mädchen unter Mädchen.
Als Erwachsene findet man es doch eigentlich toll als Frau unter Frauen, oder?
Ja, ich finde es ganz oft toll als Frau unter Frauen. Ich finde es aber auch toll als Frau unter Männern. Ich habe zwei große Brüder, die mein Leben lang unverdächtig waren, sexistische Ideen in mein Leben zu pflanzen. Ich hatte keinen Vater, der dumme Sprüche gemacht hat. Ich habe die Fratzen-Seite der Männlichkeit in meiner Familie tatsächlich nicht direkt erlebt, deswegen war ich immer auch Verteidigerin von Männern, die sich respektvoll verhalten. Ich kann es grundsätzlich nicht haben, wenn sich Menschen zu Gruppierungen formieren und ab dann sich selbst die Rechtfertigung geben, über andere Menschen zu urteilen. Wir erleben gerade, dass das zu Feindseligkeit führt.
Sie waren Familientherapeutin, bis Sie etliche Jahre lang ins Fernsehen und auf Bühnen gewechselt sind. Seit vier Jahren arbeiten Sie anteilig wieder als Familientherapeutin. Warum?
Weil ich diese Arbeit sehr vermisst habe. Ich war schon als Kind Komikerin und Therapeutin. Ich hatte immer diese Antennen dafür, wenn Papa komisch geguckt oder bei Mama die Stimme gewackelt hat. Komisch sein und therapeutisch arbeiten gehört für mich zusammen und ist kein Gegensatz – auch wenn dieser Gegensatz immer vermutet wird.
Was genau haben Sie vermisst?
Diesen Prozess, sich mit Menschen in einem geschützten Raum auf den Weg zu machen in einem Zustand, der sie zunächst ängstigt. Viele fühlen sich gescheitert, überfordert und schämen sich., wenn sie kommen. Ich habe größten Respekt davor, wenn sie sich Hilfe suchen, auch ich kenne diese Erfahrung. Jede gute Therapeutin sollte irgendwann selbst richtig vor einer Wand gestanden und sich Hilfe zur Überwindung geholt haben.
Als Therapeutin müssen Sie Menschen auch knallhart die Wahrheit ins Gesicht sagen. Fällt Ihnen das schwer?
Nein. Mein Lehrtherapeut, der mich ausgebildet hat, war auch schonungslos mit mir. Ich habe sofort gespürt: Der meint es ernst mit dir, der fordert dich heraus. Damit fühlt man sich respektiert. Oft kommen Leute zu mir und sagen: Ich lebe überhaupt nicht mein Leben, ich bin zu viel für andere da, ich achte gar nicht auf mich. Denen sage ich: Das ist ein ganz großer Trugschluss. Sie leben jeden Tag Ihr Leben. Und wenn Sie die Gabe haben, für andere da zu sein, wollen wir an diesen gesunden Teil schon mal nicht drangehen! Vielleicht können wir gucken, wie Sie mit Ihrer Gabe einverstanden sein können?
Kinder haben in der Pandemie schwer gelitten. Viele haben psychische und körperliche Probleme bekommen. Erleben Sie das unmittelbar in Ihrer Arbeit?
Ja, das ist dramatisch. Es macht mich wütend, in welcher Situation Kinder und Jugendlichen in unserem so hoch entwickelten Wohlstandsland sind. Die jungen Menschen haben ab Beginn der Pandemie nur noch in überforderte Gesichter geguckt und wegen um sich selbst kreisenden Erwachsenen niemanden mehr gefunden, an dem sie sich festhalten konnten. Jetzt sagt Karl Lauterbach: Das war falsch mit den Schulschließungen. Glaubt der ernsthaft, dass er die Misere mit diesem Satz gut zusammengefasst hat? Ich finde es verboten, sich nach Jahren von Ignoranz jetzt über feiernde Jugendliche zu erregen, wie kurzsichtig ist das!? Bildung und das Sozialleben der Familien sind hochrangig relevant für unsere Gesellschaft. Aber da Kinder kein Wirtschaftsfaktor sind, fürchte ich, dass das weiterhin niemanden interessiert, und so wird sehenden Auges langfristig das Gleichgewicht unserer Gesellschaft gefährdet.
Sie sind bei der neuen Staffel „Last one Laughing“ dabei. Das Konzept der Show ist schnell erklärt. Zehn Berufs-Komiker treffen in einem Raum aufeinander. Wer zweimal lacht, fliegt aus der Sendung. Haben Sie dafür trainiert?
Man darf noch nicht mal die Mundwinkel nach oben bewegen. Man darf auch nicht lächeln, nicht mal erheitert ausatmen. Das war für mich eine außerkörperliche Erfahrung. Das kann man auch nicht trainieren. Wenn du in diesem Raum bist, gerätst du in einen Zustand, den du vorher gar nicht herstellen kannst. Das ist wie ein Labor, wo du mit anderen Labormäusen von einer Katze beobachtet wirst. Man sieht mich in der Sendung auch nur in Schockstarre irgendwohin in den Raum glotzen.
Cordula Stratmann ist Komikerin, Schauspielerin und Familientherapeutin. Sie lebt in Köln und ist mit lit.Cologne-Chef Rainer Osnowski verheiratet.