Das sagen Kölner Kulturinstitutionen zum Vorwurf, der deutschen Kulturszene mangele es an Solidarität mit Israel.
Kölner Kultur„Der unfassbar grausame Angriff der Hamas hat auch unsere Welt verändert“
Am 13. November hat sich auch Jürgen Habermas, der große Theoretiker kommunikativer Vernunft, in einem offenen Brief zum Massaker der Hamas und dem darauf folgenden israelischen Einmarsch in den Gaza-Streifen geäußert. Als einer von vier Unterzeichnern formuliert er „einige Grundsätze“, die in der „Kaskade von moralisch-politischen Stellungnahmen und Demonstrationen“ zum Thema „nicht bestritten werden sollten“. Dazu gehören, dass der israelische Gegenschlag „prinzipiell gerechtfertigt“ sei und man Israel keinesfalls „genozidale Absichten“ zuschreiben könne.
All dies wird sehr kurz abgehandelt, etwas ausführlicher äußert sich Habermas zu den antisemitischen Demonstrationen in deutschen Städten: „Es ist unerträglich, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland wieder Drohungen gegen Leib und Leben ausgesetzt sind und vor physischer Gewalt auf der Straße Angst haben müssen“, schreibt er. „Mit dem demokratischen, an der Verpflichtung zur Achtung der Menschenwürde orientierten Selbstverständnis der Bundesrepublik verbindet sich eine politische Kultur, für die im Lichte der Massenverbrechen der NS-Zeit jüdisches Leben und das Existenzrecht Israels zentrale, besonders schützenswerte Elemente sind. Das Bekenntnis dazu ist für unser politisches Zusammenleben fundamental.“
Mangelt es der deutschen Kulturszene an Empathie für Israel?
Auf die „Kaskade moralisch-politischer Stellungnahmen“, die ihn veranlasste, an die Grundsätze der deutschen Erinnerungskultur zu erinnern, geht Habermas nicht näher ein. Aber man darf vielleicht unterstellen, dass er indirekt auch auf den von jüdischen Verbänden erhobenen Vorwurf antwortet, in der deutschen Öffentlichkeit mangele es an Mitgefühl sowohl für die Juden in Israel als auch in Deutschland. Gelegentlich wurde in diesem Zusammenhang die Solidarität mit der Ukraine gegen die vergleichsweise verhaltene Anteilnahme mit Israel aufgerechnet. Tatsächlich liest sich auch Habermas‘ offener Brief etwas pflichtschuldig, wenn man ihn an seinem Essay zur Ukraine misst.
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Aber sind solche Vorwürfe, die auch gegen die deutsche Kulturszene erhoben werden, gerechtfertigt? Halten sich Theater, Museen oder Verbände, die ihre Bedeutung nicht zuletzt aus dem Anspruch ableiten, wichtige Stimmen in der öffentlichen Meinungsbildung zu sein, tatsächlich ungebührlich in der Debatte zurück? Wir haben bei Kölner Kulturinstitutionen nachgefragt, was das Massaker vom 7. Oktober und die Folgen für ihre Arbeit bedeuten und wie sie darauf reagieren.
Rainer Osnowski, Geschäftsführer der lit.Cologne, sieht eine „klare Positionierung gegen Antisemitismus durchaus auch in der Kulturszene“. Allerdings erlebe er „gleichzeitig auch die Hilflosigkeit bei der Beantwortung der Frage: Wie soll es denn im Nahen Osten weitergehen?“ Die lit.Cologne werde unter anderem ihre große Eröffnung dem Thema Antisemitismus und Judenhass widmen, so Osnowksi, der betont, dass sich die lit.Cologne von Anfang an politisch positioniert habe, weshalb man von ihr nun erwarten könne, sich auch in dieser Frage zu äußern. Aber das lasse sich nicht verallgemeinern, sagt Osnowski. „Ich persönlich finde Kultur ohne Politik nicht erstrebenswert, aber es gibt eben Kultur auch ohne Politik.“ Er wäre allerdings skeptisch, wenn Institutionen, „die vorher immer laut gebrüllt haben, jetzt nichts sagen“.
Ähnlich sieht es Bettina Fischer, Leiterin des Literaturhauses Köln. Sie habe gemeinsam mit dem Verein Literaturszene Köln sofort nach den Angriffen der Hamas öffentlich ihre Solidarität mit Israel bekundet. „Wir dachten, wir können jetzt nicht schweigen.“ Trotzdem findet Fischer, dass es kein Muss ist, sich zu äußern. „Es gab kurz vor der Frankfurter Buchmesse einen offenen Brief aus der Literaturszene. In dem wurde angeprangert, dass es im Literaturbetrieb zu wenig Solidarität mit Israel gäbe. Das fand ich ehrlich gesagt sehr selbstgerecht. Und der Unterton: Wenn Du Dich nicht äußerst, bist Du Antisemit – das ist ein Rückschluss, den ich nicht gerechtfertigt finde.“
Bettina Fischer betont zudem, dass der Kulturbetrieb „kein Durchlauferhitzer“ sei. Es gehe um schwerwiegende gesellschaftliche Prozesse und Konflikte. Viele Dinge bräuchten deswegen ihre Zeit. Das sieht auch Stefan Kraus, Leiter des Kunstmuseums Kolumba, so. „Der Terrorangriff der Hamas und das, was sich daraus in Gaza entwickelt, mehr aber noch, zu welchen Auswüchsen und Reaktionen es in Deutschland führt, beschäftigen uns sehr“, so Kraus. Aktuelle Sonderveranstaltungen erfüllten aber oft nur eine Alibifunktion. Es gehe vielmehr um Fragen, die das Verständnis von Kulturarbeit grundsätzlich berühren. „Mit unserer Arbeit liefern wir das Bekenntnis zu einer multikulturellen, pluralen und diversen Gesellschaft, deren Freiheitsbegriff von gegenseitiger Toleranz und Wertschätzung geprägt ist. Das Miteinander der Religionen ist ein selbstverständlicher Teil davon.“
Auch das Kölner Museum Ludwig setzt auf die Wirkung seiner allgemeinen Bildungsarbeit. „Der unfassbar grausame terroristische Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober hat die Welt verändert, auch für uns im Museum Ludwig, die wir in Deutschland nach dem Holocaust eine besondere Verantwortung haben“, heißt es in einer Stellungnahme des Museums. Allerdings beziehe das Haus nicht erst seit dem 7. Oktober „mit Ausstellungen und Veranstaltungen Position gegen den grassierenden Antisemitismus“. Ein Beispiel sei die Neupräsentation der Sammlung zeitgenössischer Kunst. Hierzu seien im Frühjahr Veranstaltungen geplant, etwa zu Antisemitismus als eine Folge der Abwehr von Abstraktion.
Das Kölner NS-Dokumentationszentrum hat sich nach eigenen Angaben „wenige Tage nach dem menschenverachtenden Angriff der Terrorgruppe Hamas auf israelisches Gebiet auf seinen Social Media-Kanälen mit Israel solidarisiert“. In der deutschen Kulturszene sieht das NS-DOK das Verhältnis zu BDS, Israel und Antisemitismus nicht ausreichend geklärt. „Das Thema ist im Kulturbetrieb weiterhin ein drängendes Problem, wie beispielsweise die Documenta, aber auch Vorfälle in Köln gezeigt haben. Es wäre wünschenswert, dass sich auch andere Akteur*innen der Kulturszene mit den jüdischen Bürger*innen Deutschlands solidarisieren und den brutalen Hamas-Angriff auf Israel verurteilen.“
Einer dieser Kölner Vorfälle dürfte die Aufführung des umstrittenen Stücks „Vögel“ am Kölner Schauspiel sein; dem Stück werden antisemitische Inhalte unterstellt, Schauspielintendant Stefan Bachmann wies die Vorwürfe entschieden zurück. Jetzt sagt Bachmann: „Wir beobachten am Schauspiel Köln die Situation in Nahost mit großer Betroffenheit und Sorge. Unser Mitgefühl und unsere Solidarität gelten allen Opfern. Darüber hinaus halten wir es für angemessen, in dieser Situation unparteiisch zu bleiben. Wir können aber am Theater von der Utopie erzählen, die letztlich die einzige Lösung für diesen Konflikt ist: Frieden. Die beiden Produktionen „Nathan der Weise“ und „Vögel“, die im Dezember wieder auf unserem Spielplan stehen, thematisieren dies eindringlich.“
Auch die Kölner Oper möchte sich „bewusst nicht zur geopolitischen Lage“ positionieren. „Aber wir stellen uns klar gegen jeden antisemitisch motivierten Hass.“ Man bewahre die Hoffnung, „dass Dialog und Verständigung auch künftig möglich sein werden“ und plane in diesem Sinne ein Friedenskonzert im Staatenhaus für Anfang des Jahres 2024. Die Kölner Philharmonie betont, was auch die anderen kulturellen Häuser für sich in Anspruch nehmen: Sie sei „ein Ort des friedlichen kulturellen Austausches vieler unterschiedlicher Religionen und Nationen“. Man verurteile Gewalt, Hass und Antisemitismus. „Für uns gibt es keine religiösen Musiker:innen. Wir beurteilen immer zuerst nach der Qualität, haben aber natürlich im Blick, wen wir trotz herausragender Qualität nicht einladen, das haben wir letztes Jahr bei der Ausladung von Teodor Currentzis deutlich gemacht.“