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Kölner Lyrikfestival PoeticaAm Ende kann die Welt nur noch ein Gedicht retten

Lesezeit 4 Minuten
Sasha Marianna Salzmann, Radna Fabias, Sergio Raimondi und Fiston Mwanza Mujila bei der zehnten Ausgabe der Poetica.

Sasha Marianna Salzmann, Radna Fabias, Sergio Raimondi und Fiston Mwanza Mujila bei der zehnten Ausgabe der Poetica.

Die zehnte Ausgabe des Weltlyrikfestivals Poetica an der Universität zu Köln widmet sich dem Thema Gastfreundschaft.

Gastfreundschaft – das ist mehr denn je ein großes Wort. Darauf machte die Lyrikerin Uljana Wolf zur Eröffnung der zehnten Poetica in Köln aufmerksam. „Vieles, was wir für selbstverständlich gehalten haben, gerät aus den Fugen“, stellte sie in der Aula der Universität fest. Selbst wo Gesetze existierten, wolle man sich über sie hinwegsetzen. Obdach, Asyl, Gastrecht – nichts sei mehr gewiss.

Umso aktueller also das Thema des einwöchigen „Festivals für Weltliteratur“: Wie steht es um die Gastfreundschaft und was kann die Poesie dazu beitragen? Der Titel, den sich das Kuratoren-Team Günter Blamberger, Michaela Predeick und Uljana Wolf ausgedacht hat: „Poetic Thinking and Hospitality – Freiräume der Poesie“.

Als „Teaser“ für die kommenden Veranstaltungen war der Auftakt gedacht. Der erreichte eine Laufzeit von zweieinhalb Stunden. Doch trotz der Länge war es ein anregendes Surren. Auf dieses Schaulaufen ließen sich die Gäste sichtlich entspannt ein.

Man sollte lieber Bohnen statt Bomben werfen

Den Anfang machte die Südafrikanerin Lebogang Mashile. Geradezu programmatisch ihr Gedicht „Unsere Namen sind Poesie“. Wenn man sie frage, woher sie komme, singe sie von den Vorfahren, von Kolonialismus und Apartheid. „Diese Gedichte werden sich weiterdrehen / Sie sind alles, was wir haben“.

Wie es um die Gastfreundschaft in Deutschland bestellt ist, führte niemand so konkret vor Augen, wie die 2014 aus Syrien immigrierte Lina Atfah. Als sie erstmals zwischen Flughafen Düsseldorf und Wanne-Eickel unterwegs war, machte ihr das Exil Angst. Davon handelt ihr Gedicht „Das Navi“, das mit der scheinbar beruhigenden Versicherung endet: „Sie haben Ihr Ziel erreicht“. Die Kulturen seien halt sehr unterschiedlich, sagte Lina Atfah. Doch mittlerweile habe sie Freundschaft mit dem Land und der Sprache geschlossen. „Die Deutschen geben viel“, resümierte sie, „aber ohne ein einziges Wort – sie schicken lieber ein Paket.“

Eigens für diesen Abend hatte die Japanerin Yoko Tawada ein Gedicht verfasst. Das passt perfekt in die kriegerische Gegenwart. In „Sojabohnen“ empfiehlt sie die Auseinandersetzung mit den Hülsenfrüchten. Man möge lieber Bohnen statt Bomben werfen, denn diese fermentierten Waffen zögen Fäden. Auf diese Weise komme niemand zu Schaden und der Konflikt alsbald an ein Ende.

Großartig das nachfolgende japanische Doppel der Lyrikerin Hiromi Ito mit der Jazzpianistin Aki Takase. Ein furioses Duell aus Worten und Tastentönen. Selbst wer keine Silbe Japanisch verstand, was vermutlich für mindestens 95 Prozent der Anwesenden gegolten hat, konnte sich hinreißen lassen von diesem Auftritt. Übersetzt wurde dann ja auch noch.

Aki Takase bereicherte mit ihrer Kunst den Abend gleich dreimal. Was es da zu hören gab, feierte Jan Wagner mit Versen: „Hommage an die Hände von Aki Takase“. Da sieht der Büchnerpreisträger „zwei nackte weiße krabben / in ihrer steinway tiefsee“ am Werk. Wobei in diesem Fall der Flügel von der Firma Bösendorfer kam.

Auch viele ehemalige Gäste kamen nach Köln

Das entschiedenste Plädoyer fürs Gedicht kam vom Isländer Sjon. Er meinte, wenn es richtig eng werde für den Planeten, könne uns nur noch das Gedicht retten. Denn im Gedicht sei das Unmögliche vorstellbar. Wer das für eine romantische Position halte, möge das tun. Er jedenfalls sei davon überzeugt.

Für einen emotionalen Moment der besonderen Art sorgte Michael Krüger. Der Büchermacher und Schriftsteller hatte einst die Poetica mit ins Leben gerufen – und den ursprünglich erwogenen Titel „Documenta der Poesie“ verhindert. Nun erinnerte er an den 2024 verstorbenen Kollegen Jürgen Becker. „Ich habe immer gehofft, ihn auch heute dabeizuhaben. Aber die Mühe des Lebens ist ihm zu groß geworden, und er hat es vorgezogen, aus anderer Warte zuzuhören.“ Sodann trug er sein Gedicht „7. 9. 2024“ vor. Das weist durchaus Anklänge an Jürgen Beckers Blicke in den Garten auf - mit Donnerwetter, Birke und Rotkehlchen.

Zum Jubiläum der Poetica waren einige ehemalige Gäste nochmals eingeladen worden. Zu ihnen zählt Fiston Mwanza Mujila, geboren im Kongo und zuhause in Österreich. Er lachte zu Beginn seines Gedichts, das von kolonialer Unterdrückung handelt, und er lachte zum Schluss. Er lache gerne, sagte er im Gespräch, denn das sorge für eine Art Reinigung. „Ich kann drei Stunden lachen.“ Vielleicht fällt es ihm auch deshalb leicht, weil er, wie er sagt, seine Familie immer um sich wisse. Auch auf der Bühne.

Tag für Tag gibt es nun Poetica-Offerten in Köln. Auch noch dabei sind Radna Fabias, Sergio Raimondi, Claudia Rankine, Monika Rinck und Sasha Marianna Salzmann. Und danach? Uni-Rektor Joybrato Mukherjee sicherte dem Festival die weitere Unterstützung zu. Damit verband er einen speziellen Dank an Günter Blamberger. Der Initiator und langjährige Leiter der Poetica ziehe sich auf eigenen Wunsch zurück. Als Nachfolgerin habe er Uljana Wolf vorgeschlagen. Mit ihr, so der Zwischenbericht des Rektors, stehe man in aussichtsreichen Verhandlungen. Weiter geht’s.


Das Programm des Festivals finden Sie hier: www.poetica.uni-koeln.de