AboAbonnieren

Kölner Opernstar Adriana Bastidas-Gamboa„Meine Carmen ekelt der Machismo an“

Lesezeit 5 Minuten
Neuer Inhalt

Adriana Bastidas-Gamboa

KölnFrau Bastidas-Gamboa, Sie stellen derzeit an der Kölner Oper erneut die Titelgestalt von Bizets „Carmen“ in der Wiederaufnahme von Lydia Steiers spektakulärer Regie von 2019 dar. Was bedeutet es für Sie, diese Rolle in dieser Inszenierung zu singen? Adriana Bastidas-Gamboa: Das Besondere ist in der Tat, dass Carmen einmal nicht als Femme fatale entworfen ist – so wie es schon tausendmal gemacht wurde. Bei Steier ist sie eine Frau, die von Anfang an mit Gewalt und Machismo zu tun hat. Und die es leid ist, Projektionsfläche von Männerfantasien zu sein. Die das alles anekelt. Das ist auch der Grund dafür, dass sie zunächst Don José interessant findet – er ist einfach anders.

Finden Sie denn Ihrerseits diese Carmen interessant, finden in dieser Rollenkonzeption vielleicht sogar ein Stück Ihrer selbst wieder?

Also: Grundsätzlich gilt, dass man die Figur „spielt“. Es ist allerdings richtig, dass ich diese Carmen sehr gut verkörpern kann – was nicht ausschließt, dass ich andere Konzeptionen ebenso gut umsetzen könnte.

Ich wusste, was in Kolumbien los war

Sie erwähnten eben den Machismo in einer patriarchalischen Gesellschaft, wie sie Carmens Umfeld repräsentiert. Sie kommen nicht aus dem alten Spanien, aber aus dem spanischsprachigen Kolumbien, wo diese Machismo-„Kultur“ nach allem, was man hört, sehr virulent ist. Da müsste Ihnen Steiers Inszenierung doch sehr nahe sein.

Das stimmt, es gibt da Aspekte, mit denen ich mich auch persönlich identifizieren kann. Ich habe es so direkt am eigenen Leib nicht zu spüren bekommen, aber ich wusste selbstverständlich, was los war in den 90er Jahren in Kolumbien: die überall herrschende Gewalt, die Angst, der Krieg zwischen den Drogenkartellen, die sexuelle Ausbeutung der Frauen, die Zwangsprostitution. Ich merkte erst, als ich nach Deutschland kam, dass man auch anders leben kann. Das war für mich ein richtiger Schock.

Das könnte Sie auch interessieren:

Ihre Carmen raucht süchtig Zigaretten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie privat rauchen.

Nein, nein (lacht). Wie gesagt, ich spiele die Figur, ich bin sie nicht. Ich laufe ja auch privat nicht in einer Che-Guevara-Uniform herum. Was mir an dieser Gestalt imponiert: Sie will bis zum Untergang selbstbestimmt leben: Sie – nicht José, wie im Libretto – tötet sich am Ende selbst.

Diese Kölner „Carmen“ – Ihre erste – war nicht zuletzt für Sie ein phänomenaler Erfolg, der den bisherigen Höhepunkt Ihrer künstlerischen Laufbahn bezeichnet. Hatten Sie damit gerechnet?

Ich hatte mit dem Erfolg gerechnet, ja, vielleicht weniger mit meinem eigenen. Es kommt mir auch weniger auf den persönlichen Erfolg an als vielmehr darauf, dass die Menschen berührt und bewegt nach Hause gehen. Dafür wesentlich ist nicht die Solo-Performance, sondern die Arbeit im Team. Generell ist es das, was ich an der Oper liebe und was mir wichtig ist.

Meine Stimme ist sehr flexibel

Sie haben hier in Köln bislang schon ein riesiges Repertoire abgedeckt von Händel bis zur Gegenwart. Wo sehen Sie selbst Ihre Schwerpunkte?

Ich habe den Vorteil, dass meine Stimme sehr flexibel ist, sehr viel zu ihr passt. Tatsächlich hat alles, was ich bislang gesungen habe, zu mir gepasst. Sicher singe ich das italienische Fach besonders gern.

Wagner?

Könnte sein, schauen wir mal. Aber ich singe auch gerne ausdrucksstarke Partien wie die Judith in Bartóks „Blaubart“. Und wirklich ein Herzenswunsch ist die Marie im „Wozzeck“ – ich glaube, dass ich diese Partie gut singen und spielen kann: eine starke und zugleich vielfältige Frau.

Ihre letzte Partie vor „Carmen“ war die weibliche Titelpartie in „Der Meister und Margarita“. Ein ganz anderes Fach. Wie sind Sie damit klargekommen?

Das war sicher eine besondere Herausforderung – wie Neue Musik überhaupt. Das Irreale hat mir gut gefallen, außerdem ist meine Partie sehr kantabel, hat, was ja nicht selbstverständlich ist, eine sehr gute Gesangslinie.

Mein Vorbild ist Cecilia Bartoli

Haben Sie ein sängerisches Vorbild?

Ja, Cecilia Bartoli, von ihr habe ich seit meinen frühen Anfängen viel gelernt.

Sie sind 2004 zum Aufbaustudium an die Kölner Musikhochschule gekommen – und hier geblieben. Das war ja wohl nicht von Anfang an so geplant.

Nein, gar nicht. Aber ich bin hier inzwischen zu Hause, Köln ist meine Heimat. Meine Karriere hat sich hier entwickelt, meine Tochter wurde hier geboren. Ich habe inzwischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft.

Neben der kolumbianischen?

Nein, die habe ich abgegeben.

Warum das?

Ich bin die Summe aller meiner Erfahrungen. Sicher komme ich aus Kolumbien, aber Simón Bolívar [südamerikanischer Unabhängigkeitskämpfer, d. Red.] hat einmal gesagt: Man gehört nicht dahin, wo man geboren ist, sondern wo man gekämpft hat.

Zur Person

Adriana Bastidas-Gamboa studierte in ihrer Heimatstadt Cali in Kolumbien Gesang. 2004 kam sie zum Aufbaustudium an die Kölner Musikhochschule. Seit 2008 ist sie Ensemblemitglied der Oper Köln.

In der Wiederaufnahme von „Carmen“ in der Regie von Lydia Steier ist sie in der Hauptrolle zu sehen. Nächste Aufführungen: 7. Mai, 16. Mai, 18. und 20. Mai, jeweils 19.30 Uhr.

Als sie mit 26 hierher kamen, stand Ihnen in der Tat ein Kampf bevor ...

Ja, ich kannte hier keinen, konnte kein Wort Deutsch – das musste ich dann über fünf Monate hinweg für die Aufnahmeprüfung an der Hochschule lernen. Ich weiß noch, wie ich von Zündorf aus mit der Linie 7 zum Neumarkt fuhr und die Durchsage der Stationen überhaupt nicht verstand. Das war schon sehr hart.

Das hat sich dann ja gegeben ...

Ja, ich liebe Köln für seine Offenheit und Aufgeschlossenheit auch Fremden gegenüber.

Gibt es hier auch Dinge, die Sie nicht so mögen?

Die hohen Mietpreise. Und es stimmt schon: Wenn man einen ausländischen Namen hat, hat man bei der Wohnungssuche schon mal das Nachsehen.