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Philharmonie KölnRené Jacobs steuert den „Freischütz“ ins deprimierende Abseits

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René Jacobs

Köln – René Jacobs’ konzertante Opernaufführungen haben sich längst zu einer konturierten und anerkannten Tradition formiert – auch deshalb, weil der Flame, so es irgend geht, Sattbekanntes gegen den Strich bürstet und neue Lesarten entwickelt. Bei seinem aktuellen „Freischütz“, den er jetzt mit dem Freiburger Barockorchester in der Kölner Philharmonie zu Gehör brachte, geschieht das ebenfalls. Der Novitätsdrang ging diesmal allerdings in ein deprimierendes Abseits – zum Teil jedenfalls.

Völlig daneben geht Jacobs die spektakuläre Aufwertung der Samiel-Gestalt

Diskutabel ist noch, dass Jacobs die vom Librettisten vorgesehene, von Weber aber unterdrückte Eingangsszene mit Agathe und Eremit wieder einführt (mit Musik aus dem weiteren Verlauf der Oper). Der Eremit kommt damit, im Finale des dritten Akts, nicht mehr – wie in der herkömmlichen Fassung – als unmotivierter Kai aus der Kiste. Akzeptabel auch die starke Betonung der jüngsten Vergangenheit des 30-jährigen Krieges in den neugefassten Dialogen – tatsächlich ist diese „Freischütz“-Welt ja eine unerlöste, tief geprägt durch die Traumata kollektiver Gewalterfahrung.

Völlig daneben geht indes die spektakuläre Aufwertung der Samiel-Gestalt. Max Urlacher gibt ihn als Kreuzung aus Naturbursche und Proll, der dauernd und nervend dazwischen quatscht und so etwa der Wolfsschluchtszene ihre beklemmende Dynamik und Dramatik nimmt. Höchst überflüssig auch die nietzscheanischen („Gott ist tot“) oder auch schlicht pseudo-philosophischen Adressen ans Publikum. Zwei fundamentale Irrtümer sind hier am Werk: Webers Samiel ist keine „lustige Figur“, und das Böse wird nicht dadurch intensiviert, dass man es redselig macht. Im Gegenteil.

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Ein ähnliches Verdikt muss die Figur des Kaspar ereilen, der sich diesmal nicht entblödet, den Max „immer noch beim Kölsch sitzen“ zu sehen. Mit Besoffenenkomik vom Kaspar zum Kasperle – das ist eine Tendenz, die Anlage und Aussage von Webers Oper unrettbar ruiniert.

Schade, denn unstrittig hatte die Aufführung ihre Meriten, wenngleich Jacobs’ dirigentische Kompetenz im engeren Sinn ihre Grenzen hat. Weil die Sänger auswendig agierten, ergaben sich viele Möglichkeiten einer halbszenischen Auflösung, die auch weidlich genutzt wurden. Die Freiburger sorgten für einen knackig-aufgerauten Sound mit Mut zur Schäbigkeit bei der Dorfkapelle – und wunderbar dominierenden Hörnern. Großartig präsent die Zürcher Singakademie für den Chorpart.

Angenehm fielen Magnus Staveland und Katharina Ruckhaber auf

Angenehm fielen auch die Solostimmen auf – kleinere individuelle Defizite abgerechnet: Magnus Stavelands schönem Tenor nahm man streckenweise die abgrundtiefe Verzweiflung des Max nicht ganz ab; Katharina Ruckhaber als Ännchen kam anfangs etwas kraftlos, mauserte sich dann aber zur auch darstellerisch gewinnenden Soubrette; Polina Pastirchak gab eine frische und unlarmoyante Agathe, Dimitry Ivashchenko einen imposant schwarzen Kaspar. Die Nebenrollen waren gleichfalls gut besetzt.