Marie Jacquot leitet bald das WDR-Sinfonieorchester. Jetzt war sie mit den Wiener Symphonikern in Köln zu Gast. Bestand sie den Test?
Kölner PhilharmonieAuch Marie Jacquot kann Beethovens Fünfte nicht neu erfinden
Klar, dieses Orchester kann auch „ohne“. Bei der Tritsch-Tratsch-Polka, der zweiten Johann Strauß-Zugabe, verdrückte sich Marie Jacquot an den Rand des Podiums und hörte von dort aus ihren Wiener Symphonikern zu – dem Gesichtsausdruck zufolge erfreut. Diese Geste der Französin im Kölner philharmonischen Meisterkonzert zeugte von einiger Souveränität, denn als Dirigentin aufs Dirigieren demonstrativ zu verzichten, dazu gehört schon was. Und dirigieren sehen wollten sie wahrscheinlich zumindest Teile des Publikums durchaus, denn Jacquot tritt in kommenden Saison beim WDR Sinfonieorchester die Nachfolge von Cristian Măcelaru an.
Der vorläufige Eindruck? Auf jeden Fall bekommen die WDRler mit der 34-Jährigen eine höchstprofessionelle, über ein exzellentes Handwerk verfügende Chefin, die ihre Aufgaben mit gelassener Coolness angeht. Unsicherheit, Nervosität, Aufregung? Keine Spur, da ist neben einem gut entwickelten Selbstbewusstsein und dem Wissen, mittlerweile in die weiter gefasste Spitzengruppe der internationalen Dirigierszene gerückt zu sein, auch die durch nichts zu erschütternde Routine ausgiebiger Pulterfahrung mit großen Klangkörpern am Werk. All das strahlt auch auf die Musiker aus.
Das klassisch-romantische Programm zollte Köln und Wien in gleicher Weise Tribut. Nach Wien führte – außer den Zugaben – zunächst Bruckners Adagio aus der siebten Sinfonie in der verkürzenden Blechbläserbearbeitung seines Schülers Ferdinand Löwe. So wurde es anlässlich von Bruckners Begräbnis als Trauermusik gespielt. Man kann über den Wert solcher Zurichtung streiten, der Brass-Abteilung des Orchesters aber ermöglichte sie einen exzellenten Auftritt – mit von Jacquot gut getriggerten Bombast-Höhepunkten.
Die Solistin María Dueñas sorgte bei Max Bruch für einiges Aufsehen
Dann, nach der Pause, Beethovens Fünfte, deren Klangbild Jacquot luzide in ihren motivischen Schichtungen und rhythmischen Kontrapunkten herausstellen ließ. Da wurde das Schicksalsmotiv nicht einfach hingestellt, sondern tatsächlich zum Ferment der Satzentwicklung. Und spannend-dramatisch geriet das alles gerade durch leichte Verzögerungen und Stauungen. So nahm Jacquot etwa zur Stretta des letzten Satzes ein wenig Anlauf – eine wirkungsverstärkende Maßnahme, die nur deshalb nicht vollends glückte, weil die Streicher das Accelerando ein klein wenig vernebelten. Freilich: Neu erfunden wurde hier die Beethoven-Welt nicht – was man aber wohl auch billigerweise nicht erwarten konnte. Einerseits ist Jacquot – was sie eigentlich sympathisch macht – nicht auf der Suche nach dem spektakulären Effekt. Andererseits wird das Stück einfach zu oft gespielt, da stellt sich dann schon mal eine rezeptive Ermattung ein. Vielleicht sollte man es mal ein paar Jahre in Ruhe lassen.
Von Wien nach Köln, dem Ort des Geschehens. Diesbezüglich wurde dem Genius loci Max Bruch mit seinem – im Prinzip genauso durchgeleierten – Evergreen, dem legendären ersten Violinkonzert, Reverenz erwiesen. Hier sorgte freilich die Solistin María Dueñas für einiges Aufsehen, das auch eine abwinkende Kennen-wir-schon-Reaktion zu blockieren geeignet war. Das Spiel der Spanierin – man hörte es gleich beim ersten Einsatz – birst nahezu vor Expressivität, die Phrasen werden dynamisch und artikulatorisch extrem ausformuliert. Da gibt es starke Ungleichmäßigkeiten, und man hört immer wieder das Holz des Instruments. Ist das alles too much? Vielleicht, aber zum einen verfügt Dueñas über eine stupende Technik, die sie im raschen Passagenwerk geschmeidig ausspielt, zum anderen bekommt die Musik eine bemerkenswerte Frische und Präsenz, ertrinkt nicht in einem unverbindlich-staatstragenden Wohllaut. Langweilig wird da jedenfalls auch bei diesem alten Schlachtross des Konzertsaals nie.
Was die Geigerin drauf hat, zeigte sie auch in ihrer Zugabe, Francisco Tárregas für die Violine bearbeiteten „Erinnerungen an die Alhambra“. Da konnte man eine Sternstunde von atmosphärisch erfülltem Mehr-Ebenen-Spiel auf einem Melodieinstrument erleben. Große Klasse!