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Kölner PhilharmonieEhrenrettung eines weitgehend vergessenen Stückes

Lesezeit 3 Minuten
Der Schweizer Dirigent Lorenzo Viotti

Der Schweizer Dirigent Lorenzo Viotti

Lorenzo Viotti deckte mit dem Gürzenich-Orchester die Referenzen zwischen zwei russischen Sinfonien auf, dessen Komponisten allerdings keineswegs das beste Verhältnis pflegten.

Die Parallelen sind in der Tat bestechend: Zwei russische Sinfonien im „heroischen“ Charakter, beide die Nummer 5, beide in B-Dur, dazu noch geschrieben von zwei Komponisten, die in einer zumindest lockeren pädagogischen Verbindung standen. Als Sergej Prokofjew um 1910 am St. Petersburger Konservatorium studierte, bekleidete Alexander Glasunow dort den Posten des Direktors. Das Verhältnis der beiden war indes nicht das beste. Glasunow brachte für den rebellischen Geist des jungen Prokofjew kein Verständnis auf; der wiederum hatte wenig Sympathie für die akademische Glätte, den kantenfreien romantischen Wohlklang im Werk des älteren Kollegen.

Die Nachwelt hat sich auf die Seite von Sergej Prokofjew gestellt

Die Nachwelt hat sich eher auf Prokofjews Seite gestellt: Er zählt heute zu den meistgespielten Komponisten der klassischen Moderne, während Glasunows Musik nur noch selten auf den internationalen Konzertprogrammen erscheint. Beim Gürzenich-Orchester stand seine „Fünfte“ nun erstmals seit 1904 wieder auf den Pulten, dirigiert von Lorenzo Viotti, der bereits im Herbst die Saisoneröffnung des Orchesters geleitet hatte.

Dabei gelang dem ebenso souverän wie entspannt agierenden Schweizer Musiker weit mehr als die Ehrenrettung eines weitgehend vergessenen Stückes: So saftig und federnd gespielt, so üppig in den Farben und generös ausgegossen in der Linie, kann diese Musik schon über eine gute halbe Stunde hinweg packen. Man spürte das Behagen des Orchesters, auf der großen Strecke den Klang auszufahren; man hörte den Spaß am irrlichternden Holzbläser-Spuk im Scherzo. Selbst das etwas lärmende Finale bekam durch das prägnant formulierte Seitenthema im charakteristischen Rhythmus der Kaukasus-Folklore (3+3+2 Viertel) einen mitreißenden Drive.

Die staatlich verordnete Ästhetik forderte auch von Prokofjew ihren Tribut

Als Sergej Prokofjew 1944 die Arbeit an seiner fünften Sinfonie aufnahm, lagen die Jahre am Petersburger Konservatorium lange zurück. Die staatlich verordnete Ästhetik des sozialistischen Realismus forderte auch von ihm ihren Tribut, den Prokofjew aber nie ohne Widerstand zahlte. Seine fünfte Sinfonie ist fraglos ein effektvolles orchestrales Schaustück, aber sie trägt auch enorme Konflikte aus - vor allem im langsamen Satz, dessen lyrische Emphase am Ende unter ihrem eigenen Druck zerbirst. Die Darstellung durch das Gürzenich-Orchester war von exzellenter Qualität, weich und konturenscharf zugleich, präzise durchhörbar bis in die Materialschlachten des Finalsatzes hinein - und das will mit Blick auf Prokofjews oft zur Breite und Schwere tendierender Orchestersprache schon etwas heißen.

Man tut Lorenzo Viotti, diesem hochkompetenten jungen Dirigenten, sicher nicht unrecht mit der Einschätzung, dass es ihm eher um die hohe Vitalenergie des Stückes ging als um sein Konfliktpotential, seine Härten und inneren Spannungen. Es war viel Glasunow in Viottis Prokofjew, und wenn man zwischen diesen „Fünften“ tatsächlich ein Verhältnis der Referenz, wenn nicht gar der Reverenz sieht, dann darf man das natürlich auch so spielen.