Der kanadische Pianist polnischer Herkunft eröffnete in der Kölner Philharmonie seinen Zyklus mit den fünf Beethoven-Klavierkonzerten.
Kölner PhilharmonieMeisterpianist Jan Lisiecki wagt sich an das Monster
Jan Lisiecki entschied sich – und das sagt einiges über ihn aus – für das definitive Monster unter den Kadenzen im Eröffnungssatz von Beethovens erstem Klavierkonzert. Der Komponist hat für den Soloeinschub am Schluss des Allegro con brio drei Versionen geliefert, von denen das sechs bis acht Minuten beanspruchende „Monster“, weil es die Satzdimensionen sprengt und eigentlich eine gesonderte Opuszahl verdient hätte, nicht allzu oft gespielt wird.
Dabei lässt es nicht nur die formalen Proportionen entgleisen, sondern hebt die Virtuosität des Klavierspiels, die eklatant über die Schwierigkeiten des „gebundenen“ Parts in diesem opus 15 hinausgeht, spektakulär auf eine neue, vorher nicht erreichte und gekannte Stufe. Die Kadenz endet übrigens nicht mit dem üblichen Triller vor dem finalen Orchestertutti, sondern mit zwei trockenen Sprungbrett-Akkorden – eine ironische und irgendwie auch hohnvolle Geste (vermeintlicher) Selbstbescheidung.
Jan Lisiecki bekennt sich zum circensischen Aspekt des frühen Beethoven
Der kanadische Pianist polnischer Herkunft, der am Freitagabend in der Kölner Philharmonie im Rahmen der Meisterkonzerte seinen (bis zu diesem Montag währenden) dreiteiligen Zyklus mit den fünf Beethoven-Klavierkonzerten (plus Tripelkonzert) eröffnete, bekennt sich also offensiv zum circensischen Aspekt dieser frühen Genialität des 25-jährigen Komponisten. Das ist auch völlig in Ordnung, es wäre verfehlt, ihn zugunsten „rein musikalischer“ Werte zu unterschlagen – an denen das erste wie das nach der Pause gespielte dritte Klavierkonzert ja sowieso überreich sind.
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Das Gleichgewicht zwischen beidem schafft Lisiecki – fünf Jahre älter, als Beethoven damals war – in seinem landauf landab gefeierten Zyklus eh auf eine imposant-souveräne Weise. Beispiele für seine große gestalterische Kraft und Energie lieferten immer wieder die Beethoven'schen Harmoniewechsel in weit von der Haupttonart entfernte Regionen, die der Interpret benutzte, anschlags- und ausdruckshalber die Tür zu anderen musikalischen Welten hin zu öffnen, zu Welten von Traum und Entrückung.
Lisiecki hat jetzt schon seinen ganz eigenen Stil gefunden
Nun ist es nicht so, dass da jemand mal kurz aus der Spur rutscht. Vielmehr folgt Lisiecki in allem, was er tut, äußerst konsequent einem straffen dramaturgischen Konzept. Er verschwurbelt und romantisiert nicht, sondern geht im Prinzip frisch und unsentimental, mit einer seiner Jugend eigenen vitalen Spannkraft zur Sache (der romantische Augenblick stellte sich dann mit angemessener Intensität erst in der Chopin-Zugabe ein). Die Pedalisierung ist zurückhaltend, das Laufwerk leuchtend-brillant, die Oktaven kommen mit schlankem Martellato. Vor allem ist – das konnte man sehr gut etwa beim Seitenthema des ersten Satzes im dritten Klavierkonzert hören – die linke Hand äußerst aktiv, sorgt immer wieder für einen federnden rhythmischen Drive.
Dabei kommt die Poesie nicht zu kurz, nicht nur in den weitgespannten Phrasen der langsamen Sätze. Es gibt bei Lisiecki, teils durch einigermaßen üppige Rubati gesteuert, einen steten Fluss von Anziehen und Nachgeben, von Zurücknahme und – aus irgendeiner Ecke kommendem – neuem energetischem Schub. Das alles fügte sich am ersten Abend zum Gesamtbild einer Klanglebendigkeit, einer immerhin Schlachtrössern des Repertoires zuteilwerdenden Frischzellenkur, dessen bannender Kraft sich so leicht wohl kein Hörer entziehen konnte. Da mochte man sich an illustre Vorgänger erinnert fühlen, an Glenn Gould zum Beispiel. Weit führen solche Vergleiche aber nicht – Lisiecki hat jetzt schon seinen ganz eigenen Stil gefunden, er ist und bleibt in erster Linie Lisiecki.
Angekündigt worden war der Star nicht nur als Solist, sondern auch als Leiter der begleitenden Academy of St. Martin in the Fields. Nun ja, mit der Leitung war es vom Flügel aus nicht so weit her, die besorgte vielmehr der äußerst fähige Konzertmeister Tomo Keller. Wie auch immer: Die Koordination zwischen dem Mann am Flügel und dem sinfonischen Apparat gelang ausgezeichnet, da entwickelten sich, etwa im langsamen Satz des ersten Konzerts, die Dialoge aus einem vollkommen gleichgerichteten Ansatz und Atem.
Die illustre Academy, die mit einer die Stile unbefangen mixenden, dabei etwas belanglos-lärmenden „Fanfare“ der britischen Komponistin Errolyn Wallen begonnen hatte, präsentierte sich bemerkenswert präsent, teils aggressiv und für ein Kammerorchester ziemlich laut. Da zeigte sich der weite Weg der Modernisierung, die auch sie seit den Zeiten ihres legendären Gründers Neville Marriner zurückgelegt hat.