In der Philharmonie zeigte Anna Vinnitskay bei Stücken von Ravels bis zur deutschen Romantik ihr Können am Piano.
Kölner PhilharmoniePianistin Anna Vinnitskaya beweist kompromisslosen Schönheitswillen

Pianistin Anne Vinnitskaya
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Maurice Ravels 150. Geburtstag schlägt sich in etlichen philharmonischen Programmen dieses Jahres nieder. So huldigte Anna Vinnitskaya dem Jubilar mit seinen drei populärsten Klavierwerken: der Sonatine, der „Pavane pour une infante défunte“ sowie den tönenden Kaskaden und Sprühnebeln der „Jeux d’eau“. Einigermaßen in Leere ging dabei ihr Versuch, der Pavane besondere Finessen in der Artikulation abzugewinnen - so schön das Stück auch ist, pianistisch bleibt es unergiebig. Ganz anders die Sonatine, bei der sich die Meisterschaft der russischen Pianistin und Hamburger Hochschulprofessorin vom ersten Ton an vermittelte: Über die tremolierenden Begleitfiguren breitete sich eine kristallklare Oberstimme, ausgesungen bis in die kleinste Note hinein, eine perfekte Verschränkung von äußerer Ruhe und innerer Nervosität.
Perfekte Verschränkung von äußerer Ruhe und innerer Nervosität
Die Musik des Russen Alexander Skrjabin entstammt der gleichen Epoche, aber wo Ravel sich scheu entzieht, lässt der monomanische Musik-Mystiker seinen Eruptionen und Explosionen freien Lauf. Da bedarf es schon einer ordnenden, klug staffelnden und steigernden Hand, wie Anna Vinnitskaya sie in der dritten Sonate op. 23 bewies. Das für die gesamte Sonate konstitutive Fanfaren-Motiv der aufsteigenden Quarte trat dabei markant hervor, ging aber immer in größeren, weitflächig entwickelten Zusammenhängen auf. In den stets federnden, nie donnernden Oktavgängen der Rahmensätze war die Tradition der Liszt-Schule noch klar erkennbar - aber zugleich enthüllte Anna Vinnitskaya im flexibel modellierten, alle Erdenschwere abstreifenden Geflecht der Innenstimmen bereits Vorboten des „späten“ Skrjabin, dessen Strukturdenken sich mehr und mehr ins Vage und Spekulative auflöste.
Anna Vinnitskaya entfaltete auf kleinstem Raum eine ganze poetische Welt
Nach diesem üppigen Bouquet der Dekadenz-Epoche brauchte man schon dringend die Pause, um zur schlichten blauen Blume der deutschen Romantik zurückzufinden. Wobei Anna Vinnitskaya es mit Robert Schumanns „Carnaval“ so schlicht gar nicht meinte: Da entfaltete sich ein phantastischer, irrlichternder Maskenreigen, dessen beständige Wechsel zwischen dem Innigen und Bizarren mit minutiöser Klangkontrolle in Szene gesetzt waren. Als Anna Vinnitskaya die sanft verirrten Septolen der „Eusebius“-Nummer in den Raum zauberte, nur aus der erspürenden, erspielenden Intuition der Finger heraus (denen das Pedal nach dem Willen des Komponisten nicht helfen darf), da entfaltete sich auf kleinstem Raum eine ganze poetische Welt.
Was für Schumann der Karneval, ist für Jörg Widmann der Zirkus. Seine 2012 komponierten „Zirkustänze“ öffnen ein Kuriositäten-Kabinett voller Fallstricke und doppelter Böden: zerfetzte Boogie-Woogies, ins Gewalttätige ausschreitende Kinderreime, am Ende gar ein „bayerisch-babylonischer Marsch“. Aber selbst in diesem schrägen, abgedrehten Taschentheater zeichnete Anna Vinnitskaya jedes Detail mit größter Subtilität und kompromisslosem Schönheitswillen - da wirkte die Zugabe aus Schumanns „Kinderszenen“ unversehens ganz nah.