Kölner Premiere der Braunfels-Oper „Die Vögel“Die Wiederkehr eines Verkannten
Köln – Der Architekt Stephan Braunfels kann sich noch gut an seinen Großvater erinnern: „Ich war vier, als er starb. Für mich war er eine Leonardo da Vinci-Vaterfigur: alter Mann mit Glatze.“ Später kam dann das Musikerlebnis hinzu: „Zuhause gab es alte Tonbänder vom Kölner Rundfunk mit seinen Kompositionen zu hören: Mein Vater [der Münchner Kunsthistoriker Wolfgang Braunfels, d.Red.] spielte die Berlioz-Variationen, das „Te Deum“, „Die Vögel“ vor.
Letzteres Werk, Walter Braunfels“ (1882-1954) Oper nach der gleichnamigen Komödie von Aristophanes, hat am morgigen Sonntag, 18 Uhr, im Saal I des Deutzer Staatenhauses Premiere: Nadja Loschky inszeniert, und Gabriel Feltz dirigiert das Gürzenich-Orchester. Was für Opernintendantin Birgit Meyer Anlass war, zwei Nachfahren des Komponisten – eines der neben Richard Strauss meistgespielten Opernmeister der 20er Jahre und Gründungsdirektors der Kölner Musikhochschule (1925) – zum Gespräch über den in Frankfurt gebürtigen, aber halt auch mit Köln eng assoziierten Musiker und seine in den Jahren vor und nach dem Ersten Weltkrieg entstandene Oper zu bitten. Außer Stephan Braunfels ist aus München die Juristin Susanne Bruse angereist, Tochter von Braunfels-Sohn Michael, der als Klavierprofessor an der Kölner Musikhochschule und gleichfalls als Komponist wirkte.
Sie hat den Großvater nicht mehr kennen gelernt, wohl aber das Ringen ihres Vaters um die Anerkennung von Person und Werk mitbekommen: „Das war eine ziemlich frustrale Angelegenheit, denn in den 60er und 70er Jahren war er out: Anfang der 70er gab es mal eine Aufführung der „Vögel“ in Karlsruhe, aber nachhaltig war das nicht.“
Birgit Meyer findet all das beschämend genug – „auch, dass es in Köln keinen Braunfels-Platz gibt“. Beschämend scheint dies auch deshalb, weil sich mit dieser Missachtung schreiendes Unrecht verlängert: Braunfels wurde 1933 kaltgestellt, zog sich in den braunen Jahren nach Überlingen am Bodensee zurück und komponierte für die Schublade. Seine spätromantisch-tonale Schreibweise hätte ihn nicht auf den Index der „entarteten Kunst“ bringen müssen, wohl aber tat es der Umstand, dass er, gläubiger Katholik und bekennender Anti-Nazi, nach damals herrschender Terminologie „Halbjude“ war.
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Von der Verbannung im Dritten Reich konnte er sich nach dem Krieg – auf Betreiben seines alten Förderers, Oberbürgermeister Konrad Adenauer, wurde er auf den Posten an der Musikhochschule zurückgerufen – nicht mehr erholen. Hinzu kam, wie Stephan Braunfels anmerkt, dass Köln nach 1945 „Hort der Avantgarde war – da gab es keinen Platz mehr für Traditionalisten.“ Grotesk genug: Nazis und Avantgarde brachen Braunfels vereint den Hals – was diesen verbittern musste: „Lieber verbannt als verkannt“, zitiert der Enkel den Großvater.
Tatsächlich habe es damals noch „viele Altnazis auf Intendanzen und in Funkanstalten“ gegeben, die sich jetzt hinter der Avantgarde versteckt und auf diese Weise Braunfels“ „Wiederauferstehung“ sabotiert hätten. Aber auch aufgeschlossene Dirigenten wie Rafael Kubelik hätten seinerzeit zwar viel für die Mahler-Renaissance getan, Braunfels aber links liegen lassen.
Birgit Meyer, gebürtige Kölnerin, hatte schon relativ früh mit Michael Braunfels Kontakt aufgenommen und „den Nachlass im Keller des Hauses in der Dransdorfer Straße“ durchsucht – den jetzt die Enkelin hütet. 1999 brachte sie als Dramaturgin der Volksoper Wien dort eine Aufführung der „Vögel“ auf den Weg. Vorausgegangen war freilich – 1996 – eine Einspielung der Oper unter Lothar Zagrosek in der Decca-Reihe „Entartete Kunst“. Diese Aufnahme hatte Meyer gehört und war „überwältigt gewesen“.
Beginn der Renaissance mit Zagrosek
Tatsächlich war die Zagrosek-Aufnahme, so der Enkel, das initiale Signal für eine Braunfels-Renaissance. Michael Braunfels, erinnert sich Meyer, „wurde bei der Premiere in Wien als fachkundiger Braunfels-Sohn hofiert.“ Heute kümmern sich renommierte Dirigenten wie Manfred Honeck, Ulf Schirmer und Gregor Bühl um Braunfels. Und in der Tat gibt es viel nachzuholen: Die Oper „Jeanne d“Arc“ etwa wurde erst 2001 konzertant uraufgeführt. 2016 kam sie im Staatenhaus auf die Bühne – ein großer Publikumserfolg, wie Meyer in der Rückschau konstatiert.
Jetzt also „Die Vögel“ als Folgeproduktion auf die „Jeanne d'Arc“, die Meyer ursprünglich als Eröffnungsstück im sanierten Riphahn-Bau vorgesehen hatte. Wer die um 1940 entstandene „Jeanne d“Arc“ noch in den Ohren hat und jetzt Zagroseks Aufnahme der 20 Jahre früher geschriebenen Oper hört, kommt nicht umhin, einen deutlichen Stilwandel zu konstatieren. Susanne Bruse: „Ja, nach 1933 gibt es diese Neigung zur Verknappung, zum Extrakt, eine neue Ernsthaftigkeit – was sicher mit den Lebensumständen zu tun hat.“
Der Erste Weltkrieg als Zäsur
Indes markiert der Erste Weltkrieg, an dem Braunfels als Soldat teilnehmen musste, auch eine Zäsur innerhalb des von ihm eigenhändig erstellten „Vögel“-Librettos wie der Partitur: „Die persönliche Erfahrung führte“, sagt Stephan Braunfels, „dazu, dass aus der Aristophanischen Komödie ein Antikriegsstück wurde.“ Die Verführbarkeit der Vögel, die sich von einem menschlichen Demagogen das Blaue vom Himmel versprechen lassen und gegen die Götter ihr eigenes Imperium errichten – ist das eine Allegorie auf jene nationalistische Großmannssucht, die historisch kurz zuvor in die Katastrophe geführt hatte? Meyer: „Hier geht es um die schlechte Vergangenheit und die Ahnung davon, dass auch die Zukunft nicht rosig wird.“ Die Braunfels-Enkel halten diese Deutung für legitim, verweisen aber auch auf die Vieldeutigkeit der Oper, die nicht zuletzt ihren Reichtum begründe.
In der Tonsprache, in Melodik, Harmonik und Orchesterbehandlung der „Vögel“ bemerkt der Hörer spontan Ähnlichkeiten mit Strauss, auch Wagner. Die Enkel hören so etwas freilich nicht gern, wünschen, dass man sich die Musik des Großvaters nicht von irgendwelchen Einflüssen her, sondern aus sich selbst heraus erschließe: „Da ist viel drin, was ganz allein ihm gehört, zum Beispiel die Meisterschaft in der Chorbehandlung. Wer Haydn hört und sagt, dass ihn der an Mozart erinnert, wird dem Komponisten ja wohl auch kaum gerecht.“
„Das Werk sehr ernst genommen“
Was bekommt das Publikum am Sonntag zu sehen? Die Regisseurin hat, wie Meyer ausführt, „das Werk sehr ernst genommen. Sie situiert es zeitlich am Ende des ersten Weltkriegs, also in der Zeit der Komposition.“ Die Welt der Vögel erscheine als Welt der Fantasie, in die ein Mensch als Demagoge eindringe, während der andere als Träumer der Schönheit erscheine. Das Phänomen der Verführbarkeit schließlich sichere dem Stück eine starke Aktualität. Meyer: „Der Monolog am Ende ist einer der schönsten Opernschlüsse überhaupt. Man nimmt das Schöne auch in seiner Vergänglichkeit mit: ein tröstender Gedanke.“