Die Intendantin spricht mit uns über die Frage, was Offenbach uns heute noch zu sagen hat.
Mit der Auslastung der Kölner Oper ist sie sehr zufrieden.
Die Interimszeit im Staatenhaus sei eine große Herausforderung, so Meyer.
Frau Meyer, die Kölner Oper steigt anlässlich des Geburtstagsjubiläums massiv auf Jacques Offenbach ein – so an diesem Wochenende mit der „Großherzogin von Gerolstein“. Ist er heute auch jenseits einer pflichtschuldigen 200-Jahr-Feier der Befassung wert?
Auf jeden Fall. Er hat nicht nur ein umfangreiches Werk hinterlassen, sondern mit seiner Offenbachiade, aus der sich dann die Operette entwickelte, auch ein neues und zukunftsträchtiges Genre geschaffen. Das übrigens, weil man ihm den Weg zur großen Oper in Paris – also zur Opéra comique – versperrte, er aber Geld verdienen musste.
Aber diese Werke sind auch in ihrer Satiretendenz stark der Entstehungszeit verhaftet, dem Zweiten Französischen Kaiserreich und der Operettendiktatur Napoleons III.. Können Sie uns heute noch etwas sagen – und, wenn ja, was?
Das Umfeld ist weg, das stimmt. Was bleibt, das ist Offenbachs Anliegen: die scharfsichtige Beschreibung sozialer Missstände, aber auf eine Weise, dass das Theaterpublikum es akzeptieren konnte. Das ging nur, insofern sich die Kritik mit einer fundamentalen Menschenliebe verbindet. Diese Verbindung ist nach wie vor aktuell.
Aber Offenbachs Heiterkeit war de facto auch ziemlich bösartig – viele seiner Stücke hätten die Zensur auf den Plan rufen müssen. Tatsächlich aber amüsierten sich diejenigen, die da auf der Bühne demaskiert wurden, unten im Parkett am allermeisten.
Zum Teil haben sie es wohl gar nicht gemerkt, dass es da um sie selbst ging. Und wenn sie es merkten, durften sie erleichtert darüber sein, dass Offenbach seiner Kritik selbst die Spitze nahm. Der Komponist durchschritt dann sein Pariser Popularitätstief nach der französischen Kriegsniederlage gegen Preußen ziemlich schnell – weil eben die Mechanismen seiner Theaterkomik nach wie vor und unabhängig von den Entstehungsumständen funktionierten.
Was die „Großherzogin“ betrifft, so mag hier die Aktualisierung nicht schwerfallen: Es geht um Militarismus und Machtmissbrauch
Ja, und da bekommt Offenbach in der Tat Zähne: Die Titelfigur will einen nicht willfährigen Untertan umbringen lassen – mehr Machtwillkür geht wirklich nicht. Und man denkt: Das ist eigentlich eine kleine Geschichte in einem belanglosen fiktiven Kleinstaat, und doch erschreckt sie – auch und gerade heute.
Die Hauptfigur dieser Opéra-bouffe musste ein Frau sein – undenkbar, dass hier ein „Großherzog“ platziert worden wäre. Macht sich da indirekt Frauenfeindschaft breit?
Das glaube ich nicht. Es geht Offenbach wohl eher darum, einfach mal das bekannte Verhalten von Männern in Machtpositionen zu konterkarieren.
Warum macht die Kölner Oper im Offenbachjahr just dieses Stück?
Wir wollten eines der großen bekannten Werke zeigen, schwankten zwischen „Belle Hélène“ und „Großherzogin“. Gemeinsam mit GMD François-Xavier Roth, der die musikalische Leitung übernimmt, haben wir dann diese dezidiert ausgesucht. Es ist übrigens auch eine Kölner Erstaufführung.
Und Roth musste man nicht zum Jagen tragen...
Nein, für ihn als Pariser ist es eine Ehrensache, Offenbach an dessen Geburtsort zu dirigieren.
Was haben wir von der Inszenierung zu erwarten?
Ich habe von dem Regieteam um Renaud Doucet und André Barbe an der Hamburger Staatsoper „La Belle Hélène“ gesehen – und das war wirklich großartig. Beide sind Kenner der Materie, exzellente Handwerker, haben ein gutes Händchen. Sie haben auch keine falsche Angst vor Pomp und großer Ausstattung – die gehören bei Offenbach einfach dazu. Ist man da zu asketisch, unterspielt man Humor, Agilität, Ironie und Spott, kippt das Ganze schnell ins Nichts. Renaud und Barbe leisten diese Gratwanderung mit feinem Gespür.
Was bekommt das Publikum im Staatenhaus zu sehen?
Wie gesagt: Bühne und Kostüme sind sehr opulent, es ist schon ein richtiges Ausstattungsstück. Das Ganze spielt nicht allzu weit weg von Köln, die Handlung ist in die Gegenwart verlegt, in ein teilrealistisches Ambiente. Man zieht auch nicht in einen richtigen Krieg gegen feindliche Armeen, sondern in einen Kampf, der für unsere Zeit bedeutsam ist: für den Klimaschutz.
Erstaunlich, darauf wäre ich jetzt nicht gekommen.
Sie werden sehen, dass das aus dem Text heraus gut funktioniert.
Wie sind sie mit den notorischen Raumproblemen klargekommen?
Das Orchester sitzt diesmal mehr oder weniger klassisch in einem Graben, wird aber „umspielt“ von einer Passerelle, so dass die Sänger tatsächlich nach vorne zum Publikum hin kommen. Ansonsten kennt das Team die Staatenhaus-Architektur sehr gut und konnte daraufhin konzipieren.
Wie es aussieht, werden Sie mit der Oper noch Jahre lang im Staatenhaus bleiben müssen – Ende des Monats werden wir ja wohl von Bernd Streitberger zur Sanierung des Riphahnbaus Genaueres erfahren. Frustriert das nicht?
Es ist eine große Herausforderung, die wir aber sehr gut meistern. Wenn wir irgendwann wieder am Offenbachplatz sind, wird man das Interim als reiche Zeit in Erinnerung behalten.
An der weiland stark umstrittenen Budgetfront scheint Ruhe zu herrschen – obwohl sie selbst Ihren Etat einmal auskömmlich, aber nicht fantastisch nannten.
Es ist tatsächlich nicht fantastisch, mit knapp 37 Millionen Euro Betriebskostenzuschuss liegen wir im Vergleich mit den Häusern in der deutschsprachigen Opernkonferenz immer noch ganz weit unten. Aber die Stadt trägt die Tariferhöhungen – was bedeutet, dass das Budget entsprechend den jeweiligen Tarifverhandlungen angehoben wird. Da ist sie ein verlässlicher Partner, in anderen Kommunen ist das ein Streitpunkt. Für uns bedeutet das freilich, dass wir im Gegenzug das, was wir budgetieren, auch erfüllen und eine gute Auslastung haben müssen, um unsere Qualität zu halten.
Wir werden in dieser Spielzeit bei über 85 Prozent liegen. Dieser Erfolg basiert auf der Konzeption unseres Spielplans. Wenn Sie Selteneres wie Braunfels’ „Jeanne d’Arc“ machen, brauchen Sie auf der anderen Seite Renner wie „Turandot“ und „Fidelio“, mit denen sie das Haus absehbar voll bekommen. Aber auch die Kölner Erstaufführungen „Rusalka“ und „Street Scene“ haben mit hoher Auslastung gepunktet.
Das Interim ist also keine Durststrecke.
Im Gegenteil! „Die Soldaten“ und „Turandot“ konnten so nur im Staatenhaus entstehen! Für viele hat das Ambiente dort die Hemmschwellen gesenkt, es ist eine innovative Location. Die Leute kommen nicht zuletzt hierher, weil sie fasziniert sind von den unterschiedlichen Bühnenlösungen und der unmittelbaren Begegnung mit den Künstlern im Foyer.
Die Akustik ist suboptimal.
Das würde ich nicht sagen. Dennoch arbeiten wir permanent daran, haben zum Beispiel im Saal 2 zusätzliche Wände eingezogen. Wir loten aus, was wir mit unseren Mitteln noch machen können – zumal absehbar ist, dass wir noch ein paar Jahre mit dem Staatenhaus leben werden.
Wie hat sich Ihre Beziehung zu François-Xavier Roth entwickelt – um die war es ja mal erkennbar nicht zum Besten gestellt?
Es ist eine gute Arbeitsbeziehung. Wir haben da einen guten gemeinsamen Weg und Rhythmus gefunden.
Ihr Vertrag reicht bis 2022. Das heißt, dass Sie, wenn er nicht verlängert wird, nicht mehr mit in den sanierten Riphahnbau gehen. Sie hätten es aber wohl gern anders?
Es entspräche nicht der Wahrheit, wenn ich auf diese Frage nicht mit „ja“ antwortete.
Zur Person
Birgit Meyer, geboren 1960 in Köln, ist seit der Spielzeit 2012/2013 Intendantin der Kölner Oper.
Offenbachs „La Grande-Duchesse de Gérolstein“ hat an diesem Sonntag, 18 Uhr, im Saal 2 des Staatenhauses Premiere. Renaud Doucet inszeniert, es singen u.a. Jennifer Larmore, Emily Hindrichs, Menna Cazel, Regina Richter, Dino Lüthy, Miljenko Turk. François-Xavier Roth dirigiert das Gürzenich-Orchester. (ksta)