AboAbonnieren

Kölner PremiereDie Pubertät als Minenfeld im Theater der Keller

Lesezeit 3 Minuten
Eine Schauspielerin im roten, schulterfreien Kleid trägt eine rote Clownsnase und einen gehörnten Wikingerhelm, Szene aus „Frühlingserwachen“ im Theater der Keller

Szene aus „Frühlingserwachen“ im Theater der Keller

Sebastian Kreyer und Daniel Breitfelder inszenieren Frank Wedekinds Coming-of-Age-Klassiker „Frühlingserwachen“. Unsere Kritik.

Die Pubertät gleicht eher einem Minenfeld als einem Paradies. Umso mehr, wenn Jugendliche sie blindlings durchlaufen müssen. So erweist sich die Neuinszenierung von Frank Wedekinds Aufklärungs- und Coming-of-Age-Drama „Frühlingserwachen“ aus der wilhelminischen Kaiserzeit im Theater der Keller als immer noch zeitgemäße Auseinandersetzung mit dem ewigen Thema des Heranwachsens.

Zumal das Regie-Duo Sebastian Kreyer („Trude Herr“) und Daniel Breitfelder, der zurzeit als König Ubu im Keller begeistert, den Stoff klug und ungemein komisch mit aktuellen Themen, Texten und Songs angereichert haben. In ihrer Fassung bewegt sich das großartig eingestellte Ensemble, das sich aus den Talenten der Schauspielschule der Keller rekrutiert, souverän und stimmig zwischen den Zeiten restriktiver Sexualmoral von anno dazumal und der heutigen Zeit.

So aufgeklärt, liberal und gleichberechtigt wie gerne behauptet, ist halt auch die heutige Gesellschaft nicht. Der Themen-Kanon um Aufklärung, Sex, häuslicher Gewalt, Homosexualität, ungewollter Schwangerschaft, Schulkritik und Suizid behält da weiterhin seine Relevanz.

Wenn „Staying Alive“ durch die Halle schallt, sind zwei Protagonisten tot

Im Mittelpunkt der Handlung stehen die Teenager Moritz, Wendla und Melchior auf der Suche nach Erfüllung und Sinn. Sie sind dem gnadenlosen Druck von Schule und Gesellschaft ausgesetzt. Ihren drängenden Fragen und Nöten begegnen die Erwachsenen mit Ignoranz und Kälte. Die Jugendlichen bleiben mit ihrer erwachenden Sexualität und tiefen Verunsicherung alleine, wiederholen dabei die Fehler, die schon ihre Eltern ins Unglück getrieben haben.

Die Regie bleibt in der knapp zweistündigen Inszenierung dem originären Handlungsverlauf treu. Auf ein üppiges Bühnenbild wird verzichtet. Hier füllen die Figuren und ihre Konflikte den Theaterraum, der von dem Ensemble raffiniert und dynamisch bespielt wird. Zwischen den Szenenwechsel unterstreichen thematische Songs das Geschehen. Von „It's a Sin“ der Pet Shop Boys bis zum Die-Sterne-Song „Was dich bloß so ruiniert“ reicht der poppige Soundtrack. Wenn am Ende trotzig „Stayin' Alive“ der Bee Gees durch die Halle schallt, sind trotzdem zwei der drei Protagonisten tot.

Gestorben, weil Institutionen und Eltern kläglich versagt haben, die Männer mit rigider Härte, die Frauen mit resignativer Schwäche, sich einem patriarchalischen Diktat beugend. Autor Sebastian Kreyer gelingt bei seiner Überschreibung des Originaltextes eine souveräne Balance zwischen tragischen und komischen Momenten. Es herrscht ein mitunter hipper Umgangston, bei dem sich etwa selbstironisch darüber ausgelassen wird, dass man doch künftig lieber in einer Streaming-Serie statt auf der Theaterbühne sein Geld verdienen wolle, um im nächsten Moment wieder in tiefen Ernst zu verfallen.

Himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt agiert das wunderbar aufeinander abgestimmte Ensemble, jazzt sich hoch, spielt sich geschickt die Bälle zu und lässt dabei doch jedem Mitglied genügend Raum für große Theater-Momente. Und ein weitgehend junges Publikum, das sich ja angeblich nicht mehr lange auf eine Sache konzentrieren kann, folgt gebannt und begeistert über die gesamte Spieldauer einem ewig jungen „Frühlingserwachen“.

Nächste Termine: 16., 17. 11., 19., 20., 31. 12., Theater der Keller