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Premiere im Schauspiel KölnSo bunt wie „Barbie“, aber viel pessimistischer

Lesezeit 5 Minuten
„Kim Jiyoung, geboren 1982“ von Cho Nam-Joo
Regie: Marie Schleef
 
Regie: Marie Schleef
Bühnenbild & Übertitel: Seongji Jang
Kostüme: Ji Hyung Nam
Live-Musik: Jae A Shin
Licht: Jürgen Kapitein
Körpertraining: Arzu Erdem-Gallinger
Dramaturgie: Sibylle Dudek

Szene aus „Kim Jiyoung, geboren 1982“ im Schauspiel Köln

Regisseurin Marie Schleef adaptiert den Weltbestseller „Kim Jiyoung, geboren 1982“ im Depot 2 des Schauspiels Köln.

Kim Jiyoung, die Hauptfigur in Cho Nam-Joos Roman „Kim Jiyoung, geboren 1982“, kann man sich als koreanische Erika Mustermann vorstellen: Eine Frau, die für jede andere Frau steht und deren Leben exakt in den Stanzen verläuft, die die Gesellschaft für sie vorgesehen hat. Kim ist der beliebteste Vorname, Jiyoung der häufigste Nachname in Korea.

Die bis dahin nahezu unbekannte Autorin hatte den Roman 2015 in wenigen Monaten geschrieben, sie berichtet vom exemplarischen Aufwachsen einer jungen Frau in Seoul bis zu deren 33. Lebensjahr. Es gibt keine besonderen Vorkommnisse. Stilistisch bleibt der Text unauffällig. Doch in Südkorea wurde der Roman zum höchst umstrittenen und viel diskutierten Erfolg — und anschließend zum Weltbestseller.

Das Geheimnis seines Erfolges ist gerade seine Mustergültigkeit, die Cho Nam-Joo noch mit Statistiken — etwa über den rekordverdächtigen Gender-Pay-Gap Südkoreas — unterfüttert. Die Quellenangaben werden in der Kölner Aufführung als Übertitel auf eine kleine Schlechtwetterwolke projiziert. Was Kim Jiyoung erlebt, kann jede Frau nachvollziehen: Ihr Geschlecht gilt von Geburt an als Mangel.

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Wenn Kim Jiyoung im Bus belästigt wird, ist sie angeblich selber schuld

Das nächste Kind werde sicher ein Sohn, tröstet die Verwandtschaft. Der kleine Bruder, als er dann endlich da ist, wird in jeder Hinsicht bevorzugt. In der Schule gelten die strengen Regeln nur für Mädchen, Jungs müssen sich nun mal austoben. Wenn Kim im Bus belästigt wird, ist sie selber schuld, weil ihr Rock zu kurz ist, oder der Weg zum Nachhilfeunterricht, den sie gibt, zu lang.

Von der Universität zum ersten Job, zur Ehe und schließlich zur eigenen Schwangerschaft: Mit jedem Lebensabschnitt stößt Kim Jiyoung an neue Mauern, jede Emanzipationsbewegung engt sie nur weiter ein. Bis sie an der eigenen Existenz verrückt wird, plötzlich mit den Stimmen anderer Frauen redet, ihre Mutter, einer toten Freundin. Weil sie für jede Frau spricht.

Regisseurin Marie Schleef hat die Titelrolle aufgeteilt

Der Roman beginnt mit diesem psychischen Zusammenbruch und auch Marie Schleefs Bühnenadaption im Depot 2 des Kölner Schauspiels. Die Regisseurin hat die Titelrolle konsequent zwischen mehreren Frauen aufgeteilt: Nicola Gründel, Kristin Steffen und Kotti Yun leihen der Jederfrau ihre Stimmen, die Violinistin Jae A Shin kommentiert mit bis zum Zerreißen gespannten Saiten, dazu kommt noch die rein weiblich besetzte Statisterie in allen Lebensaltern.

Sie alle haben sich zu große graue Jacketts übergeworfen, die Beine bleiben anfangs unbekleidet, werden später erst in graue Röcke, dann in graue Hosen gezwängt. Doch Grau in Grau ist der Abend keineswegs. Schleef und ihre Bühnenbildnerin Seongji Jang setzen ihre multiple Heldin in eine farbenfrohe Bühnenlandschaft. Die wirkt, als hätte ein Riese hier Haribos bunte Mischung ausgekippt. Einige der Elemente aus Plüsch und Plastik erinnern an weibliche Organe, an Vulven und Eierstöcke. Und dann gibt es noch ein großes rundes Kissen, auf das sich die Protagonistinnen immer wieder Kopf voraus werfen, wenn sie der Frust übermannt.

Wut an überdimensionierten Fruchtgummi-Teilen ausgelassen

Das erntet zuverlässig ein befreites Lachen aus dem Publikum, genau so fühlt sich das an. Nun könnte man einwenden, dass Südkorea in den vergangenen 50 Jahren eine enorm beschleunigte Entwicklung vom armen Agrarstaat unter der Knute des Militärs zur hyperkapitalistischen Demokratie durchgemacht hat, so schnell können sich die traditionellen — sprich: Frauen verachtenden und versklavenden — Werte einer Gesellschaft gar nicht wandeln. Dass Frauen, wie es zum Teil bis heute in Südkorea gängige Praxis ist, geschlechtsselektiv abtreiben, kann man sich zum Beispiel hierzulande kaum vorstellen.

Nur: Warum kommt einem dann vieles so bekannt vor? Warum wurde „Kim Jiyoung, geboren 1982“ zum Weltbestseller? Nun, die Antwort liegt auf der Hand und sie fällt viel deprimierender aus, als dieser erstaunlich vergnügliche Abend. Denn die Leichtigkeit, mit der Yun, Gründel und Steffen sich die Identitäten zuwerfen, der parodistische Spaß, mit dem sie manspreadende und mansplainende Abteilungsleiter, beleidigte Ehemänner oder um die ausbleibende Nachkommenschaft besorgte Schwiegermütter spielen, konterkariert sehr schön mit der realen Wut, die sie an den überdimensionierten Fruchtgummi-Teilen auslassen. Auch wenn es sie selbstredend nicht aufhebt.

Dass es schon genügt, wenn sich Frauen den Frust über die unmöglichen Anforderungen an ihr Geschlecht von der Seele reden und sich gegenseitig ihres Wertes versichern, erzählte zuletzt Greta Gerwig in ihrem ähnlich bunt-feministischen „Barbie“-Film. Marie Schleef bleibt da wesentlich pessimistischer. Das letzte Wort überlässt sie der körperlosen Stimme des Psychiaters, der sich mit des Falles Kim Jiyoung angenommen hat. Der äußert Verständnis, erzählt aber im selben Atemzug, wie er dank des Verzichts seiner Frau Karriere gemacht hat und warum er nur noch unverheiratete Frauen in seiner Praxis anstellt.

Einmal gönnen sich die drei Darstellerinnen eine Zigarettenpause abseits der Bühne, zusammen mit ihrer Souffleurin. Die haben sie sich redlich verdient. Das Leben von Kim Jiyoung, geboren 1982, das ganz normale Frauenleben, in Südkorea oder anderswo, es ist kaum auszuhalten.


Regie: Marie Schleef, Bühne: Seongji Jang, Kostüme: Ji Hyung Nam, Live-Musik: Jae A Shin, mit: Nicola Gründel, Kristin Steffen, Kotti Yun, Andrea Voss, Nina Jaunich, Swaantje Reichstein, Jane Dunker, Gisela Pflughaupt, Elsam Yohanes, Ada Eze, Zoe Camara, Nadine Kubitzka, Marilene Mostert, Leila Schwarz, Tarik Teklu, Tamara Ebner und Nikolaus Benda, nächste Termine: 20, 28. 10.; 9., 18. 11, Depot 2, 100 Minuten, keine Pause