Die Produzentin Sabine de Mardt über ihre Disney+-Serie „Deutsches Haus“, die Sorgen der Branche und die Zukunft des Standorts Köln.
Kölner Produzentin Sabine de Mardt„Ohne eine attraktive Förderung sind wir nicht konkurrenzfähig“
Frau de Mardt, was muss eine gute Produzentin mitbringen, um auf dem Markt zu bestehen?
Das Allerwichtigste ist die Liebe zu den Stoffen, auch die Liebe zu den Menschen. Wenn man sagt, ich interessiere mich nicht für Menschen, sollte man diesen Beruf erst gar nicht ergreifen. Neugier, Wertschätzung und ein liebevoller Blick sind sehr wichtig. Hinzu kommt eine dringend notwendige kommunikative Kompetenz. Man muss Menschen zusammenführen, Teams kreieren, die sich wohlfühlen. Ich glaube fest an den Teamgedanken.
Vor kurzem wurden die Dreharbeiten zu der ukrainischen Serie „In her Car“ abgeschlossen, die Sie koproduzieren. Worum geht es darin?
Das ist spannend, es ist eine der ersten Serien, die von Menschen aus der Ukraine und ihren Erlebnissen während der ersten Tage und Wochen des russischen Krieges gegen die Ukraine erzählt. Es ist die sensible, persönliche Geschichte einer Frau, die mit ihrem Auto direkt ins Kriegsgebiet fährt und privat Leute dort herausholt. Das haben tatsächlich viele Menschen getan. Bei uns ist es eine Psychologin. Wir erfahren ihre Geschichte und die Schicksale der Fliehenden. Die Serie ist fiktional, aber mit einem realen Hintergrund. Das ist sehr berührend und auch sehr hochwertig produziert. Besonders ist bestimmt auch die Zusammenarbeit von Gaumont mit der ukrainischen Produktionsfirma Starlight Media. Hier ist eine ganz besondere paneuropäische Koproduktion entstanden, die zeitgleich in zahlreichen Ländern startet, in Deutschland wird sie beim ZDFneo zu sehen sein.
Gerade erhalten Sie viel Aufmerksamkeit für die Disney+-Serie „Deutsches Haus“. Das wäre sicher auch ein Stoff für das öffentlich-rechtliche Fernsehen gewesen. Warum war Disney der richtige Partner für Sie?
Auch für einen öffentlich-rechtlichen Sender hätte das ein sehr attraktives Programm sein können. Allerdings gibt es von diesen großen und aufwändigen Eventproduktionen nur wenige. Die Sendeplätze dafür sind häufig über Jahre verplant. Wenn man in bestimmte Budget-Höhen kommt, wird auch die Finanzierung immer komplexer und verlangt oftmals eine Koproduktionsstruktur mit mehreren Partnern und Förderungen. Wir aber wollten das Momentum nutzen und direkt loslegen. Da waren wir bei einem Streamer wie Disney+ genau richtig. Wenn man dort von einem Projekt begeistert ist, kommt es vor, dass die Finanzierung sehr schnell zur Verfügung gestellt wird. Natürlich werden auch da Kosten-Nutzen-Rechnungen aufgestellt.
Ist internationale Wahrnehmung mehr wert als der Versuch, ein breites Publikum in Deutschland zu erreichen?
Grundsätzlich ist für uns das deutsche Publikum das wichtigste. Bei „Deutsches Haus“ war der zugrundeliegende gleichnamige Roman von Annette Hess, die bei unserer Produktion auch Drehbuchautorin und Showrunnerin ist, ebenfalls international ein großer Erfolg. Da ist es naheliegend, dass wir die Serie gern auf einen Schlag einem Weltpublikum zeigen möchten, zumal das Thema international ebenso relevant ist. Disney+ hat 150 Millionen Abonnenten, Tendenz steigend. Das ist sehr attraktiv. Trotzdem wünsche ich mir, dass möglichst viele Menschen unsere Serie in Deutschland sehen.
Warum lag Ihnen dieser Stoff so am Herzen?
Wir wollten diesen schweren Stoff etwas anders erzählen, nämlich über die junge Dolmetscherin zu Beginn der 1960er Jahre. Die Menschen wollten nach vorne streben, das Wirtschaftswunder genießen. Das war eine andere Art der Herangehensweise. Es ist ein wenig so, wie wir es auch bei „Barbaren“ versucht haben: Schwere Geschichten zugänglich aufbereiten. Man braucht einen sehr besonderen Erzählansatz, um Offenheit dafür zu erreichen. Wenn diese Ebene nicht da gewesen wäre, wäre „Deutsches Haus“ ein Gerichtsdrama geworden, was ich als sehr schwer empfinde und wovon es auch schon viele gute gibt.
Sie erwähnten gerade „Barbaren“, das war für Gaumont und Sie der Einstieg in Deutschland. Wie schwer war es, so ein großes Projekt unmittelbar nach der Gründung des hiesigen Ablegers zu stemmen?
Ich persönlich sage immer, ich bin in den zwei Jahren fünf Jahre gealtert. Es war wahnsinnig aufregend und anstrengend zugleich. Das war zu einer Zeit, als die Streamer im Aufbruch waren und wir grünes Licht für die Serie auf der Basis eines 16-seitigen Dokuments bekommen haben - und zwar grünes Licht für den Dreh. Das macht man heute gar nicht mehr. Damals lief die Markteinführung von Netflix auf Hochtouren. Programm wurde möglichst schnell gebraucht. Wir hatten ebenfalls einen eng getakteten Zeitplan, vor dem wir durchaus Respekt hatten. Die Frage war, kriegen wir das hin. Es durfte keine Verzögerungen geben, alles musste Hand in Hand und parallel passieren. Unsere Firma war zwar jung, aber wir hatten als Produzent*innen über die Jahre schon einiges an Erfahrung gesammelt. Um das Happy End vorwegzunehmen: Es hat geklappt und die Serie war dann auch noch die erfolgreichste nicht englischsprachige Serie weltweit.
Von „Barbaren“ wird es keine dritte Staffel geben. Wie schwer ist es heute, Fortsetzungen durchzukriegen?
Wir haben uns, ehrlich gesagt, sehr gefreut, dass wir eine zweite Staffel realisieren konnten. Die Zusammenarbeit mit Netflix war super und hat großen Spaß gemacht. Aber für eine Fortsetzung spielen immer mehre Faktoren eine Rolle. Dementsprechend komplex ist es dann auch die Entscheidung, wird eine Serie fortgesetzt oder nicht.
Der Druck auf Produzenten steigt. Sky hat bekannt gegeben, keine Eigenproduktionen mehr zu beauftragen. Wie sehr trifft Sie das?
Das war für uns nicht einfach, weil wir nicht nur zwei weitere Staffeln „Die Wespe“ verloren haben, sondern auch ein paar Projekte, die wir in der Entwicklung eingeplant hatten. Sky war schon einzigartig in der Beauftragung und Auswahl der Produktionen, man hatte das Gefühl, es mit einem deutschen HBO zu tun zu haben. Das war toll. Es gibt andere Sender und Streamingdienste, die deutlich mehr auf den Mainstream zielen und sich an eine sehr breite Zielgruppe wenden.
Überrascht Sie das?
Nein. Auch die Streaming-Dienste, von dem wir früher dachten, da kann man nur ungewöhnlich und edgy erzählen, haben sich dahingehend verändert. Jeder muss schauen, wie er sich weiterentwickelt. Es geht um große Marken, und in dem Dschungel der Vielfalt ist es für alle wichtig, Aufmerksamkeit für ihre Programme zu bekommen. Da sind bestehende Marken, die jeder kennt, sehr hilfreich. Die öffentlich-rechtlichen Sender haben ein wahnsinniges Pfund, weil sie ja ungleich mehr Zuschauer erreichen. Sie sind mit ihren Mediatheken quasi die potentesten Streamer.
Die Streamer kämpfen, die Sender auch. Das Land NRW kürzt die finanziellen Mittel für die Film- und Medienstiftung um rund fünf Millionen Euro. Wie besorgt sind Sie?
Ich bin schon besorgt. Auch darüber, dass die Entwicklung zwischen den Bedürfnissen der Produktionsfirmen und den Möglichkeiten der Sender auseinandergeht. Es stehen jetzt z.B. neue Tarifverhandlungen an. Seitens Verdi spricht man z.B. über die 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich. Privat kann ich diesen Wunsch verstehen, aber ökonomisch würden wir uns mit einer solchen Regelung im Wettbewerb ins Aus schießen. International gibt es zuverlässige, zum Teil „automatische“ Filmförderungen oder Zuschussmodelle, flexiblere Arbeitszeiten und vieles mehr. Die Landesregierung sagt zwar, dass die finanziellen Mittel nur einmalig gekürzt werden, aber wir wissen alle, wenn das Budget einmal weg ist, ist es sehr schwierig, es zurückzuholen. Ohne eine entsprechende attraktive Förderung sind wir nicht konkurrenzfähig.
Die öffentlich-rechtlichen Sender haben auch zu kämpfen.
Es ist für alle gerade eine herausfordernde Zeit. Es muss gespart werden und Strukturen müssen modernisiert werden. Die Inflation macht die ökonomische Lage nicht leichter. In der Summe ist zu befürchten, dass die Programmvielfalt und die Beauftragung in die Kreativwirtschaft darunter leidet, was wiederum eine Konsolidierung des Marktes bedeutet. Gerade kleine Firmen würde das schwer treffen. Auf der anderen Seite erleben wir einen Konzentrationsprozess von großen Konzernen, was ich auch beunruhigend finde. Gaumont wird zwar als große Firma wahrgenommen. Jedoch sind wir im Unterschied zu vielen anderen Unternehmen ein unabhängiges Familienunternehmen. Gaumont ist die älteste Filmproduktionsfirma der Welt mit einer sehr langen Tradition und damit eines von wenigen „gallischen Dörfern“ im Umfeld immer größer werdender Konzerne.
Und wie sieht es mit den Privatsendern als Auftraggeber aus?
Natürlich haben auch die Privatsender ihre Herausforderungen. Das Werbevolumen ist insgesamt geringer bzw. anders verteilt, als in früheren Zeiten. Und es gibt auch viele Werbetreibende, die die Zielgruppe mittlerweile direkt ansprechen und nicht mehr über die Sender gehen. Hinzu kommen die Streamer, die jetzt auch werbegetriebene Tarife anbieten. Der zu verteilende Kuchen ist also kleiner geworden bzw. die Konkurrenz größer. Das ist eine langfristige Entwicklung.
Was bedeutet das für den Markt?
Ich glaube, es herrscht überall eine relative Verunsicherung. Nichtsdestotrotz werden sich gute und kreativ interessante Produktionshäuser behaupten und trotz Marktkonsolidierung weiter erfolgreich sein. Und da bin ich jetzt mal optimistisch und hoffe, dass wir dazugehören.
Was bedeutet diese Entwicklung für den Medienstandort Köln, sehen Sie ihn in Gefahr?
Den Standort sehe ich nicht in Gefahr. Es wird nach wie vor viel produziert. Köln ist vor allem mehr und mehr ein Entertainment-Standort geworden, hier werden die meisten Fernsehminuten in NRW produziert. Fiktional sind wir zwar nicht ganz so stark, aber im Ländervergleich entstehen hier in NRW die meisten Sendeminuten in ganz Deutschland.
Sabine de Mardt war schon lange in der Film- und Fernsehbranche als Produzentin erfolgreich tätig, als sie 2018 in Köln den deutschen Ableger der französischen Firma Gaumont aufbaute. Das erste Projekt war gleich eine Mammutaufgabe. Für Netflix produzierte sie die Geschichtsserie „Barbaren“. Bei Disney+ ist ihr Herzensprojekt, die Verfilmung des Romans „Deutsches Haus“ von Annette Hess, zu sehen. Die Serie spielt in den 1960er Jahren und erzählt von einer jungen Übersetzerin, die im ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess mit den Verbrechen des Holocaust konfrontiert wird. Die Gaumont-Produktion „Die zweite Welle“ ist am 27. und 28. Dezember jeweils um 22.15 Uhr im ZDF und schon jetzt in der Mediathek zu sehen.