Kölner Theater der KellerÜberzeugt die Inszenierung „Der Zauberer von Oz“?
- Regisseur Tom Müller klopft das Kinderbuch „Der Zauberer von Oz“ im Kölner Theater der Keller auf seine toxischen Punkte ab.
- Unsere Kritik des Schauspiel-Abends.
Köln – Der amerikanische Kinderbuchautor Lyman Frank Baum schrieb 1900 das modernisierte Märchen „Der Zauberer von Oz“, um – wie er in seiner Einleitung zum Buch festhielt – „den Kindern eine Geschichte zu geben, in der das Staunen und die Freude im Mittelpunkt stehen und Herzbeklemmungen und Alpträume keinen Platz haben“. Bekanntlich wurde das Kinderbuch vor allem in den USA ebenso zum Klassiker wie die Verfilmung aus dem Jahre 1939, in der sich die damals 16-jährige Judy Garland auf den Weg ins Land über dem Regenbogen machte.
Ganz so unschuldig, wie es der Kinderbuchautor beschwor, ist aber sein Märchen nicht. So geht es dem Kölner Regisseur und Dramaturg Tom Müller in seiner neuesten Inszenierung für das Theater der Keller auch nicht darum, an diesem Abend den Zauber der Märchenwelt zu beschwören, sondern das Themenfeld der Erzählung auf seine toxischen Punkte abzuklopfen.
Das englische Wort „Home“ bedeutet im Deutschen „Zuhause“ aber auch „Heimat“. Das sind gleich zwei Begrifflichkeiten, mit denen sich Tom Müller in seinem Stück intensiv auseinandersetzt.
„Fuck Home“ prangt hier in großen Lettern über der Bühne, wie ein überdeutlicher Fingerzeig, wohin an diesem Abend die Reise geht beziehungsweise wohin sie nicht führt. Frank Casali, Tim-Fabian Hoffmann, Karolina Horster und Simon Rußig haben auf Stühlen Platz genommen. Noch sind sie keine Figuren aus dem Märchen, sondern Teile einer Familie. Vater, Mutter und zwei Brüder haben sich hier – in den Zeiten des Lockdowns? – zu einer Art Familienaufstellung zusammengefunden. Eine nervöse Spannung liegt in der Luft, und die eingeforderte familiäre Harmonie wirkt wie eine unmissverständliche Aufforderung zur Unterordnung unter herrschende Normen. Entsprechend unheilschwanger hält die Mutter denn auch ein großes Paddel wie eine Keule in der Hand. Von einer fröhlichen Flusstour kann hier keine Rede sein.
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Stattdessen begeben sich die vier Familienmitglieder auf einen wilden Trip quer durch die diversen Diskurse von Baums Geschichte, in der sich auch immer wieder die Geschichte der USA widerspiegelt. Da wird die Sehnsucht nach einem paradiesischen Heimatort im ländlichen Kansas, wo die Erzählung angesiedelt ist, mit der blutigen Historie der Besiedlung des Westens durch weiße Siedler und der Vertreibung und weitgehenden Auslöschung der indigenen Urbevölkerung konfrontiert. Kein Wunder, dass der Sehnsuchtsort im Film, der im Stück zitatenweise auf Leinwände projiziert wird, in den Kulissen der Traumfabrik Hollywood und nicht an Originalschauplätzen in Kansas entstand.
Tragisches Schicksal
Hollywoods dunkle Seite rückt mit den biografischen Verweisen auf das tragische Schicksal der Judy Garland in den Fokus. Die wurde von Kindheitstagen an mit Medikamenten auf Höchstleistung getrimmt und bezahlte die Dauerbelastung auf den Bühnen und vor der Leinwand letztendlich mit ihrem Leben.
Fass ohne Boden
Eine unerschöpfliche Bandbreite von Themen, die zuweilen auch zum Fass ohne Boden zu werden drohen, breitet Tom Müller in seinem Stück aus. Biografisches über Judy Garland vermischt sich hier mit amerikanischer Geschichte, Themenwelten der Vorlage vermengen sich mit Familiengeschichten der Darsteller, und über allem schwebt die Frage, wie unschuldig eine Suche nach Zuhause und Heimat in Zeiten von wiederaufkeimendem Nationalismus überhaupt sein kann.
Dass diese Fülle an Themen sich dennoch zu einem gelungenen Theaterabend fügt, liegt nicht zuletzt an dem dynamischen Spiel der vier glänzenden Schauspieler. Die begeben sich mit ungeheurer Verve auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle, bei der die traurigen Abgründe ebenso spürbar werden wie humorvolle Höhenflüge voller überbordender Spielfreude. Der Zuschauer verbringt in den 90 Minuten einen hoch spannenden Abend, der die Magie des Theaters beschwört und gleichzeitig den Zauber und seine manipulativen Möglichkeiten bloßstellt.
Theater der Keller, 25. und 27. Juni, 20 Uhr