Kölner TheaterpremiereEgal ob Mann oder Frau – Hauptsache, es glitzert
Köln – Zwei Betten, zwei Tische, zwei buntverglaste gotische Fenster. Zwei große weiße Skulpturen offener Hände: Wolfgang Menardis Drehbühne für „Orlando“ übt sich in perfekter Achsensymmetrie. Darüber schweben Albrecht Dürers „Adam und Eva“, Fleisch von einem Fleisch.
Links und rechts von der Drehbühne spiegeln sich zwei Waschbecken, zwei von der Decke hängende Eisblöcke, die in glazialem Tempo schmelzen, und zwei Flachbildschirme mit Digitaluhren die langsam die Stunden des Tages herunterzählen, eine dabei in inverser Schrift.
Virginia Woolf porträtiert ihre Geliebte
In ihrem Roman erzählt Virginia Woolf das, oder vielmehr die Leben des Edelmannes Orlando, als satirische Biografie ihrer Geliebten Vita Sackville-West, „invertiert“ nannten Woolfs Zeitgenossen lesbische Beziehungen: eine Spiegelliebe.
Orlando begegnet uns zuerst als junger Günstling am Hof Elisabeth I., die unglückliche Liebe zu einer russischen Prinzessin weckt in ihm den Wunsch, Dichter zu werden – ein kolossales Unterfangen, in dessen Verlauf der Jüngling das Geschlecht wechselt und die Jahrhunderte an ihm vorbeiziehen wie die Welt am Karussellfahrer. Das Buch endet am 11. Oktober 1928, dem Tag seiner Veröffentlichung, und immer noch ist Orlando erst in seinen Dreißigern.
Richard Siegals Ballet of Difference hilft aus
Im Juni hat die Regisseurin Lucia Bihler ihre pandemiebedingt ausgefallene Kölner Inszenierung von Madame Nielsens „Der endlose Sommer“ in einen tableauartigen Film von barocker Üppigkeit verwandelt. Schon da ging es um aufgehobene Zeit, um erotische Spielereien jenseits binärer Geschlechtergrenzen, eine „Orlando“-Adaption wirkt da wie der logische nächste Schritt. Ebenso die Idee, auf Tänzer aus Richard Siegals Ballet of Difference zurückzugreifen: Schließlich ist auch der Roman in ständiger genderfluider Bewegung. „Ch-ch-changes“, wie Bowie singen würde.
Leider funktioniert das auf der Bühne im Depot 1 überhaupt nicht. Auch weil die schlicht zu vollgestellt ist, als das noch ausreichende Platz zum Tanzen bliebe. Vor allem jedoch, weil Bihlers strenge Tableaus die Leichtfüßigkeit der Vorlage lahmlegen. Die fünf Tänzer – Margarida Isabel De Abreu Neto, Martina Chavez, Jemima Rose Dean, Mason Manning und Long Zou – und Katharina Schmalenberg und Yuri Englert aus dem Schauspiel-Köln-Esemble mögen dieselben Röcke und Blusen tragen, doch das überdeckt nur die starre Arbeitsaufteilung: Die Tänzer illustrieren, die Schauspieler liefern brav das Text-Gerüst. Funken sprühen da keine.
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Der Roman verliert in der Verkürzung, die Abfolge der Ereignisse ist gar nicht so wichtig wie die Woolfs ironisch-schillerndes Parlando in dem die großen Zeitläufte verwischen, aber die kleinen Momente wie unter einer Schneekugelglocke fixiert werden. Bilder, die sich adäquat einbrennen, wollen Bihler an diesem Abend nicht gelingen.
Am Ende versammelt sie ihr Ensemble in hautfarbenen Glitzertrikots zum Gruppenbild: Unter unseren Kleidern sind wir alle Orlando. Man ahnte das schon.
Termine: 9.,10.10.; 13.11., Depot 1, 90 Minuten, keine Pause