Kölner Youtuber kritisieren das Schulsystem„Social Media sollte ein Fach sein“
- Joyce Ilg und Chris Halb12 sagen, Schule solle auf ein glückliches und erfolgreiches Leben vorbereiten. Das sei in Deutschland nicht der Fall.
- Sie wünschen sich Selbstreflexion als Schulfach. Auch Meditation und der richtige Umgang mit Stress sollten eine viel größere Rolle spielen.
- Ein Gespräch über ihren Bestseller „Hätte ich das mal früher gewusst: Was man wirklich im Leben braucht, aber in der Schule nicht lernt“.
Joyce Ilg, Chris Halb12, das deutsche Schulsystem steht in der Corona-Pandemie in der Kritik. Sie haben einen Bestseller geschrieben, in dem es auch unabhängig davon nicht gut wegkommt. Was stört Sie denn so daran?
Chris Halb12: Worauf sollte die Schule vorbereiten? Auf ein glückliches und erfolgreiches Leben. Wir haben uns gefragt, was wir von dem, was wichtig im Leben ist, in der Schule gelernt haben. Klar, man muss Lesen und Schreiben und Rechnen können, aber vieles, was man in höheren Jahrgängen lernt, ist später irrelevant.
Joyce Ilg: Schule ist ja nicht durch und durch schlecht, aber ganz grundlegende Dinge werden in Deutschland in der Schule falsch gemacht.
Was müsste sich denn ändern?
Ilg: Es wäre wichtig, dass Schüler lernen, sich mit sich selbst zu befassen. Zu schauen, wo sind meine Stärken, wo sind meine Schwächen, zu reflektieren. Die Persönlichkeitsentwicklung kommt in der Schule viel zu kurz, sie ist aber die Basis fürs Leben. Nur so kann man wissen, wo man hinkommen möchte.
Chris Halb12: Selbstreflexion als Schulfach wäre eine Maßnahme. Auch mentale Gesundheit, der Umgang mit dem Stresslevel, das es in unserer Gesellschaft gibt, wäre für mich ein Fach.
ILG: Gerade durch die Digitalisierung leben wir in vielen Welten parallel. Das macht es noch schwieriger, mental gesund zu bleiben. Das merkt man auch bei jungen Leuten, die da überfordert sind. Meditation zum Beispiel wird ja von vielen belächelt. Aber es ist wissenschaftlich belegt, dass sie neue Strukturen im Hirn fördert. Es gibt etwa in den USA eine Schule, in der Meditation ein Schulfach ist, da gibt es nun fast kein Mobbing mehr.
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Sie sagen, die Digitalisierung sei eine Herausforderung. Bräuchte es ein eigenes Fach?
ILG: Es bräuchte definitiv ein Schulfach Social Media. Wir machen das ja beruflich und merken selbst, was das mit einem macht. Und wir lernen es auch aus den Nachrichten unserer Follower, die ja teilweise noch sehr jung sind. Die beeinflusst das sehr und macht sie oft auch unglücklich. Das Problem ist, dass es Schulen gibt, die das als Wahlfach machen, aber da kennen sich die Lehrer einfach selbst nicht gut aus, weil das so neu ist. Da müsste gezielt geschult werden, da müssten Psychologen hinzugezogen werden, die deutlich machen, welche Auswirkungen das hat.
Chris Halb12: Social Media ist ja auch nur ein Aspekt der Digitalisierung. Es entstehen neue Berufsfelder, viele andere fallen einfach weg. Das wäre auch ein praktisches Schulfach. Wohin geht die Entwicklung, welche Jobs gibt es, was könnte etwas für euch sein?
Haben Sie in den vergangenen Wochen Reaktionen erhalten, die sich mit Lernen in Zeiten von Corona beschäftigen?
ILG: Ein paar Nachrichten zu dem Thema hab ich bekommen. Von Schülern, Lehrern und auch Eltern. Es ging um fehlendes Know How seitens einiger Lehrer und dass die Möglichkeiten nicht ausgeschöpft wurden. Gerade für alleinerziehende, berufstätige Elternteile war es wohl schwierig, da sie dies ausgleichen mussten, indem sie den Kindern den Stoff selbst beibringen.
Welches andere Feedback bekommen Sie von den Lesern Ihres Buches?
ILG: Der Leistungsdruck ist für viele Kinder enorm belastend. Viele sagen, sie haben wegen des Drucks gar keine Zeit mehr für Freunde und Hobbys. Das tut mir einfach leid. Denen wird da auch ein Stück weit ihre Kindheit genommen. Es muss Zeit bleiben für persönliche Interessen. Und wenn man jeden Tag mit einem schlechten Gefühl startet, wie soll man da erfolgreich werden? Nur, wenn man sich total anpasst.
Lehrer kommen bei Ihnen ja nicht so gut weg.
Chris Halb12: Es geht uns nicht um pauschales Lehrerbashing. Es gibt sehr gute und auch sehr schlechte Lehrer. Lehrer sollten aber im Studium selbst besser in Kommunikation geschult werden, damit sie mit gutem Beispiel vorangehen können.
Ilg: Wir haben uns mit vielen Lehrern ausgetauscht, die sagen, das Studium bereite nicht darauf vor, gut zu lehren. Es geht ja auch darum, wie Wissen vermittelt wird. Die permanente Bewertung ist Stress für Schüler. Und der Lehrer kann bewerten, ohne dass er dabei überprüft wird. Man merkt schon, dass viele Schüler das als unfair empfinden. Wenn es also ein Bewertungssystem gibt, dann sollte es das auch andersrum geben, dass man Lehrer bewerten kann, damit sie auch überprüft werden.
Aber wie könnte man Leistungen in Fächern wie Selbstreflexion bewerten?
Ilg: Man kann doch andere Fähigkeiten herausstellen als bisher. Ist jemand gewillt, sich weiterzuentwickeln? Ist da eine Neugier? Kann jemand eine Situation rundherum beleuchten und nicht nur auf seine eigene Perspektive achten. Man müsste darauf schauen, den Blickwinkel zu öffnen.
Chris Halb12: Außerdem sind Noten ja sonst auch nicht eindeutig und teilweise subjektiv. Da könnte man auch in solchen Fächern Bewertungen finden. Den Spaß an der Weiterentwicklung zu vermitteln, das wäre wichtig. Natürlich kann Schule das nicht alles leisten. Aber einen Anreiz zu schaffen und zu zeigen, Lernen kann Spaß machen, das schafft intrinsische Motivation.
Was sollte man denn Ihrer Meinung nach aus der Schulzeit mitnehmen?
Chris Halb12: Dass es eben auch ums Ausprobieren geht. Die Zeit sollte man sich auch nehmen. Das Thema „Lücke im Lebenslauf“ macht vielen Sorgen, aber das ist doch egal. Es geht darum, den richtigen Weg zu finden. Viele gehen auf einem Weg weiter, der eigentlich gar nicht ihrer ist, weil die Hemmschwelle zu wechseln, immer höher wird. Und dann kommt irgendwann ein Burnout.
Ilg: Man sollte nicht nur nach der Schulzeit, sondern währenddessen einen stärkeren Praxisbezug haben. Man sollte verstehen können, wie ein Beruf aussieht.
Zur Person und zum Buch
Joyce Ilg, geboren 1983, arbeitet als Schauspielerin, Moderatorin und YouTuberin (1,2 Millionen Fans). Das Studium der Foto- und Medientechnik schloss sie 2010 als Diplom-Ingenieurin ab. Chris Halb12 ist Teil ihres YouTube-Kanals und hat auch einen eigenen mit 103 000 Abos. Er hat BWL studiert. Seine Diplomarbeit im Fach Sozialpsychologie schrieb er über das Thema Glück und Zufriedenheit. Beide leben in Köln.
Gemeinsam schrieben sie das Sachbuch „Hätte ich das mal früher gewusst: Was man wirklich im Leben braucht, aber in der Schule nicht lernt“ (Rowohlt, 304 Seiten, 12 Euro).