Für Strand, Balkon oder Hängematte – wir haben Kölner Literaturprofis nach ihren Lieblingsbüchern für die Ferien gefragt.
Kölns Literaturprofis geben TippsDie sieben besten Bücher für den Sommer
Autorin Lisa Roy empfiehlt einen Roman von Andrea Abreu
Lisa Roy, Autorin, erhielt für die Arbeit an ihrem ersten Roman „Keine gute Geschichte“ (Rowohlt) 2021 das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium der Stadt Köln:
Dieses Jahr mache ich Urlaub auf meinem Kölner Balkon und habe dort gerade Andrea Abreus’ „So forsch, so furchtlos“ gelesen. Die Geschichte einer (vor)pubertären Mädchenfreundschaft auf Teneriffa, fernab von Strand und Urlaubsziel-Idylle, sondern in einem langweiligen Bergdorf, wo die wohnen, die an den Strandorten für die Touristen putzen.
Eine Freundschaft so nah, dass man es kaum aushält. Die Art Beziehung, die auch Liebe ist. Auch Lust. Auch Hass. Noch nie habe ich eine Freundinnenschaft so gelesen, mich so erinnert gefühlt an diese Art Liebe, an der man alles ausprobieren, abreagieren, fühlen kann.
Die Sprache ist zerbrechlich, vulgär, weich, hart und konsequent. Dieses Buch hat mir das Herz gebrochen und ich hoffe, es bricht auch Ihres.
Andrea Abreu: „So forsch, so furchtlos“, Kiepenheuer & Witsch, 192 Seiten, 20 Euro, E-Book, 16,99 Euro.
Literaturhaus-Leiterin Bettina Fischer hat „Hund, Wolf, Schakal“ begeistert
Bettina Fischer, Leiterin des Literaturhaus Köln:
Der Roman „Hund Wolf Schakal“ von Behzad Karim Khani hat mir ein sehr intensives Leseerlebnis geschenkt: Er erzählt die Geschichte der Brüder Saam und Nima, die mit ihrem Vater aus dem Iran nach Deutschland fliehen, nach Berlin Neukölln. Der Vater, Revolutionär im Iran, wird Taxifahrer. Saam, ein fantasiebegabter, sensibler Junge, gerät in Gesellschaft, die ihn am Ende auf den Weg der Gewalt führt. Nima scheinen sich andere Möglichkeiten zu eröffnen. Der Autor verklärt nicht, zeigt aber, dass nichts so ist, wie es von außen aussieht. Keine heitere Sommerlektüre, aber ein Buch mit eigenem Ton und von packender sprachlicher Energie.
Behzad Karim Kani: „Hund, Wolf, Schakal“, Hanser Berlin, 288 Seiten, 24 Euro, E-Book: 17,99 Euro.
Literaturblogger Uwe Kalkowski gibt gleich zwei Buchtipps
Uwe Kalkowski steckt hinter dem Literaturblog „Kaffeehaussitzer“ und arbeitet für den Eichborn-Verlag. Er hat uns gleich zwei Empfehlungen geschickt:
Der von Sandra Kegel herausgegebene Band „Prosaische Passionen“ hat mich auf eine literarische Entdeckungsreise geschickt, die ihresgleichen sucht. Der Untertitel sagt, worum es geht: „Die weibliche Moderne in 101 Short Stories“. Es ist außerordentlich spannend, sich durch dieses Werk zu lesen, das eindrucksvoll zeigt, wie weiblich geprägt die Literatur zwischen dem Ende des 19. und der Mitte des 20. Jahrhunderts war – auf der ganzen Welt. Die Texte stammen aus über 50 Ländern aller Kontinente, bekannte Namen sind dabei, aber vor allem Autorinnen, die vergessen waren oder im westlichen Kulturkreis nie wahrgenommen wurden. Dieser globale Ansatz bricht unsere eurozentrische Sichtweise auf und zeigt uns ein grandioses Panorama von Kurzprosa aus weiblichen Federn.
Sandra Kegel (Hg.): „Prosaische Passionen – Die weibliche Moderne in 101 Short Stories“, 928 Seiten, Manesse Verlag, 40 Euro.
Seit vielen Jahren fasziniert mich die Geschichte des Graphischen Viertels in Leipzig. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts waren dort unzählige Verlage, Druckereien, Buchbindereien oder Buchhandlungen angesiedelt, nie wieder hat es ein solches Ballungszentrum der Buchindustrie gegeben. Im Zweiten Weltkrieg verschwand es im Bombenhagel – geblieben ist eine Legende. Kai Meyer lässt diesen Stadtteil in „Die Bücher, der Junge und die Nacht“ als mystischen Ort wiederauferstehen – einen schaurig-schönen Industriebezirk mit rauchenden Schornsteinen und dem nervösen Gewummer der Druckmaschinen, das geschäftig über der nebligen Szenerie liegt. Ein großartig erzählter Roman mit starken Figuren und drei kunstvoll verschachtelten Zeitebenen.
Kai Meyer: „Die Bücher, der Junge und die Nacht“, 496 Seiten, Knaur, 22 Euro, E-Book, 17,99 Euro.
Der Kölner Buchhändler Gerrit Völker empfiehlt Felwine Sarr
Gerrit Völker ist Inhaber der Maternus-Buchhandlung an der Severinstraße 76 und im Vorstand der „Literaturszene Köln e.V.“:
Das perfekte Sommerbuch nimmt mich mit auf Reisen, bietet Perspektiven und inspiriert mich. All das finde ich in „Die Orte, an denen meine Träume wohnen“. Zwei Zwillingsbrüder aus dem Senegal, die ganz unterschiedliche Lebenswege einschlagen und doch um einander kreisen: Während Fodé in der afrikanischen Dorfgemeinschaft und ihren Riten nach Erfüllung sucht, zieht es Bouhel fürs Studium nach Frankreich, zur ehemaligen „Kolonialmacht“, wo er die Polin Ulga kennenlernt. Nach Jahren treffen sie sich im Senegal wieder, jeder mit den gemachten Erfahrungen und einem eigenen Blick aufs Leben.
Felwine Sarr erzählt empathisch und eindringlich, was die Geschichte gut verträgt. Ein famoses Sommerbuch, das ich für Leser*innen empfehle, die wie ich gerne mit Büchern reisen und sich von Sarrs Motto tragen lassen möchten: „Ich möchte dem Leben die leuchtende Seite zurückgeben“. Nur zu!
Felwine Sarr: „Die Orte, an denen meine Träume wohnen“, dt. v. Doris Heinemann, S. Fischer, 24 Euro.
Dumont-Chefin Sabine Cramer legt Lesern Caroline Wahl ans Herz
Sabine Cramer ist Geschäftsführerin des DuMont Buchverlags:
„22 Bahnen“ ist der wunderbare Debütroman einer jungen Autorin, den ich jedem nur wärmstens für den Urlaub empfehlen kann. Es geht um Tilda, eine junge Frau, die in einer Kleinstadt wohnt und nach dem Abi im Gegensatz zu ihren Freunden nicht weggezogen ist, weil sie nicht wegziehen konnte.
Sie hat eine kleine, neun Jahre alte Schwester, Ida, mit der sie bei ihrer alkoholkranken Mutter lebt. Sie studiert Mathematik, jobbt im Supermarkt, kümmert sich um ihre Schwester und versucht die Dinge zusammenzuhalten zu Hause.
So oft es geht, ist sie im Freibad und schwimmt 22 Bahnen. Dort lernt sie Viktor kennen, und es folgt eine sehr schöne, besondere Liebesgeschichte, über die ich nichts verraten will.
Das klingt erst einmal gar nicht nach Sommerlektüre, aber wider Erwarten ist es ein optimistisches Buch. Es geht um den einen Sommer, in dem Tilda ihren Weg findet. „22 Bahnen“ ist ein leichter Roman, obwohl er schwere Themen verhandelt, Themen, die wir alle kennen und über die die Autorin in einer ganz eigenen, frischen Sprache schreibt. Zu wissen, dass nicht alles gut ist, man aber einen Weg finden kann, damit umzugehen. Ein Selbstermächtigungsroman, der dazu aufruft, das Leben in die Hand zu nehmen und zu gestalten.
Caroline Wahl: „22 Bahnen“, DuMont, 208 Seiten, 22 Euro, E-Book: 18 Euro.
Tobias Bock, Programmleiter der lit.Cologne, verehrt Don Winslow
Tobias Bock ist Programmleiter der lit.Cologne:
Seit seinem Jahrhundertwerk „Tage der Toten“ verehre ich Don Winslow. Bevor der Thrillergroßmeister nun Abschied von der Literatur nimmt und sich mit glühendem Zorn in die politische Anti-Trump-Kampagne wirft, schenkt er uns noch eine neue Trilogie, deren zweiter Band „City of Dreams“ jetzt erschienen ist.
Zwei Mafiafamilien in New Jersey bekriegen sich. Es gibt geplatzte Deals, Verrat, FBI-Ermittlungen, Flucht ins kalifornische Exil.
Was vordergründig rasant erzählter Krimistoff ist, ist zugleich eine Aktualisierung höchster literarischer Stoffe. Ganze Handlungsstränge lassen sich auf antike Texttradition, insbesondere Vergils „Aeneis“ beziehen. Das macht die Lektüre zu einem besonderen, doppelbödigen Vergnügen.
Don Winslow: „City of Dreams“, HarperCollins, 368 Seiten, 24 Euro, E-Book, 17,99 Euro.