KommentarStreit über missratenes Protestliedchen zeigt Mangel an Diskussionskultur
- Wie sollen wir über komplexe politische Veränderungen, an deren Notwendigkeit keiner zweifelt, verhandeln, wenn der Ton der Debatte der der Entrüstung, der Diffamierung ist?
- In einer reiferen Gesellschaft hätte die WDR-Satire dazu beitragen können, über die Fragen zur Auseinandersetzung um den Klimawandel nachzudenken.
Der Jahreswechsel verläuft beim WDR alles andere als harmonisch. Verantwortlich dafür ist in allererster Linie die Rundfunkanstalt selbst. Der Kinderchor des WDR hat das Scherzlied „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ als Protestsong gesungen, in dem die Oma als Schuldige („Umweltsau“) für den Klimawandel benannt wird. Es gibt nicht wenige, die das amüsant finden. Und es gibt nicht wenige, für die dies eine nicht akzeptable Geschmacklosigkeit ist.
Der WDR ist ein strenger Tugendwächter unter den deutschen Medien. Es irritiert schon, dass in der Rundfunkanstalt, die so viel Wert auf die eigene „richtige“ Haltung legt, niemand Anstoß an der Aktion genommen hat. Vielleicht, weil Fehler immer die anderen machen.
Sender hat mit aller Macht Abbitte geleistet
Und es ist schon ein Unterschied, ob Schüler sich an den Fridays-for-Future-Demonstrationen beteiligen oder der WDR eines seiner Kinderensembles nicht nur einen Protestsong singen lässt, sondern diesen auch noch gerade dann verbreitet, wenn Familien Weihnachten feiern.
Weil man all das beim WDR erst realisierte, als es zu spät war, hat der Sender mit aller Macht Abbitte geleistet. Eine Sondersendung, der Intendant bat um Entschuldigung – viel mehr kann man nicht machen, wenn man einen Fehler begangen hat. Und mehr ist es ja auch nicht.
Doch in unseren Zeiten sind Fehler Anlässe, die systematisch genutzt werden: Der Shitstorm, der Sturm der Entrüstung, bricht herein wie eine Naturgewalt. Die Möglichkeit, Öffentlichkeit zu organisieren, führt zu einem Schwall an Meinungen, von seriös bis unflätig. Mal ganz abgesehen davon, dass jeder Shitstorm von Trittbrettfahrern instrumentalisiert wird.
Ist das die Gesellschaft, in der wir leben wollen? Eines der großen Worte unserer Zeit ist das der Fehlerkultur. Über die sollten Unternehmen verfügen, damit Mitarbeiter sich trauen, etwas auszuprobieren. Bei Misserfolgen sollte man nicht gleich die große Keule herausholen.
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Wenn die Welle der empörten Reaktionen auf das Liedchen eines zeigt, dann das Fehlen einer Diskussionskultur – zumindest bei einem Teil unserer Gesellschaft. Wie sollen wir über komplexe politische Veränderungen, an deren Notwendigkeit keiner zweifelt, verhandeln, wenn der Ton der Debatte der der Entrüstung, der Diffamierung ist?
Und ein Zweites bringen die emotionsgeladenen Reaktionen ans Licht: dass die Auseinandersetzung um den Klimawandel sehr wohl Fragen über den richtigen Lebensstil aufwirft. Offenbar fühlen sich dadurch viele so angegriffen, dass sie nur mit Wut und Beleidigung antworten können. Diese Haltung bekommt bekanntlich auch Greta Thunberg zu spüren, wenn sie denen, die angesichts ihrer Umweltfrevel kein schlechtes Gewissen packt, ein „How dare you?“ („Wie könnt ihr es wagen?“) entgegenhält.
Hätte die WDR-Satire dazu beitragen können, über diese Frage nachzudenken? In einer reiferen Gesellschaft schon. Eine solche hätte die Satire vielleicht für missglückt befunden – und dennoch ernst genommen, welches Motiv hinter ihr steht.