Kaum jemand rappt derzeit besser als Noname aus Chicago. Auch weil sie sich selbst nicht schont. Unsere Konzertkritik.
Konzert im Club Bahnhof EhrenfeldRapperin Nonames harsche Kritik an Jay-Z und Beyoncé
So wie sie lächelt, entspannt im schlichten schwarzen Strickkleid über die Bühne im Club Bahnhof Ehrenfeld schlendert und dabei scheinbar beiläufig Zeilen über den Beat flitschen lässt, wie flache Steine übers stille Wasser – man möchte wetten, Noname rappt übers Wetter. Oder über saftigen Beziehungsklatsch.
Stattdessen feuert sie scharfzüngige Wortsalven ab, die selbst vorm Pantheon schwarzer Entertainmentgötter nicht Halt machen. Schimpft etwa im Track „Namesake“ Jay-Zs Zusammenarbeit mit der National Football League „Propaganda für den Militärkomplex“. Ruft „Los, Rihanna, los/ Sieh den Kampfjet hochfliegen/ Die Kriegsmaschine verherrlichen“, wiederholt denselben Refrain mit Beyoncé und Kendrick Lamar, die ebenfalls Halbzeitshows beim Super Bowl bestritten haben.
Schließlich klagt sie sich selbst des Wortbruchs an, weil sie trotz gegenteiliger Beteuerungen doch beim kalifornischen Coachella-Festival aufgetreten ist, dessen Besitzer Philip Anschutz an Pro-Waffen- und Anti-LGBTQ-Organisationen gespendet hat. Niemand kommt ungeschoren und unkompromittiert davon im kapitalistischen System. Wer das richtige Leben predigt, hat doch immer etwas Falsches zu verbergen und wer vorgibt, den Verblendungszusammenhang zu durchschlagen, der webt schon neue Schleier. Von daher hat es seinen ganz eigenen Reiz, wenn das Kölner Publikum begeistert „Noname, Noname“ ruft, wie Odysseus dem einäugigen Polyphem.
Abseits der Bühne hat die 32-jährige Rapperin und Poetin natürlich sehr wohl einen Namen. Fatimah Nyeema Warner ist im afroamerikanisch geprägten Chicagoer Stadtviertel Bronzeville aufgewachsen und erlangte erste Aufmerksamkeit durch eine Gaststrophe auf Chance the Rappers berühmten „Acid Rap“-Mixtape.
Ihre eigenen Projekte, das Mixtape „Telefone“ (2016), das Debütalbum „Room 25“ (2018) rechtfertigten die Vorschusslorbeeren, so technisch komplex sie darauf rappte, so reflektiert sie sich äußerte, so unwiderstehlich jazzig, lässig und (neo-)soulig war der Flow ihrer Musik. Kritische Elogen und Einladungen in Late-Night-Talkshows folgten. Doch kurz darauf zog sich Noname aus dem Musikgeschäft zurück. Erklärte, sie wolle auf keiner Bühne für Weiße tanzen, ein Dilemma, dem sich jeder schwarze Entertainer und Spitzensportler stellen muss: Repräsentiert man die eigene Gemeinschaft oder gibt man nur den Pausenclown fürs Establishment?
Noname gründete einen Buchclub nach Oprah-Winfrey-Art
Warner fand während der Pandemie einen Ausweg, als ein Fan ihr vorschlug, sich über ein Buch mit Essays über schwarze Wirtschaftsinitiativen in Mississippi, dem ärmsten Bundesstaat der USA, auszutauschen, das sie offensichtlich beide gerade lasen. Das versprach eine ganz andere, egalitärere Verbindung zwischen der Künstlerin und ihrer Zuhörerschaft: Sie gründete den Noname Book Club, gewissermaßen die radikalisierte Version des bewährten Oprah-Winfrey-Modells, lud zu Diskussionen ein, spendete Bücher an Gefängnisbibliotheken und rief ihre Mitleserinnen dazu auf, ihre Amazon-Mitgliedschaften zu kündigen. Die Übermacht des Konzerns hatte unter anderem die Buchhandlung ihrer Mutter in den Ruin getrieben.
Im Hintergrund jedoch arbeitete sie weiter an neuer Musik, ließ ein vielleicht allzu didaktisches Projekt namens „Factory Baby“ auf der Festplatte schmoren und veröffentlichte stattdessen „Sundial“, ein Album auf dem sie locker vorgetragene Alltagsbeobachtungen, zum Beispiel einen Ausflug zum Schönheitssalon, mit schonungsloser Selbstkritik verbindet: „New identity, same enemy, me“ („neue Identität, selber Feind, ich“) rappt sie in „Beauty Supply“.
Es ist unmöglich, im Konzert all ihre übers Wasser schießenden Metaphern und Verweise zu goutieren, da müsste man nebenher ein Proseminar abhalten. Und außerdem das Verhältnis zwischen Stimme (zu leise) und Instrumenten (zu laut) besser auspegeln.
Das Kölner Publikum erwies sich jedoch als beeindruckend textsicher und Noname dirigierte es immer wieder lachend als Chor zu ihren in sich verschlungenen Monologen. Ansonsten ließ man sich im Ehrenfelder Club einfach mit dem Flow treiben und vom begleitenden Trio angenehm durchschütteln, vor allem von Brooke Skyes virtuosem Spiel am fünfsaitigem Bass.
„Free your mind and your ass will follow“ hieß es einst bei Funkadelic. Der deutsche Musiker Knarf Rellöm wendete die Zeile zu „Move your ass and your mind will follow“ ab. Noname beweist, dass immer beides zugleich gilt, dass bewegte Hintern kritische Geister wecken und befreite Geister besser rappen können.