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Arlo Parks im Gebäude 9Die Hoffnung, die wir alle bitter nötig haben

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Arlo Parks im Gebäude 9

Köln – Du bist nicht so allein, wie du denkst. Singt Arlo Parks im Refrain ihrer ersten und einzigen Zugabe im Gebäude 9. „Hope“ heißt der Song. Das ist schlicht, aber war sie, die Hoffnung, je nötiger? Trotz strenger Impfausweiskontrollen haben fast alle ihre FFP2-Masken anbehalten.

Größer als die Hoffnung ist wohl die Befürchtung, dass es in Kürze wieder vorbei sein könnte mit Konzerten, mit gemeinsamen Erlebnissen überhaupt. Dass uns ein Spätherbst und Winter bevorsteht wie im Rilke-Gedicht: Wir werden lange allein bleiben, wachen, lesen, lange Brief schreiben und in den Alleen hin und her unruhig wandern, ob wir nun wollen oder nicht.

Kaum eine Stunde lang singt Arlo Parks. Sie ist erst 21, hat Anfang des Jahres ihr Debüt „Collapsed in Sunbeams“ (für das sie prompt den Mercury-Preis als bestes Album des Jahres gewann) veröffentlicht, mehr Material ist einfach noch nicht da. Aber was für eine Stunde! Und was für eine Stimme. Mädchenhaft klar, fast schüchtern, das Gegenteil einer Soul-Diva, könnte man sagen, aber dennoch stets den dicht gewebten, rhythmisch pulsierenden Klangteppich ihrer exzellenten Band durchdringend.

Schwarzes Kind hört Emo-Musik

Arlo Parks heißt eigentlich Anaïs Oluwatoyin Estelle Marinho. Die Wurzeln der jungen Londonerin liegen in Nigeria, in Frankreich und im Tschad, aber dass sie sich lange als Sonderling fühlte, hat höchstens indirekt mit ihrer Migrationsgeschichte zu tun: Auf der weiterführenden Schule im westlichen Londoner Stadtteil Hammersmith, schreibt sie in ihrem kurzem Lebensabriss auf Spotify, „fühlte ich mich wie das schwarze Kind, das nicht tanzen konnte, zu viel Emo-Musik hörte und in ein Mädchen aus dem Spanischkurs verknallt war“.

Prompt spricht sie auch im Gebäude 9 von einer schwierigen Phase, in der sie bei fragilen Innerlichkeits-Poeten wie Nick Drake und Sufjan Stevens Trost fand. Aber Arlo Parks Songs sind dann doch ein bisschen stabiler gebaut, wie könnte die Sängerin auch Trost spenden, wenn sie an sich selbst verzweifelte? „Komm, wir gehen in den Eckladen und kaufen Obst“, schlägt sie etwa in „Black Dog“ einer Freundin vor, die sich schwermütig in ihrem Zimmer verkrochen hat: Pragmatismus schlägt Seelenerkundung.

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Im Fußballtrikot mit kniehohen Socken ist sie im Gebäude 9 eingelaufen, die Haare kurz geschoren und orange gefärbt. Nur, dass ihr T-Shirt keine Vereinszugehörigkeit, sondern die Jazz-Legende Dizzy Gillespie feiert. Und die Blumen und Farne, mit denen sie die Bühne verziert hat, sind aus Plastik, also widerständig statt ephemer. Dementsprechend gibt ihre fünfköpfige Band durchweg einen souligen Groove vor, mit Trompetenstößen, funky Bassläufen und Gitarrensoli im Outro, die an die großen Isley-Brothers-Hits der frühen 1970er anknüpfen.

Wie schön, sich von solchen, nach oben steigenden Melodielinien gemeinsam erhoben zu fühlen. Nicht mehr allein. Es ist zudem bemerkenswert, wie wenig Arlo Parks in ihren Texten um das eigene Ego kreist, wie viel Welt sie zulässt: „Caroline“ etwa — der Refrain wird durch hunderte von Masken geschmettert — himmelt keine Frau dieses Namens an, sondern beschreibt einen Streit zwischen einem Hipster-Pärchen an einer Bushaltestelle — und den Moment, in dem eine Beziehung an tiefer Enttäuschung zerbricht.

Heimlicher Schwarm

Und auch jener „Eugene“, nach dem sie einen anderen Song benannt hat, ist kein Objekt der Begierde, sondern der gemeine Freund („Eugene/ He was mean“), der ihrer beste Freundin zugesetzt hat, für die sie doch selbst heimlich schwärmt.

Kein Wunder, dass sich so viele Menschen in Arlo Parks Liedern wiederfinden, in ihnen Hoffnung hören. Wir sind nicht allein. Wir sehen uns am anderen Ende der Pandemie.