Die irische Sängerin ist bekannt für treibende Elektro-Stücke, exzentrische Outfits und seit Neuestem auch für seltsame Ansichten. Unsere Kritik.
Konzert im Kölner PalladiumWie Róisín Murphy beinahe ihre Karriere versenkt hätte
Róisín Murphy isst rote Rosen. Rupft die Blüten mit dem Mund aus, spuckt sie ihren Musikern als schönen Schauer entgegen. Dann streckt sie den Po aus und flagelliert sich mit den nackten Stängeln. Sie suche stets nach dem Vergnügen, verkündet sie ihrem Publikum im Palladium. Und hier, in Köln, habe sie es immer gefunden. Das beruht – zumindest für die eben vergangenen aufregenden zwei Konzertstunden – auf Gegenseitigkeit.
Mit ihren 50 Jahren kann die Irin auf eine künstlerisch äußerst ergiebige Karriere zurückblicken. Ob mit ihrem Duo Moloko, mit dessen eckigen Funk-Song „Pure Pleasure Seeker“ sie den Abend beginnt – scheint also das übergeordnete Thema zu sein. Oder den darauf folgenden Soloalben, auf denen sie mit einigen der interessantesten Elektronik-Produzenten ihrer Generation zusammenarbeitete, von Matthew Herbert auf „Ruby Blue“ (2005) bis zu Hamburgs very own DJ Koze auf ihrem aktuellen und besten Album „Hit Parade“.
Streit über Róisín Murphys Facebook-Post zu jungen trans Personen
Das wäre beinahe in der Kontroverse untergegangen, die Murphy auslöste, als sie auf ihrer privaten Facebook-Seite den Einsatz von Pubertäts-Blockern bei jungen trans Personen als „fucked up“ bezeichnete, gefolgt vom verschwörungsraunenden Hinweis auf die „Big Pharma“-Lobby. Schlimm genug, dass eine Queer-Ikone wie Murphy so denkt, schlimmer, dass sie ungefragt Troll-Meinungen auf Facebook von sich gibt. Sowas macht alt. Ihr Label Ninja Tune stellte daraufhin die Vermarktung ein, die Sängerin gab sich zerknirscht, das Album stieg trotzdem auf Platz 5 in den britischen Charts ein. Es wurde also niemand gecancelt. Warum auch? Dumm dahergeredet, das haben wir schließlich alle schon mal.
Bemerkenswert ist der späte Erfolg dennoch. Aber die Exzentrikerin Róisín Murphy hat ihre Kreise seit jeher außerhalb des Zentrums gezogen – und dabei immer wieder überraschende Berührungspunkte mit dem Mainstream des Pop gefunden. High Fashion mit irdischen Gelüsten verknüpft und Disco-Hedonismus mit der Last des Alltags.
Kraftvoll pumpt der Sound ihrer fünf Begleitmusiker, ob Gitarre, Synthesizer, Bass, Percussion oder Schlagzeug – hier gehört jedes Instrument zur Rhythmusgruppe. Über diesem pulsierenden Untergrund schwebt Murphys Stimme, für deren Timbre man sich bei Adjektiven bedienen müsste, die sonst teuren Rotweinen vorbehalten sind. Die einzige andere Künstlerin, die sich mit ähnlicher Autorität und aufregender Reibung von elektronischen Klängen abhebt, ist Annie Lennox. „Das ist eine Simulation“, singt Murphy, nur um sich sogleich zu korrigieren: „Das ist die Realität meiner wildesten Träume.“
Ein Origami-Lampenschirm umschmeichelt ihren Kopf, zuvor waren es Fellmütze, Zylinderhut und Borsalino. Mit jedem Lied wechselt sie das Kostüm, ohne Fisimatenten direkt am Bühnenrand im Scheinwerferlicht, trägt mal von einem Ventilator aufgebauschte Schleier vor dem Gesicht, mal ein ausgestopftes Plüschbaby um den Hals, als präsentiere sie parallel zum Konzert noch ihre Exklusiv-Kollektion für verrückte Hupen. „CooCool“, ein souliger Ruhepol im aufgedrehten Set und der Titel ihrer ersten Single vom DJ-Koze-Album, fasst es perfekt zusammen: Ausgeflippt ist hip.
Und Murphys Modenschau ist ja auch zum Anfassen und Mitmachen gedacht. Ständig sucht sie den direkten Kontakt zu ihren Fans, beugt sich übers Absperrgitter, lässt sich im Dutzend umarmen, flirtet mit den hinteren Rängen per Videokamera. Oder hält im Fall des frühen Moloko-Hits „Sing It Back“ den Refrain so lange neckisch zurück, dass der Publikumschor viel zu früh kommt.