Die kanadische Band hat viele Verächter. Aber die Menschen in der Lanxess-Arena würden da heftig widersprechen. Unsere Kritik.
Konzert in der Kölner Arena13.000 Fans trotzen der Nickelback-Häme und feiern ihre Band
Nickelback sind die schlimmste Band der Welt. Sagt das Internet, sagt es seit Jahrzehnten und sagt es auch jetzt noch, wo die frühen 2000er gemäß den Nostalgie-Zyklen der Popgeschichte noch einmal neu bewertet werden. Am 11. September 2001 griff Osama bin Laden die USA an und Nickelback veröffentlichten mit „Silver Side Up“ das Album, das sie zu internationalen Rockstars machte und dessen erste Single, „How You Remind Me“, zum meist gespielten Song der Nuller Jahre werden sollte. Glaubte man manchen Kritikern, zeitigen beide Ereignisse ähnlich verheerende Ergebnisse.
Oder war das nur eine letztlich unkontroverse Meinung, die man nur kopieren und wieder einfügen musste, um sein kleines bisschen Distinktionsgewinn einzufahren? Nur: irgendwas muss doch dran sein, wenn eine Band so lange einen so miesen Ruf zu verteidigen hat wie die Kanadier. Wenn die einen Imagefilm, der kurz vor dem Kölner Konzert noch einmal ihre gesammelten Verkaufserfolge aufzählt, mit dem Slogan beschließen: „Hate to love Nickelback.“
Dies immerhin zeichnet Nickelback-Fans aus: Sie stehen zu ihrer Liebe, sie trotzen der Häme. 13.000 Unentwegte haben sich in der Lanxess-Arena versammelt. Können die sich denn samt und sonders irren?
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Chad Kroeger ist nicht der Typ, der aus Angst vorm Ausverkauf an der Schrotflinte nuckelt
Die Scheinwerfer flackern zum erbarmungslosen 12/8-Riff von Panteras „Walk“ auf, die LED-Wand zeigt „Wanted“-Poster der vier Nickelback-Mitglieder, die nehmen darauf wechselnde Rockposen ein, die man ihnen nun so gar nicht abnimmt. Noch nicht mal, als sie mit „San Quentin“ mit straighten – im Gitarren-Fachmagazin würde man schreiben „schnörkellosen“ – Hardrock beginnen.
Apropos Gitarren: Rhythmusgitarrist Ryan Peake spielt stilecht eine Gibson Flying V, während Chad Kroeger vom harten Rock'n'Roller-Leben auf Tour singt, ein Bein im Knast, eins in der Irrenanstalt, dabei klingen sie so verwegen wie ein Betriebsausflug im Musicstore.
Aber gerade das ist es doch, was die Menschen an Nickelback schätzen. Chad Kroeger ist nicht der Typ, der aus Angst vorm Ausverkauf an der Schrotflinte nuckelt. Er hat eine Minipli-Frisur überlebt, die aussah, als hingen ihm chinesische Nudeln vom Schädel, das ist schon auch eine Leistung. Nicht nur das, er hat sich in einer Version seines Songs „Photograph“ selbst darüber lustig gemacht: „Is it my hair or just a ramen bowl?“, singt der Frontmann da. Jetzt spielt er zu „Savin‘ Me“ ein sehr erwartbares Gitarrensolo. Vor dem knüppelharten Pantera-Stück regte Journeys „Don‘t Stop Believin‘“ die Massen zum Mitsingen an. Nickelback sind groß gewordene Jungs, die von Pantera träumen, aber stets bei Journey landen, genau auf der Mitte der Straße.
Nickelback haben ein Spinal-Tap-mäßiges Talent dafür, sich immer wieder selbst in den Fuß zu schießen
Weshalb ihnen eine Country-Ballade wie „Far Away“ letztlich besser steht als ein generischer Pubertätsausbruch wie „Animals“ (nicht der Pink-Floyd-Song). Wirklich übel wird es jedoch erst bei „Figured You Out“, von Kroeger als „something a little silly“ angekündigt. Während Stage Hands mit T-Shirt-Kanonen in die Menge zielen, singt er Zeilen wie diese: „Ich liebe deinen Mangel an Selbstachtung/ Während du ohnmächtig auf dem Deck liegst/Ich liebe meine Hände um deinen Hals.“ Wie gesagt: „Eine kleine Albernheit“ nennt Chad Kroeger diese Vergewaltigungsfantasie. Sind Nickelback am Ende doch so schlimm wie ihr Ruf?
Sinnigerweise improvisieren Kroeger und Peake anschließend kurz Rammsteins „Du hast“, lassen darauf aber ein folkiges Mitsinglied namens „When We Stand Together“ folgen. Das fordert in einfacher Sprache dazu auf, die Welt zu heilen, frei nach der von Michael Jackson patentierten Wunschdenken-Methode. Auf der Leinwand lächeln dankbare Natur- und Hungerkatastrophenopfer ihren Rettern aus dem Westen entgegen.
Allen Anschein nach haben Nickelback ein Spinal-Tap-mäßiges Talent dafür, sich immer wieder selbst in den Fuß zu schießen. Wie anders sollte man die Entscheidung erklären, mitten im Set die Vorband nochmals auf die Bühne zu bitten, damit diese eine Coverversion von Oasis‘ „Don‘t Look Back in Anger“ abliefern können, als stünde man hier mit Einkaufstaschen beladen in der Schildergasse? Oder die Idee zu „Rockstar“ zwei Blondinen aus dem Publikum zu casten, die daraufhin den zweiten Hit, auf den hier alle gewartet haben, gnadenlos zersingen?
Vielleicht mit Nettigkeit. Das ist nur eine Ferndiagnose aus dem Unterrang, aber könnte es sein, dass Übererfüllung frauenfeindlicher Rock-Klischees hier nur Kompensation der eigenen Harmlosigkeit ist?
Der erste Hit, den alle hören wollen, kommt naturgemäß vorm kurzen Zugabenteil: „How You Remind Me“ wird von der ganzen Halle mitgesungen. Es ist unklar, woran genau man erinnert wird: an die eigene Provinzjugend? An eine ferne Zeit, in der man noch an Rockmusik glaubte und Mädchen auf Minipli-Männer standen? Muss eine schöne Zeit gewesen sein. Vielleicht ein wenig schlicht. Aber gar nicht mal so schlimm.