Der Tuareg-Gitarrenvirtuose Mdou Moctar riss das Publikum im Gebäude 9 mit.
Konzert in KölnDer Jimi Hendrix des Postkolonialismus
Mdou Moctar hätte da ein paar Fragen an die Führer Afrikas: „Warum hört ihr nur auf Frankreich und Amerika? / Sie haben euch dazu verleitet, euer Land aufzugeben / Sie beobachten euch genüsslich in eurer brüderlichen Fehde / Sie haben die Macht, euch zu helfen, aber sie tun es nicht.“
Vor 15 Jahren entdeckte ein amerikanischer Musiksammler das erste Album des linkshändigen nigrischen Meistergitarristen 2009 auf der SD-Karte eines Mobiltelefons – so verbreitete sich damals Musik in der noch weitgehend Internet-losen Südsahara – und veröffentlichte den Song „Tahoultine“ daraus auf seiner einflussreichen Kompilation „Music from Saharan Cellphones“.
Seitdem tourt Mdou Moctar auch im globalen Norden, in Köln konnte man ihn zuerst vor zehn Jahren auf dem Week-End-Festival erleben. Mit zunehmendem Erfolg – 2021 unterzeichnete der Tuareg-Musiker beim renommieren US-Independent-Label Matador – ist Mdou Moctar immer politischer geworden.
Jack White spendete für seinen Bruder im Blues-Geiste
„Funeral for Justice“, das oben anzitierte Eröffnungsstück seines Sets im Gebäude 9, erzählt von den großen Uranvorkommen im Niger, die auch nach dem Militärputsch im vergangenen Sommer noch von den ehemaligen französischen Besatzern des afrikanischen Binnenstaates kontrolliert werden. Der Umsturz erwischte Moctar während einer seiner Konzertreisen durch die USA kalt, er konnte vorerst nicht mehr in sein Land zurückkehren. Eine Crowdfunding-Kampagne ermöglichte ihm und seiner Band den verlängerten Aufenthalt, ihr größter Spender war Jack White, ein Verwandter im Blues-Geiste.
Bestimmt versteht niemand im Kölner Publikum Moctars in der Tuareg-Sprache Tamascheq verfasste Texte, zudem er sie noch durch einen Tagelmust – die traditionelle Turban-Gesichtsschleier-Kombination – nuschelt. Aber seine Gitarre spricht ihre eigene Sprache und die ist von großer Klarheit: über hypnotische Grooves, die auch von alten rheinischen Lokalhelden wie Neu! oder Can stammen könnten, fährt ihr durchdringender Sirenen-Ton durch die Halle und reißt die vor Freude kieksenden Menschen in seinen Wellen mit.
Wer näher rangeht, kann beobachten, wie Moctars Finger quecksilbrig übers Griffbrett flirren, wirklich begreifen kann man es nicht. Zur technischen Meisterschaft, die ihm etliche Vergleiche mit Jimi Hendrix eingebracht hat, kommt die sorgsame Vermeidung jeglichen Gitarrengott-Klischees.
Wahrscheinlich muss sich Moctar dafür noch nicht einmal anstrengen, hier hilft die Herkunft fern westlicher Rocktraditionen. Nur zur Zugabe channelt er kurz Finger-tappend seinen inneren Eddie Van Halen, so viel kulturelle Aneignung darf sein.